)
Der EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos besuchte am Montag das Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen. Er lobte Österreich und versprach rund fünf Millionen Euro an Hilfsgeldern.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Traiskirchen. Es ist ein ruhiger Montagvormittag in Traiskirchen. Nichts deutet darauf hin, dass in wenigen Stunden hoher Besuch aus Brüssel eintreffen wird. Der EU-Kommissar für Migration und Inneres, Dimitris Avramopoulos, reist derzeit durch ganz Europa, um sich Flüchtlingsunterkünfte anzusehen.
Vor dem Lager wartet ein Syrer darauf, hineingelassen zu werden. Er hat die Sperrstunde im Lager verpasst, jetzt lassen ihn die Sicherheitsleute nicht mehr passieren. Seit vier Tagen schläft er draußen im Park, auch den Anspruch auf Essen im Lager hat er verloren. Nachts über den Zaun springen, wie es viele tun, will er nicht. Ein junges Paar aus Wien, das auf eigene Faust hierhergekommen ist, versucht ihm zu helfen und diskutiert mit den Sicherheitsleuten. Ein junger Mann aus Nigeria schimpft über die österreichischen Politiker. "Wer ist für das Lager verantwortlich?", will er wissen. "Wir haben hier nicht einmal ein Dach über dem Kopf." Tatsächlich gibt es immer noch Menschen, die kein Zimmer haben und nachts draußen schlafen müssen. Laut Innenministerium sind es rund 150.
Während eines Rundgangs mit Ministerin Johanna Mikl-Leitner zu Mittag wollte sich Avramopoulos insbesondere die Situation in den Zelten, bei der Essensausgabe und bei der medizinischen Versorgung ansehen, hieß es im Vorfeld aus dem Innenministerium. Bei der anschließenden Pressekonferenz in der Traiskirchner Polizeiakademie bemühten sich Mikl-Leitner und Avramopoulos darum, Einigkeit in der Flüchtlingsfrage zu vermitteln. Die Innenministerin sprach von "überwältigender Solidarität" der Österreicher über nationale Grenzen hinaus und bedankte sich für ihre Hilfe in den vergangenen Tagen und Wochen. Diese "Mitmenschlichkeit der Bürger" sei ein "Vorbild für die Politik", in der Solidarität oft leider nur als Schlagwort diene. Einen Seitenhieb wagte Mikl-Leitner einmal mehr auf die Gemeinden: "Die Überbelegung in Traiskirchen ist das Ergebnis von zu wenig Solidarität einiger Gebietskörperschaften." Auch die europäischen Partner ernteten Kritik, denn: "Die Herausforderungen, vor denen Europa und die ganze Welt stehen, können nicht von einigen wenigen Mitgliedstaaten gelöst werden." Nationalismus bringe Europa nicht weiter, sondern nur noch mehr Konflikte, so Mikl-Leitner in Anspielung auf die osteuropäischen sowie die baltischen Staaten, die sich nach wie vor weigern, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Europa stehe vor einer "Herkulesaufgabe", so Mikl-Leitner: "Es geht nicht nur um das Überleben der Union, sondern des gesamten Kontinents."
Vorbereitung fürSondertreffen
Dass es in Zeiten der Krise mehr Europa braucht und nicht weniger, da ist sich die österreichische Regierung mit Brüssel einig: ein gemeinsames europäisches Asylsystem, eine Aufteilung der Flüchtlinge nach einem Verteilungsschlüssel und mehr Kooperation zwischen den Nationalstaaten, damit chaotische Zustände wie zuletzt in der Grenzregion zwischen Österreich und Ungarn nicht zum Normalzustand werden.
Laut Mikl-Leitner sind die Vorbereitungen für ein Sondertreffen der 28 EU-Staats- und Regierungschefs bereits angelaufen. Zuletzt hatte es aus Deutschland geheißen, dass die Zeit dafür noch nicht gekommen sei. Einig sind sich Innenministerin und Migrationskommissar auch bei der Einrichtung sogenannter Hotspots: Diese sollen entlang der EU-Außengrenzen in Italien, Griechenland und Ungarn eingerichtet werden und erste Anlaufstelle aller in die Union einreisenden Hilfesuchenden werden. Jene, die schutzbedürftig sind, sollten auf die EU-Länder aufgeteilt werden, andere, etwa Wirtschaftsflüchtlinge vom Balkan, möglichst rasch in ihre Herkunftsstaaten rückgeführt werden. Österreich solle hier seine Expertise einbringen und mit Ungarn in der Einrichtung von Hotspots kooperieren, so Mikl-Leitner.
50.000 Flüchtlinge versorgt Österreich laut Innenministerium momentan, bis Ende des Jahres sei mit insgesamt rund 80.000 Anträgen zu rechnen. Finanzielle Unterstützung erhält Österreich von der Europäischen Union. "Europa ist für Österreich da", sagte Kommissar Avramopoulos - und versprach der Innenministerin "mehr als fünf Millionen Euro" zusätzlich zu jenen 97 Millionen, die der Staat zwischen 2014 und 2020 an Zuschüssen erhält. In Traiskirchen habe er das gesamte Lager besichtigt und dabei festgestellt, dass es den Menschen gut gehe: "Bei der momentanen Situation ist es das Beste, was man tun kann." Zwar gebe es Raum für Verbesserungen, doch seien Beschwerden unangebracht. "Österreich macht einen sehr guten Job und empfängt die Menschen mit Gastfreundschaft."
"Keine neuen Mauern errichten"
Hoffnung auf ein baldiges Ende der aktuellen Flüchtlingskrise hegt der EU-Kommissar nicht. "Asyl zu gewähren ist keine Gefälligkeit, es ist eine Pflicht im Sinne der humanitären europäischen Tradition", so der Kommissar. Kritik übte er an Ungarn - ohne jedoch das Land beim Namen zu nennen: "Europa ist durch viele Tragödien gegangen. Es gibt den Traum vom Europa ohne Grenzen. Hier einen Zaun zu erreichten ist gegen alle europäischen Prinzipien." Grenzkontrollen lägen zwar in der Kompetenz der Mitgliedstaaten, so der EU-Kommissar, "aber meine Antwort ist klar: Vor Jahrzehnten sind die Mauern gefallen, wir sollten sie nicht wieder errichten."