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Es gibt keine absolute Sicherheit

Von Markus Figl

Gastkommentare

Gesellschaftliche Lehren aus der Wiener Terrornacht des 2. November 2020.


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Schnell kann es gehen, und plötzlich ist alles anders. Am Abend des 2. November 2020 erschütterte uns ein Ereignis, das uns mit voller Wucht traf und nachhaltig zum Nachdenken anregt. Mitten unter uns starben Menschen eines gewaltsamen Todes, und uns wurde bewusst gemacht, wie verwundbar unsere Gesellschaft sein kann. Ich darf einen kurzen, persönlichen Blick zurück auf diesen Abend werfen und ein paar grundsätzliche Anmerkungen darüber zusammenfassen.

Der 2. November hätte ein Tag wie jeder andere werden sollen, ein Abend, an dem die Menschen in die Innere Stadt strömten, um einander ein letztes Mal vor den erneuten Ausgangsbeschränkungen persönlich zu sehen. An jenem Abend befand ich mich an meinem Arbeitsort im Alten Rathaus in der Wipplingerstraße. Nach einer erfolgreichen Klubsitzung plauderten die Bezirksrätinnen und Bezirksräte miteinander und gingen gemütlich nach Hause. Da ereilte uns Zurückgebliebene plötzlich die Nachricht: ein Terroranschlag! Mitten in Wien, in der Inneren Stadt, in unmittelbarer Nähe!

Gebannt verfolgen wir die Nachrichten im TV und in den Sozialen Medien. Noch gut in Erinnerung ist mir die Verwirrung, die es damals gab. Von mehreren Attentätern und etlichen Anschlagsorten verteilt über die Innenstadt spricht man. Das jedoch sollte sich zum Glück als falsche Vermutung herausstellen. Rasch reagiert haben jedenfalls die Einsatzkräfte. Einsatzfahrzeuge sind unterwegs, und wir sehen die errichteten Kontrollpunkte.

Wir telefonieren mit den Behörden, um Hintergrundinformationen zu erhalten. Wir nehmen Kontakt mit unseren Kolleginnen und Kollegen auf: Sind alle gut nach Hause gekommen? Gott sei Dank, ja. Dazwischen noch Telefonate mit der Familie. Alles in Ordnung, aber an ein Heimgehen ist derzeit nicht zu denken. Besorgte Bürgerinnen und Bürger wenden sich an uns, bis spät in die Nacht hinein erhalte ich Anrufe, kann beruhigen und bin bemüht, auch in Interviews nur gesicherte Informationen weiterzugeben. An Schlaf ist in diesen Stunden noch lange nicht zu denken.

Wir müssen wachsam sein

Am nächsten Morgen hat sich die Lage beruhigt, aber ich spüre die Verunsicherung. Der Ausgang ist tragisch, vier unschuldige Menschen wurden ermordet, es gibt zahlreiche Verletzte. Der Attentäter wurde erschossen, bevor noch Schlimmeres passieren konnte. Es kann Entwarnung gegeben werden, dass mit keinen weiteren Attacken zu rechnen ist. Das Polizeiaufgebot in der Inneren Stadt ist trotzdem groß, es wird eine Sperrzone eingerichtet. Aber das gibt auf der anderen Seite auch ein Gefühl der Sicherheit.

Doch was bleibt, außer persönlichen Erinnerungen, von dieser Nacht? Erstens die ernüchternde Tatsache, dass es in der globalisierten Welt, in der wir leben, keine absolute Sicherheit gibt. Den Einsatzkräften, die in dieser Nacht Außergewöhnliches geleistet haben, können wir für ihren Einsatz in dieser herausfordernden Situation sehr dankbar sein. Sicherheit ist ein hohes Gut, und wir müssen wachsam sein, um uns für alle Fälle mit Augenmaß so gut wie möglich vorzubereiten.

Zweitens die wiederkehrende Einsicht, dass nicht jede verbreitete Nachricht auch den Tatsachen entspricht. In dieser Nacht geisterten einige Gerüchte durch den Äther, die sich dann als Fehlinterpretationen herausgestellt haben. Dabei möchte ich in diesem Fall niemandem Absicht unterstellen, ich gehe hier vielmehr von der Emotion des Augenblicks aus. Jedoch sind das Aufbauschen und das daraus entstehende Panikpotenzial nicht zu unterschätzen. In Krisensituationen sind wir alle aufgefordert, unseren Beitrag zu leisten und Informationen möglichst nüchtern und tatsachenorientiert weiterzugeben.

Zusammenhalt statt Spaltung

Drittens die wohltuende Erkenntnis, dass dieses Ereignis nicht zu einer Spaltung, sondern zu einem spontanen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft geführt hat. Die Ermordeten hatten Familien, die nun trauern. Es gab Verwundete, und erst die Zeit würde zeigen, ob sie gesund würden. Viele Menschen bringen Kerzen, Blumen und Botschaften zu den Tatorten, gedenken dort in Stille. Die Bundes- und die Stadtregierung zeigen durch Kranzniederlegungen einheitliche Solidarität. Auch der 1. Bezirk setzt dieses Zeichen, symbolisch treffen sich alle Fraktionen zum stillen Gedenken.

Es wird kein politisches Kleingeld gewechselt. Auch in der Rede des Bundespräsidenten merkt man die Betroffenheit, aber auch den Willen, für unsere Werte wie Demokratie und Freiheit einzustehen. Besonders berührend fand ich den Trauergottesdienst auf Initiative von Kardinal Christoph Schönborn am darauffolgenden Abend im Stephansdom. Es war auch ein wichtiges Zeichen des gesellschaftlichen Zusammenhalts, denn am Gottesdienst nahmen führende Persönlichkeiten der katholischen, evangelischen und orthodoxen Kirchen sowie der islamischen Glaubensgemeinschaft und der Israelitischen Kultusgemeinde aktiv teil. Terror und Attentate dürfen unsere gemeinsame Basis, unsere Werte und unsere Lebensweise nicht zerstören, sondern müssen von uns gemeinsam überwunden werden.