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Die Autoren sind am Theater abgeschafft.
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Dieser Tage vermeldeten das Wiener Burgtheater, das Theater in der Josefstadt und das Wiener Volkstheater einen teilweise dramatischen Besucherrückgang, der naturgemäß auf die Corona-Pandemie und die damit geradezu seuchenartig verbreitete neue Häuslichkeit zurückgeführt wird. Bei einem Autor, der sich nur deshalb so selten ins dramatische Fach verirrte, weil ihm dazu keine Gelegenheit geboten wurde, hält sich das Mitleid ob dieser Entwicklung in Grenzen. Ja, der klammheimliche Wunsch, es möge überhaupt niemand mehr ins Theater gehen, um die Blase des Betrugs, die dort Platz gegriffen hat, endlich zum Platzen zu bringen, ist, obgleich charakterlich bedenklich, verführerisch.
Was sind wir Schriftsteller doch für ein feiges und opportunistisches Pack! Obgleich sich unsere bereits in den beamteten Hofratsrang aufgestiegene und über Jahrzehnte amtierende Interessengemeinschaft, die IG-Autoren, jeweils flink zu geharnischten Resolutionen aufschwingt, wenn es um die esoterischen Finessen der neuen beziehungsweise der alten Rechtschreibung oder um die Übersiedlung von ORF-Angestellten von der Argentinierstraße auf den Küniglberg geht, hat nicht nur sie, sondern haben auch die Grazer Autorenversammlung und der PEN-Club, haben wir alle zusammen aus Angst, vielleicht um eine kleine Chance umzufallen, den Mund gehalten, geschweige denn protestiert, während man uns, peu à peu, wie es so schön heißt, nach dem Ende des Hörspiels im Rundfunk nun auch am Theater abgeschafft hat.
Wer heute die Spielpläne jedes x-beliebigen, durchsubventionierten, von Ankleidedamen, Maskenbildnern und Friseurinnen über Schauspieler bis hin zu Dramaturgen und Intendanten bevölkerten Theaters mit seinen oft hunderten Angestellten studiert, wird feststellen, dass die zeitgenössische dramatische Literatur, die auf der Bühne nachvollziehbare Schicksale im Rahmen der gerade verhandelten Gegenwartsprobleme paradigmatisch nachzeichnet, irgendwo zwischen den Interessen aller anderen, die Karriere machen, berühmt werden und Geld verdienen wollen, aufgerieben wurde und fast gänzlich von den großen Bühnen verschwunden ist, um gerade noch auf irgendwelchen Lusterböden oder Foyers mit 50 Sitzplätzen geduldet zu werden.
Umgearbeitete Klassiker statt zeitgenössischer Stücke
An die Stelle des Zeitgenössischen traten Klassiker, die von den Regisseuren so bearbeitet werden, dass es im Programmheft nicht mehr William Shakespeare, sondern "nach" William Shakespeare oder, wie jüngst am Burgtheater, "nach" Maxim Gorki, dem Stalin-Preisträger, heißt. Dies hat den Vorteil, dass ein Regisseur neben seiner Gage auch noch Autoren- beziehungsweise Bearbeitungshonorare kassieren und in Folge in das Reich der literarischen Verwertungsgesellschaften aufgenommen werden kann. Letzteres ist nicht nur ein gutes finanzielles Zubrot, sondern birgt auch die Chance, im Schutze eines berühmten Namens ungestraft die eigene Halbbildung auszuführen und vor allem viel missionarische Predigerwut zwecks Läuterung eines stets zu rechtsradikalen Verirrungen neigenden Publikums auszuleben.
Sollte gerade kein geeigneter Klassiker zur Verfügung stehen, hat sich die Sitte eingebürgert, Romanschwarten von Fjodor Dostojewski, Leo Tolstoi oder Erzählungen von Arthur Schnitzler, Werke also, die von ihren Autoren dezidiert als erzählerische konzipiert wurden, für die Bühne einzurichten. Finanziell sind dabei in aller Heimlichkeit die gleichen, wenn nicht höhere Zusatzverdienste möglich. Der Aufwand dürfte allerdings größer ausfallen, jedoch durch die Absenz eines Autors ausgeglichen werden, der lästig sein könnte, wenn seine Ideen nicht mit jenen des Regisseurs übereinstimmten, und mit dem man allfällige Fernsehinterviews, die Berühmtheit ganz allgemein also zu teilen hätte.
Ebenso beliebt wurde in jüngster Zeit die Marotte, berühmte Filme, wie etwa das ohnehin schwer unter Kitschverdacht stehende schwedische Dirigentendrama "Wie im Himmel", auf die Bühne zu transferieren. Oder einen österreichischen Film wie "Indien" von Josef Hader durch dialektale Einfärbung in die provinzielle Verdaulichkeit herab zu inszenieren.
