Zum Hauptinhalt springen

Es geht voran

Von Marian Madela

Gastkommentare

Während andere Reformprozesse in der Ukraine ins Stocken geraten sind, stellt ein neues Gesetz die veraltete Verwaltung grundlegend auf neue Beine - trotz Rückschlägen mit Erfolg.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Die Ukraine rückt näher an Europa heran und passt sich zunehmend europäischen Standards an. Dieser Prozess erfasst nun auch die Beamtenschaft. Während der Reformprozess an einigen Stellen in jüngster Zeit stockt, beispielsweise bei der Einrichtung eines unabhängigen Antikorruptionsgerichtshofes, gibt es in anderen Bereichen, die teils unter der (medialen) Aufmerksamkeitsschwelle liegen, erkennbare Fortschritte. So nimmt insbesondere die Modernisierung der oftmals korrupten und ineffektiven Verwaltung an Fahrt auf.

Dabei sah es zu Beginn der Reform nicht danach aus, als wäre dieses Vorhaben von Erfolg gekrönt. Zwar hatten Zivilgesellschaft und internationale Geldgeber nach der Maidan-Revolution 2014 eine grundlegende Reformierung der ukrainischen Bürokratie gefordert. Auch fand sich das Vorhaben formal im Regierungsprogramm wieder. Greifbare Resultate waren jedoch, abgesehen von vereinzelten Entlassungen in Verruf geratener Altkader, zunächst Mangelware.

Das änderte sich im Jahr 2015. Nach langem politischen Tauziehen verabschiedete die Verkhovna Rada im Dezember 2015 ein neues Gesetz über den Staatsdienst, das für ukrainische Maßstäbe wegweisend ist und sich auch im europäischen Vergleich durchaus nicht zu verstecken braucht. Das neue Gesetz, nur ein Teil einer weitreichenden Reform der staatlichen Verwaltung, welche die Regierung auf verschiedenen Ebenen vorantreibt, soll chronische Intransparenz und Misswirtschaft bekämpfen und rechtsstaatliche Standards stärken.

So sehen die neuen gesetzlichen Bestimmungen etwa klare Kriterien für den Eintritt in den Staatsdienst, transparente Auswahlverfahren, nachvollziehbare Gehaltsschemata und eine bessere Bezahlung vor. Transparenz, Professionalismus, Qualifikation und eine stärkere politische Unabhängigkeit der Verwaltung sind die Leitlinien der neuen gesetzlichen Regelung, die sich an den Kriterien der Europäischen Union orientieren, die EU-Partnerländer bei der Verwaltungsmodernisierung unterstützen sollen.

Transparente Auswahlverfahren

Eine Reform in diesem seit Sowjetzeiten kaum reformierten Bereich war unumgänglich. Das verdeutlichen Umfragen, gemäß denen die Mehrheit der ukrainischen Bürger ihren Institutionen mit Misstrauen entgegentreten, da sie diese für korrupt und wenig lösungsorientiert halten. Dies gilt auch für die öffentliche Verwaltung, und so hängt den gut 400.000 Staatsdienern ein entsprechend schlechtes Image an.

Neue Ansätze mussten her, die im neuen Gesetz verankert wurden. Eine der zahlreichen Neuerungen stellt der Auswahlmechanismus für leitende Beamte und Staatssekretäre dar. Wurden diese früher nicht selten nach persönlichem Gutdünken eingestellt (und häufig ebenso schnell wieder entlassen), müssen sie heute ein mehrstufiges Auswahlverfahren durchlaufen, Qualifikationen und Sprachkenntnisse nachweisen und ihren Privatbesitz deklarieren, um etwaige Zweifel an ihrer Integrität auszuräumen. Die Auswahlverfahren sind öffentlich, werden live im Internet übertragen, und zivilgesellschaftliche Initiativen sind in den Auswahlgremien vertreten.

