Zum Hauptinhalt springen

"Es gibt die einfachen Jobs nicht mehr"

Von Marina Delcheva

Politik

AMS-Vorstand Johannes Kopf über die Arbeitslosigkeit und warum 2016 nichts besser wird.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. 2015 war das Jahr der Negativrekorde, bei der Arbeitslosenrate, den Flüchtlingen. Und die Wirtschaft kommt ebenfalls seit Jahren nicht vom Fleck. Es war kein leichtes Jahr für AMS-Vorstand Johannes Kopf, der sich mit seinen politischen Aussagen immer wieder aus dem Fenster lehnt. Aber nie so weit, dass er fallen könnte. Er fordert etwa einen schnelleren Arbeitsmarktzugang für Flüchtlinge, überlässt die Debatte über Obergrenzen aber der Politik. Ein Gespräch mit Mister AMS über die ewige Baustelle Bildung und düstere Zeiten am heimischen Arbeitsmarkt.

"Wiener Zeitung": Rekordarbeitslosigkeit, Flüchtlinge, kein Wirtschaftswachstum -Sie hatten heuer nicht den leichtesten Job. Haben Sie sich heimlich in Ihrer Datenbank um etwas Neues umgeschaut?

Johannes Kopf: Nein, ich habe ja hier genug zu tun.

Aktuell sind 430.000 Menschen ohne Job. Können wir bald mit einer Entspannung rechnen?

Mit einer sinkenden Arbeitslosigkeit können wir 2016 und auch 2017 nicht rechnen. Das höhere Wachstum, das wir im nächsten Jahr erwarten, wird aber zu einem Mehr an offenen Stellen führen. Noch stärker wird allerdings die Menge an Personen wachsen, die gerne arbeiten möchten. Getrieben hauptsächlich durch Zuwanderung, aber auch durch den Faktor länger Arbeiten und mehr Frauen am Arbeitsmarkt.

Trotzdem jammert die Wirtschaft, dass sie kein qualifiziertes Personal findet. Können Sie diese Diskrepanz erklären?

Das hat mit einem Missmatch am Arbeitsmarkt zu tun, den es immer gab. Erstens leben Arbeitssuchende nicht immer dort, wo es die Jobs gibt. Wenn man sich das Zillertal mit mehreren Millionen Nächtigungen ansieht, dann ist klar, dass der Bedarf durch die eigene Bevölkerung gar nicht deckbar ist. Der zweite Punkt ist die Qualifikation. Betriebe brauchen vielfach andere Qualifikationen, als sie die Arbeitssuchenden haben. Wenn man weiß, dass mittlerweile fast 50 Prozent der Arbeitssuchenden nur einen Pflichtschulabschluss haben, dann ist klar, dass Angebot und Nachfrage nicht zusammenpassen. Generell muss man aber sagen, dass der aktuelle Fachkräftemangel deutlich kleiner ist als etwa 2007.

Was war denn heuer die größere Herausforderung: die Zuwanderung oder die Bildung?

Die größte Herausforderung ist in Wahrheit immer das Bildungsthema. Das bleibt auch künftig so. Die Arbeitslosenquote von Personen mit Pflichtschulabschluss beträgt 25 Prozent. Jene von Personen mit Lehrabschluss siebeneinhalb. Es gelingt uns nicht, ausreichend Jobs für Pflichtschulabsolventen zu finden, weil es die Jobs nicht mehr gibt. Außerdem müssen wir heute im Laufe unseres Berufslebens immer wieder neu lernen. Trotzdem ist das Erstausbildungssystem sehr wichtig, denn die Lernfähigkeit und Lernbereitschaft steigt massiv mit dem Bildungsniveau.

Im November hat die Bildungsreformkommission ihre ersten Ergebnisse vorgestellt. Wie zufrieden sind Sie damit?

Ich habe mich sehr über das zweite verpflichtende Kindergartenjahr gefreut. Wir haben in Österreich das Problem, dass Bildung vererbbar ist, also nicht im genetischen Sinn, sondern im sozialen. Eine frühzeitige Betreuung im Kindergarten verbessert die Chancen auf einen Bildungsaufstieg.

Was fehlt?

Die Inhalte. Zum Beispiel gehört das Thema Digitalisierung komplett in den Lehrplan integriert.

Gesamtschule, Ganztagsschule - wie stehen Sie dazu?