Sollte nun weder ein Klassiker noch ein Romanschinken, ein Film oder ein erfolgreiches Fernsehstück zur Verfügung stehen, greifen inzwischen Intendanten und Dramaturgen auch gerne selbst zur Feder, indem sie etwa für befreundete Musical-Komponisten die Libretti schreiben und aus dem Budget des Theaters eine CD-Produktion finanzieren. Naturgemäß haben wir Autoren in unserer unsäglichen Feigheit auch dazu den Mund gehalten und bestenfalls etwas über Korruption in den Bart gemurmelt.
Keine Gelegenheit, erfolgreich zu werden
Zuletzt bleibt, um den Subventionsgebern und dem Publikum zu beweisen, dass man im 21. und nicht im 19. Jahrhundert lebt, eine gewisse Notwendigkeit bestehen, irgendwie doch Gegenwärtiges zu präsentieren, wobei vor diesem Hintergrund, bewusst oder unbewusst, in besonders infamer Weise darauf geachtet wird, dass dieses Gegenwärtige an Abgehobenheit alle anderen Produktionen übertrifft. Denn nur so ist das Geschäftsmodell, wie oben beschrieben, weiterhin erfolgreich zu betreiben. Basiert es doch auf der unter sogenannten Theaterfachleuten allgemein akklamierten Erkenntnis, dass es keine erfolgversprechenden modernen Stücke und Stückeschreiber gibt, was insofern durchaus der Realität entspricht, da noch in keiner Kunstgattung die Meister vom Himmel gefallen sind und niemals zu solchen werden können, wenn man ihnen dazu nicht die Gelegenheit gibt.
Zum Zwecke, die Gegenwartsdramatik für ein breiteres Publikum somit als unverdaulich zu präsentieren, bevölkern Produzenten von sogenannten Textflächen die Bühnen: wie etwa unsere allseits geschätzte Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek oder der zwar geniale, in Sachen Dramatik jedoch vollkommen stümperhaft agierende Thomas Bernhard. Oder auch der Tiroler Jungstar Händl Klaus. Sie alle erlauben mit ihren von der Alltagswelt, aus der das Publikum ins Theater strömt, um sich über sich selbst klar zu werden, befreiten Texten den Regisseuren, die sie als Tippmamselln auf die Reise nach oben mitgenommen haben, wie im Umgang mit den Klassikern die Realisierung der größten Platt- und politisch korrekten Dummheiten.
Entscheidendes kreatives Momentum eliminiert
Vielleicht ist der Besucherschwund an den Theatern doch nicht nur auf Corona zurückzuführen. Vielleicht fand ein relevanter Teil des Publikums in den Zeiten von Maskenpflicht und Schachbrettmuster im Zuschauerraum Zeit, sich die Frage zu stellen, wie attraktiv eine Institution eigentlich noch ist, wenn sie ihr entscheidendes kreatives Momentum eliminiert hat. In den Führungsetagen der Theater, in denen die Werke von - tunlichst mehrheitlich noch lebenden - Autoren im Zentrum stehen sollten, haben Intendanten, Dramaturgen, Regisseure und Schauspieler, die sich danach sehnen, Publikumslieblinge zu werden, zuletzt also Kunstbeamte, deren Vertragsverlängerung von noch höher gestellten Kunstbeamten und Politikern abhängig ist, die Macht übernommen und, wie es in staatlich finanzierten Betrieben auch sonst üblich ist, das Interesse des eigenen Überlebens und der weiteren Karriere unabhängig von den finanziellen Regulativen eines freien Marktes zum Maßstab ihres Handelns gemacht.
Wie dramatisch die Situation wirklich ist, erlaubt ein kurzer Blick auf die Allergrößten der Theatergeschichte, die sich ihre Freiheit als Autoren dadurch absicherten, dass sie selbst Besitzer, Direktoren oder fest angestellte Schreiber von Theatern waren. Dies gilt für einen Shakespeare, wer auch immer das war, ebenso wie für Jean-Baptiste Molière, für Carlo Goldoni oder für Johann Nestroy, aber auch für Bertolt Brecht. Und es gilt besonders auf der Hauptbühne der zeitgenössischen modernen Dramatik, dem Film, wo die künstlerisch hochwertigsten Produkte von Federico Fellini über Ingmar Bergman, Woody Allen oder Clint Eastwood bis hin zu Jim Jarmusch von Autoren-Regisseuren verwirklicht wurden, die sich ihre Stücke überwiegend selbst geschrieben haben und maßgeblich in die Produktion eingebunden waren.