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Es gibt doch ein Leben nach Lehman

Von Hermann Sileitsch

Analysen

Im September und Oktober 2008 war ein globaler Finanzkollaps nah wie nie. | Von Hypotheken zur Banken- und zur Weltwirtschaftskrise. | Gründe: Irrglaube an endlosen Boom und an ständig verfügbares Geld. | Am 15. September 2008 ging die US-Investment-Bank Lehman Brothers in Konkurs - ein Ereignis, das die Finanzwelt in Schockstarre versetzte. Niemand hätte zuvor für möglich gehalten, dass ein Institut dieser Größe pleitegehen, vor allem aber von der Regierung der Vereinigten Staaten fallen gelassen werden könnte.


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Der Lehman-Konkurs hat die Krise weder ausgelöst, noch war er ihr Auftakt. Der Untergang von Lehman versetzte der - bereits chronisch kranken - Finanzwelt jedoch jenen Schlag, der sie endgültig auf die Intensivstation beförderte.

Mit einem Mal schien ein völliges Kollabieren des Finanzsektors, ein Zusammenbruch von Banken rund um den Globus, nicht mehr utopisch, sondern als ein realistisches Bedrohungsszenario.

Die Welt ist nach diesem 15. September 2008 knapp an einem aus Friedenszeiten unbekannten Notstand vorbeigeschrammt. Einige Tage lang gab es Anlass zur Sorge, dass verängstigte Sparer aus Angst um ihr Geld die Sparkonten leerräumen und damit auch gesunde Banken zum Aufgeben zwingen könnten. Sogar Währungszusammenbrüche und ein Rückfall auf Tauschhandelsniveau hätten nicht mehr ausgeschlossen werden können.

Die Stadien der Krise

Wie konnte es soweit kommen? Die Ursachen für diese Krise sind gut eineinhalb Jahre früher zu suchen - und zwar auf dem amerikanischen Immobilienmarkt: 2006 stagnierten die zuvor über viele Jahre hinweg stetig gestiegenen US-Hauspreise auf einem Plateau, ab Anfang 2007 begannen sie rasant zu fallen.

Wie aber konnte aus diesem scheinbar lokal begrenzten Phänomen eine weltweite Wirtschaftskrise werden?

Einen guten Hinweis geben die vielen Namen, die diese Krise seit ihrem Ausbruch Anfang 2007 hatte:

* Von der US-Hypotheken- zur Subprime-Krise: Im Vertrauen auf ständig steigende Hauspreise und begünstigt durch das extrem niedrige Zinsniveau hatten Banken in den USA, aber auch in England und Spanien immer höhere Kredite an Hausbauer mit immer schlechterer Einkommenssituation vergeben: Der steigende Hauswert sollte dieses Investment im Nachhinein rechtfertigen.

Obendrein waren diese Kredite jedoch zu undurchsichtigen Paketen verpackt und in alle Welt verkauft worden - von den Ramschpapieren mit der schlechtesten Bewertung (Subprime) erhielt die Krise in dieser Phase ihren Namen.

* Von der Subprime- zur Vertrauenskrise: Freilich erwiesen sich auch die Kreditbündel, die von Ratingagenturen die besten Bewertungen erhalten hattten, als fragwürdig. Niemand konnte mehr beurteilen, welche Risiken sie wirklich enthielten.

Damit setzte ein enormes Misstrauen unter den Banken ein: Jeder verdächtigte den anderen, sich in hohem Maß mit (nunmehr wertlosen) Subprime-Papieren verspekuliert zu haben. Banken rund um den Globus schockten Anleger mit Verlusten in Milliardenhöhe.

* Von der Vertrauens- zur Liquiditätskrise: Das Misstrauen ließ den Geldverkehr der Banken untereinander schlagartig erliegen und führte so zu einer massiven Liquiditätskrise: Die Zentralbanken mussten fortan unglaubliche Geldsummen in den Finanzmarkt pumpen, um ein völliges Austrocken zu verhindern.

* Von der Liquiditäts- zur Finanzkrise: Die vielfachen Belastungen der Banken blieben nicht ohne Auswirkung auf deren Bilanzen: Neben den Abschreibungen von Fehlspekulationen im Hypothekenmarkt wirkte sich nun auch der Börsenabsturz negativ aus. Überdies waren viele Anleger gezwungen, ihrerseits Geld abzuziehen.

Die Liquiditätskrise war somit zur Bankenkrise geworden. Noch in den nächsten Monaten werden Kreditausfälle infolge der steigenden Arbeitslosigkeit negativ zu Buche schlagen.

* Von der Finanz- zur Weltwirtschaftskrise: Die gute Konjunktur im ersten Quartal 2008 verleitete viele Beobachter zum Trugschluss, dass die Krise auf den Finanzsektor beschränkt bleiben könnte.

Ein Irrtum: Die Realwirtschaft blieb nicht verschont, seit Ende 2008 stürzten nahezu alle Weltregionen in eine beispiellose Rezession. Weltweit leiden Unternehmen seither unter Exporteinbrüchen und Kreditverknappung.

Fataler Glaube an Boom

Zwei fatale Irrtümer haben diese Krise letztlich mitverursacht: Der Irrglaube, dass Kurse ständig weiter steigen und überdies immer billiges Geld zur Veranlagung vorhanden sein würde.

Begünstigt wurde die Ausbreitung durch lasche Kontrollen und krisenverstärkende Finanzmarktregeln. Und schließlich hat die enge globale Verflechtung der Finanzwelt nicht mehr Sicherheit geschaffen: So wie sich Viren wegen des Flugverkehrs rascher denn je verbreiten, kam es auch im Finanzsektor zu einer pandemischen Ansteckung, die sich blitzschnell um den Erdball verbreitete.