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Huda aus Idlib ist seit einem Jahr bei der Caritas in Therapie. Das Reden hilft ihr, den Tod ihrer Tochter zu verarbeiten.
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Ich kann mich genau erinnern: Es war der 24. August 2014, ein Freitagmorgen, als Assad-Truppen eine Bombe auf unser Haus warfen und unsere neunjährige Tochter töteten. Ihre Schwester wurde an den Beinen schwer verletzt. Wir waren gezwungen, zu fliehen, damit sie behandelt werden kann. In der Türkei sagten uns die Ärzte, dass sie eines ihrer Beine amputieren müssten. Wir verkauften alles, was wir hatten, und flohen nach Europa.
In Österreich wurde meine Tochter im Landeskrankenhaus Graz aufgenommen. Wir, also meine verbleibenden fünf Kinder, mein Mann und ich, wohnten in einem sehr abgelegenen Bergdorf, von wo aus man mit öffentlichen Verkehrsmitteln sechs Stunden nach Graz braucht. Es war eine schreckliche Zeit: Ich war bei meiner Tochter im Spital, mein Mann blieb bei den anderen Kindern. Unser jüngster Sohn war erst ein Jahr alt. Auch er ist jetzt in Therapie, er hat sehr darunter gelitten, dass ich so lange weg war. Ich fuhr nur alle zehn Tage von Graz zurück ins Dorf, um meine Familie zu sehen.
Meiner Tochter geht es mittlerweile etwas besser, aber ihre Beine sind immer noch entstellt. Sie haben mehr als 300 Eisensplitter abbekommen.
Seit April 2013 leben wir in Wien. Die Therapie hat mich sehr entlastet. Mir lag einiges auf dem Herzen, ich hatte viele Geheimnisse. Nun kann ich sie teilen. Auf einmal gibt es Menschen, die nach meinem Schmerz fragen, sich erkundigen. Das klingt vielleicht nicht nach viel, aber mir bedeutet es einiges. Heute geht es mir besser als vor der Therapie, aber ich fühle mich immer noch fremdbestimmt. Es gibt vieles, das mich nach wie vor belastet.
Außerdem bin ich wütend. Es gibt für uns keine Gerechtigkeit in Österreich. Es ist zwar nur meine subjektive Wahrnehmung, aber ich denke, wir wurden hier schlecht behandelt. Sie hätten uns näher an Graz einquartieren sollen, damit unsere Tochter nicht so isoliert ist im Spital.
Für meine Kinder wünsche ich mir, dass sie in der Schule erfolgreich sind und sich eine schöne Zukunft aufbauen können. Am allermeisten wünsche ich mir Frieden in Syrien. Meine Kinder werden vermutlich hier bleiben und sich in Österreich heimisch fühlen. Noch haben sie aber keine ordentliche Perspektive. Um wie alle anderen Kinder behandelt zu werden, brauchen sie einen ordentlichen Flüchtlingspass. Derzeit haben wir nur subsidiären Schutz, unser Asylantrag wurde drei Mal abgelehnt. Ich hoffe, dass die Entscheidungsträger diese Geschichte lesen und erkennen, dass wir Schutz brauchen.
Ein Interview mit Hudas Therapeuten, Daniel Ritter, finden Sie hier. Im Gespräch mit der "Wiener
Zeitung" erklärt er, warum Integration durch Therapie sinnvoller ist als das Predigen von Werten.