Mir persönlich scheinen die Argumente der Befürworter der Gesamtschule überzeugend. Auch Konzepte über den längeren Verbleib in der Schule, über den Tag gesehen, finde ich überzeugend. Aber was ich finde, ist egal, evaluieren wir das einfach. Wenn es erfolgreich ist, machen wir es, wenn nicht, hören wir damit auf. Die jahrzehntelangen ideologisch geführten Diskussionen haben notwendige Reformen im Bildungsbereich verhindert.

Kommen wir zum Hauptthema des Jahres: die Flüchtlinge. Wie viele Menschen, die heuer zu uns kommen, werden in eineinhalb Jahren einen Job haben?

Ich möchte jetzt noch keine Schätzung dazu abgeben, weil wir am 12. Jänner die Ergebnisse unseres Kompetenzchecks veröffentlichen werden und dann wissen, welche Qualifikationen die Menschen haben.

Können Sie zumindest sagen, in welche Richtung die Ergebnisse gehen?

Momentan erfassen wir die Qualifikation in den Beratungsgesprächen. Die Sprachprobleme führen aber dazu, dass die Qualifikation nicht vernünftig erhoben werden kann. Und wenn man nichts weiß, kann man auch keine Ausbildung eintragen. Ich gehe davon aus, dass die Qualifikation der Flüchtlinge höher ist als bisher von uns erfasst. Um wie viel höher, sagen wir Ihnen am 12. Jänner.

Was ändert sich?

Ein Mann erzählte mir, dass er zehn Jahre lang Mechaniker in Syrien war. Er hat aber keinen formalen Abschluss, sondern nur in einer Werkstatt gearbeitet und alles dabei gelernt. Formal können wir keinen Abschluss eintragen, obwohl das seinen Fähigkeiten nicht gerecht wird. Die Idee unseres Kompetenzchecks ist auch, in Form von betrieblichen Schnuppertagen festzustellen, ob er was kann. Wenn ja und wir die richtige Qualifizierung - etwa Deutsch, Kfz-Recht und Abgasreinigung - organisieren, kann er in Österreich zur externen Lehrabschlussprüfung antreten. Und schlagartig haben sich seine Chancen massiv verbessert. Wir müssen verstehen, dass in den meisten Ländern der Welt das Ausbildungssystem nicht so formalisiert ist wie bei uns. Nachdem wir aber in Zetteln denken, sind Zettel leider oft die Voraussetzung, um überhaupt zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Deshalb bemühen wir uns darum, dass die Menschen, die etwas können, auch formal zu einem Abschluss kommen.

Aktuell sind 20.500 Flüchtlinge als jobsuchend gemeldet.

Hier muss man relativieren, viele sind noch nicht bei uns angekommen. Diese 20.500 sind nur um 7500 mehr als vor einem Jahr. In unserer Statistik wird jemand als Flüchtling geführt, solange er noch nicht Österreicher ist. Die große Herausforderung kommt erst 2016 und 2017. Wenn ich mir nur eine Maßnahme wünschen könnte, wären es schnellere Asylverfahren, weil Integration dann erfolgreich ist, wenn sie rasch beginnt.

Erhöht das nicht den Druck auf den Arbeitsmarkt zusätzlich?

Durch die Zuwanderung wird der Druck am Arbeitsmarkt erhöht, stimmt. Aber natürlich achten wir auch darauf, dass wir in jene Bereiche qualifizieren, in denen wir einen Mangel haben. Es macht auch Sinn, dass Flüchtlinge dort untergebracht werden, wo es schon einen Arbeitskräftemangel gibt. Wien hat die größte Arbeitslosigkeit in Österreich. Und was tun wir? Wir bringen den Großteil der Flüchtlinge in Wien unter.

Was halten Sie vom Vorschlag von Vizekanzler Mitterlehner, eine Obergrenze für Flüchtlinge einzuführen?

Ich weiß nicht, wie das geht, aber dazu sage ich, das soll die Politik entscheiden.

Was waren heuer die größten Versäumnisse aus Ihrer Sicht?

Die besonders schwierige Arbeitsmarktsituation und der Verlust der Vorreiterrolle in der EU ist eine Folge der Tatsache, dass wir seit vier Jahren - trotz massivem Bevölkerungswachstum - praktisch kein Wachstum haben. Dass wir in dieser Situation Rekordarbeitslosigkeit haben, verwundert nicht. Was es gebraucht hätte, wäre eine massive Konjunkturbelebung.

