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"Es gibt kein Recht auf Behaglichkeit"

Von Werner Reisinger

Politik
© Christoph Liebentritt

Die Philosophin, Künstlerin und Autorin Lisz Hirn im Interview über politisch korrekte Sprache im Wahlkampf.


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Wien. Als "Zeit fokussierter Unintelligenz" hat Wiens Bürgermeister Michael Häupl den Wahlkampf bezeichnet. Auch im laufenden und nicht enden wollenden Präsidentschaftswahlkampf fliegen die Hacken tief. Eine Richtungsentscheidung, heißt es.

Die antagonistischen Standpunkte der beiden Lager spiegeln sich auch in der im Wahlkampf verwendeten Sprache. Was bewirkt politisch korrekte oder unkorrekte Sprache in einer polarisierten Gesellschaft? Die Philosophin, Künstlerin und Autorin Lisz Hirn beobachtet seit geraumer Zeit Praxis und Auswirkungen von Political Correctness.

"Wiener Zeitung": Der Stammtisch, das Netz, die politische Auseinandersetzung rund um die Hofburg-Wahl: Die politische Öffentlichkeit ist tief gespalten, heißt es. Stimmt das aus Ihrer Sicht?

Lisz Hirn: Mir scheint, als wären wir in Österreich endgültig aus dem "politischen Dornröschenschlaf" erwacht und wissen nicht, was sonst noch gehen könnte. Wir sind politische Gewohnheitstiere geworden. Die Wahlanfechtung der FPÖ und nun die neuerlichen Probleme mit den Wahlkuverts, all das stellt uns vor Herausforderungen, die wir so nicht kannten. Und mit denen wir uns jetzt - wohl oder übel - beschäftigen müssen.

Davon abgesehen frage ich mich, wann wir glauben, dass Politik funktioniert? Wenn keiner streitet und Konsens herrscht? Politik, so bringt es Jacques Rancière auf den Punkt, ist nicht die Kunst, eine Gemeinschaft zu führen, das ginge auch nur mithilfe der Polizei und des Militärs. Politik besteht vielmehr genau dann, wenn Subjekte die vorgegebenen gesellschaftlichen Bedingungen infrage stellen und darüber in Streit treten. Genau das sehe ich aber durch dieses merkwürdige Phänomen einer vermeintlichen Political Correctness gefährdet.

Wenn Norbert Hofer vom "grünen faschistischen Diktator" spricht, der Van der Bellen sein soll, weil er sich weigert, eine FPÖ geführte Regierung anzugeloben: Tut er das, weil er weiß, dass dies im gegnerischen Milieu zu Aufregung führen wird? Weil er bewusst politisch unkorrekt provozieren will?

Es führt nicht nur im gegnerischen Milieu zu Aufregung. Starke Begriffe führen zu starken Emotionen. Das ist nichts Neues, alle Parteien versuchen, im Wahlkampf Emotionen zu erzeugen. Mit dem zitierten Ausspruch hat die FPÖ gefinkelt versucht, die gegnerische Seite mit den eigenen Waffen zu schlagen. In dem Moment, in dem der Begriff "grüner faschistischer Diktator" bewusst benutzt und damit zu einer willkürlichen Beschimpfung gemacht wurde, wird der Ausdruck banalisiert.

Der Begriff beinhaltet ja eigentlich den Vorwurf eines bestimmten politischen Gedankenguts - und trotzdem wird seitens der eigentlich Belasteten so getan, als könnte der "schwarze Peter" einfach weitergegeben werden.

Haben wir es hier mit einem Ping-Pong-Spiel der politisch korrekten/politisch unkorrekten Kommunikationsweise zu tun? Welche Rolle spielt politisch korrekte Sprache dabei?

In einer Gesellschaft, in der "Wohlfühlen" auf allen Ebenen, die höchste Priorität genießt, wird Political Correctness hoch geschätzt. Auch in der Politik. Man bleibt seiner Klientel treu, kann unangenehme Meinungen kategorisch ausklammern und es sich bequem in der eigenen Blase einrichten. Das relativ junge Phänomen politische Korrektheit wird besonders von den Gruppen geschätzt, die den Konsens lieben und nach mehr sozialer Legitimität streben. Alles gut und schön.

Das Problem ist aber, dass wir mit unserem Streben nach oberflächlicher Korrektheit in eine, um Slavoj Zizek zu zitieren, "Euphemismus-Tretmühle" geraten. Neuschöpfungen und Euphemismen allein verhindern, geschweige denn lösen die tatsächlichen Ursachen von Rassismus, Sexismus und Behindertenfeindlichkeit nicht, sondern verschieben sie. Das muss die Linke einsehen. Es reicht nicht, ständig neue Begriffe zu konstruieren und den Zeigefinger zu heben. Wesentlich ist doch, dass sich mit den Begriffen auch die sozialen und politischen Umstände ändern.

Passiert das denn nicht? Was bewirkt es beispielsweise, wenn Politiker in Radio- oder TV-Interviews bewusst das Binnen-I "sprechen" - also nur mehr die weibliche Form verwenden?