Nach einigen Anlaufschwierigkeiten bescheinigen mittlerweile selbst kritische Beobachter, dass durch diese Änderungen weitreichende Fortschritte erzielt wurden und die Verfahren transparent ablaufen. Insgesamt tausend neue Stellen im mittleren und höheren Verwaltungsdienst wurden geschaffen und mehrere hundert Auswahlverfahren haben bisher stattgefunden. In zahlreichen Fällen konnten gut ausgebildete junge Menschen von außerhalb des Systems in verantwortliche Positionen gelangen - früher undenkbar -, wo sie zentrale zukunftsgerichtete Strukturreformen vorantreiben können.

Positiver Einfluss auf andere Reformvorhaben

Die neuen Staatsdiener verdienen vergleichsweise gut, was die Attraktivität erhöhen und gleichzeitig das Bestechungsrisiko verringern soll. Gleiches gilt für die neu geschaffenen Stellen der Staatssekretäre, die politische Unabhängigkeit genießen und nicht ohne Weiteres von den jeweiligen Ministern entlassen werden können. So soll politischen Gefälligkeiten für die Chefetagen der Ministerien ein Riegel vorgeschoben werden. Die Arbeit von Regierung und Verwaltung wird professionalisiert und stabilisiert so auch den Staat an sich - in Zeiten des Krieges gewissermaßen ein angewandtes "Nation Building".

Die gesellschaftliche Relevanz dieser Reform, die die ausgesprochene Unterstützung von Premier Wolodymyr Hrojsman genießt und von einem Sonderminister koordiniert wird, hat auch die EU erkannt. Sie engagiert sich verstärkt in Form von technischer und finanzieller Unterstützung. Für den Zeitraum von 2017 bis 2021 hat die EU rund 106 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um die Reform der öffentlichen Verwaltung in der Ukraine zu fördern. So wurde nicht zuletzt durch diese Unterstützung die Zahl der Servicezentren, die kompetent und bürgernah öffentliche Dienstleistungen anbieten, im Zeitraum von 2013 bis 2017 um 50 Prozent von etwa 500 auf fast 750 erhöht.

Auch unabhängige Experten aus dem In- und Ausland sind in die Entscheidungsprozesse miteingebunden und bringen sowohl das notwendige Know-how als auch kritische Expertise ein. Zwar vollzieht sich die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung vergleichsweise langsam, aber auf lange Sicht stellt sie eine zentrale Strukturreform dar, die die Erneuerung der Ukraine beschleunigen wird. Der Aufbau einer professionellen, effizienten und handlungsfähigen Verwaltung ist von zentraler Bedeutung für das Gelingen anderer Reformen.

Alte Seilschaften blockieren Ausdehnung der Reform

Wie bei so vielen Modernisierungsvorhaben mussten Initiatoren und Unterstützer der Reform jedoch auch Rückschläge hinnehmen. Zum einen sind die Widerstände seitens alter Seilschaften, die vom Status quo profitieren, beträchtlich. So wird etwa ein weiteres Gesetz, dass die neuen Bestimmungen auf Angestellte zahlreicher staatlicher Sonderbehörden ausdehnen würde, bisher im Parlament nach Kräften blockiert. Auch wurden auf Druck des Präsidenten die Auswahlverfahren für die Leiter der Bezirksverwaltungen wieder abgeschafft und diese von den neuen Regeln teilweise ausgenommen. Der Verlockung, den Verwaltungsapparat für die Sicherung seiner Macht einzusetzen, konnte offenbar auch Präsident Petro Poroschenko, wie viele seiner Vorgänger, nicht widerstehen, zumal er kommendes Jahr wiedergewählt werden will.

Nichtsdestotrotz kann die Reform als Erfolg gelten, verdeutlicht sie doch, dass ein grundlegender Wandel auch unter äußerst schwierigen Rahmenbedingungen möglich ist. Zehn Ministerien befinden sich nun unter der Leitung eines neu eingerichteten Koordinationszentrums in einem Restrukturierungsprozess. Die weitverbreiteten Doppelstrukturen sollen so Zug um Zug eliminiert und die Ministerien von bloßen Verwaltungsorganen zu Politik gestaltenden Analysezentren umgestaltet werden. Mittelfristig besteht darüber hinaus die Aussicht, dass die wachsende Zahl an qualifizierten, jungen und motivierten neuen Beamten das gesamte System zum Besseren verändern kann.