Zum Beispiel?

Starke Lohnnebenkostensenkung und Investitionen in Bildung und Forschung. Das ist aber nicht einfach, weil der budgetäre Spielraum fehlt. Außerdem ist Österreich international so verflochten, dass wir eine Konjunkturbelebung allein aus Österreich heraus ja gar nicht vernünftig machen können. Und bis zum letzten Jahr hat ja ganz Europa geschwächelt.

Im Gegensatz zu 2015, wo zum Beispiel Deutschland massiv zugelegt hat.

Deutschland ist heuer um 1,7 Prozent gewachsen, Österreich um 0,6. Ein Prozent mehr Wachstum würde in Österreich 25.000 Jobs mehr bringen. Dann säße ich hier viel entspannter.

Was hat Deutschland besser gemacht?

Mehr Reformen. In Deutschland gehen zum Beispiel die Leute fünf Jahre später in Pension. Bei Hartz IV muss man relativieren. Das wirkt mit einer noch grundlegenderen Reform zusammen, nämlich einer Dezentralisierung der Lohnfestsetzung. Dort fallen nur mehr 60 Prozent der Arbeitnehmer unter einen Tarifvertrag. In Österreich haben wir eine Kollektivvertragsabdeckung von 97 Prozent. Das heißt, dass Betriebe bei Lohnverhandlungen flexibler sind. Niedrigere Löhne bei niedrigeren Sozialleistungen erhöhen die Bereitschaft, auch bei niedrigeren Löhnen zu arbeiten. Das kann man gut finden oder auch kritisieren. Nämlich, dass das reiche Deutschland den größten Niedriglohnsektor Europas hat. In Deutschland arbeiten 27 Prozent aller Menschen unter der Niedriglohnschwelle, in Österreich 15 Prozent.

Laut ÖVP sind die Sozialleistungen zu hoch, was die Arbeitsbereitschaft senkt. Die SPÖ meint, die Löhne sind zu niedrig. Wo stehen Sie?

Natürlich würde der Anreiz steigen, arbeiten zu gehen, wenn die Löhne höher sind. Allerdings leidet auch die Wettbewerbsfähigkeit darunter. Der Tourist kann sich nämlich aussuchen, ob er in Österreich Skifahren geht oder im Süden schwimmen. Andererseits führt auch ein Absenken der Sozialleistungen zu einem höheren Anreiz, arbeiten zu gehen. Aber es führt auch zu mehr Armut für jene, die keine Arbeit finden. Diese Optimierungsaufgabe muss von der Politik diskutiert und entschieden werden. Die aktuell geführte Debatte betrifft die Mindestsicherung. Dazu habe ich einen Vorschlag zur Zuverdienstregelung gemacht, der in Niederösterreich jetzt ausprobiert wird. Wenn aktuell über die Höhe der Sozialleistungen debattiert wird, geschieht das aus zwei Gründen. Das eine ist die Frage nach dem Anreiz, arbeiten zu gehen. Welchen Anreiz hat etwa ein Vater mit drei Kindern, der 1800 Euro an Mindestsicherung bekommt und dem bis auf einen kleinen Freibetrag jeder Euro, den er verdient, wieder abgezogen wird? Der zweite Grund ist, dass mit den Flüchtlingen eine große Menge an Leuten zu uns kommt, die anfangs arbeitslos und zumeist auf Mindestsicherung angewiesen sein werden. Die meisten dieser Menschen kommen ja arm zu uns. Das belastet nicht nur unsere sozialen Sicherungssysteme zu einem sehr hohen Grad, sondern ist auch Quell von Neiddebatten.

Ein paar Zeitungen haben Sie schon in Ministerposten geschrieben. Haben Sie politische Ambitionen in diese Richtung?

Mich interessiert die Politik, aber ich habe auch einen interessanten Job. Punkt. Darüber denke ich daher nicht nach.

Das heißt, in einem Jahr sind Sie noch AMS-Chef?

Ja.

Johannes Kopf
ist seit 2006 neben Herbert Buchinger Vorstand des Arbeitsmarktservice (AMS). Der Jurist war zuvor im Kabinett Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Bartenstein (ÖVP) tätig.