Natürlich ist es eine bewusste, strategische Entscheidung, mit der Politiker viel über sich verraten. Eine schwierige? Für manche noch eine ungewohnte. Ich finde aber die Sichtbarmachung der Frauen im Schriftbild sehr begrüßenswert. Das Binnen-I ist, gerade bei amtlichen Dokumenten, mehr als Political Correctness.

Es hat sich dadurch sehr wohl einiges verändert in der Selbstwahrnehmung vor allem junger Frauen. Das weiß ich aus meinen Projekten mit Jugendlichen. Wenn die FPÖ diese Sichtbarmachung für unnötigen Aufwand hält, dann verrät sie viel über ihr gesellschaftliches Bild und Programm. Allerdings halte ich es für kontraproduktiv, nur mehr die weibliche Form zu sprechen. Das weckt Aggressionen, weil es wiederum ausschließt.

Gibt es zwei Sphären, eine "digitale" und eine im "echten Leben", und Letztere ist von der Political-Correctness-Dynamik nicht so stark beeinflusst?

Von welchem "echten Leben" sprechen Sie? Für mich ist die Grenze der Political Correctness erreicht, wenn der freie Austausch von Ideen zugunsten eines komplett gegen Kritik abgesicherten Raumes, eines "Safe Space", beschränkt wird und der Sprechende Angst haben muss, seine Meinung - oder zum Beispiel auch wissenschaftliche Ergebnisse - zu äußern, um nicht unabsehbare Dissonanzen bei den Zuhörern hervorzurufen.

Heute wird tatsächlich darüber diskutiert, ob manche Shakespeare-Stücke aufgrund obszöner oder brutaler Szenen überhaupt noch im Unterricht gelesen werden sollen oder Kant nicht aufgrund mehr oder weniger eindeutiger Aussagen des Rassismus und der Misogynie schuldig ist und damit nicht mehr in den aktuellen Lehrplan gehört. Alles nach dem Motto "Was mich beunruhigen könnte, will ich gar nicht hören." Wer sich für den "Safe Space" entscheidet, ändert gar nichts. Der Schutz ist trügerisch. Es gibt kein Recht auf Behaglichkeit. Schon gar nicht in der Politik.

Ist politisch korrekte Sprache in der Realpolitik Ausdruck einer analog verlaufenden Wahrnehmung - also quasi, was nicht ausgesprochen werden darf, kann auch nicht sein?

Es gibt Situationen, Umstände und Fakten, die tun dem Ego manchmal weh. Will man diese ändern, weil man sich etwa moralisch angesprochen fühlt, dann müssen sie direkt angesprochen werden, ein offener, möglichst unaufgeregter Diskurs muss möglich sein und nicht rückhaltloses Schimpfen gegen Menschen anderer Meinung.

Ich finde es bedauerlich, dass beispielsweise das Wort "Gutmensch" zu einem derartig negativen Begriff degradiert wurde. Hier werden Menschen, die sich für andere einsetzen, sukzessive abgewertet, dabei tragen sie in Wahrheit zu mehr innerer Sicherheit bei. Ich finde es bedenklich, wenn das rechte Lager die sozial schwachen Österreicher gegen die sozial schwachen Flüchtlinge ausspielt, anstatt die sozial stärksten Österreicher in die finanzielle Verantwortung zu nehmen. Ist das gerecht? Umverteilung geht anders.

Was müsste Ihrer Meinung nach geschehen, damit die Dynamik von "Angreifen" und "Verletzen" wieder zu einem fruchtbaren Diskurs werden kann?

Man darf nicht vergessen, dass es Leute gibt, die davon profitieren, dass die Lager "verfeindet" sind und dies noch vorantreiben. Dem gilt es, etwas entgegenzusetzen. Hier braucht es auch Intellektuelle, die mit Dissonanzen, also irritierenden Ideen oder Angriffen umgehen, diese reflektiert und unaufgeregt diskutieren und ihnen etwas "Handfestes", also etwas logisch und moralisch Nachvollziehbares entgegensetzen können.

Nur das Pochen auf Political Correctness in der politischen Alltagssprache reicht bei Weitem nicht aus und wird weder Beschimpfungen, Shitstorms noch gesellschaftliche Desavouierungen verhindern. Kritik kann dann etwas verändern, wenn sie konstruktiv, logisch nachvollziehbar und empathisch geäußert wird. Empathie zeigen heißt aber nicht, alles gutzuheißen, sondern lediglich andere Meinungen und Urteile verstehen zu wollen. Schließlich macht die Unterschiedlichkeit der Meinungen Demokratie nach meinem Verständnis erst aus.

Zur Person

Lisz Hirn (32)

ist als Philosophin und Dozentin in der Jugend- und Erwachsenenbildung tätig sowie als freiberufliche Künstlerin an internationalen Kunstprojekten beteiligt. Seit Oktober 2015 ist sie Research Fellow am Forschungsinstitut für Philosophie Hannover. Ihr aktuelles Jugendprojekt "Trips4Tips" bietet jungen Schulabbrechern die Möglichkeit zu universitärer Weiterbildung.

Buch zum Thema: "Macht und Illusion. Wie Medien unsere Auffassung der Wirklichkeit beeinflussen" (2014).