Patriarch Gregorius III. Laham, der höchste katholische Würdenträger im Nahen Osten, sagt, dass die syrische Opposition mit Machthaber Assad zusammenarbeiten soll. Und dass der Arabische Frühling Chaos verursacht und die Region gespalten hat.
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Auch er hat ein iPhone: Patriarch Gregorius III. Laham, Oberhaupt der melkitischen griechisch-katholischen Kirche und höchster katholischer Würdenträger im Nahen und Mittleren Osten, ist ein moderner, freundlicher Mann. Der 80-Jährige spricht mit unaufgeregter Stimme in fließendem Deutsch. Er nahm an der vom König-Abdullah-Dialogzentrum (Kaiciid) organisierten Konferenz "United against Violence in the Name of Religion", die diese Woche in Wien stattfand, teil.
"Wiener Zeitung": Wie hat sich die Situation christlicher Glaubensgemeinschaften im Nahen Osten in den letzten Jahren verändert?Patriarch Gregorius III. Laham:Die Christen haben mit den Muslimen in den vergangenen 1400 Jahren - im Großen und Ganzen - gut zusammengelebt. Insbesondere in Syrien, dem Libanon und Jordanien, teilweise auch im Irak und in Ägypten, war die Lage im Allgemeinen gut. Es gab christliche Schulen, Kirchen, Universitäten und Waisen- und Krankenhäuser. Die Situation hat sich nun sehr verschlechtert - der Irak, Syrien und der Israel-Palästina-Konflikt sind heute die drei Hauptprobleme des Nahen Ostens.
Wodurch hat sich die Situation denn so verschlechtert?
Durch das ganze Chaos, das der Arabische Frühling verursacht hat. Ich habe immer gesagt, dass wir nicht vor den Muslimen Angst haben müssen, sondern vor Revolutionen, Einwirkungen von außen und der Spaltung des Islams und der arabischen Staaten. Denn solche Entwicklungen trennen Menschen, die jahrelang problemlos miteinander gelebt haben. Der Arabische Frühling hat zu so einer Spaltung der arabischen Welt geführt.
Also betrachten sie die Entwicklungen des Arabischen Frühlings als negativ? Immerhin haben die verschiedenen Demokratiebewegungen und Revolutionen zum Sturz von Diktatoren wie Hosni Mubarak in Ägypten geführt.
Wir sind schon so weit gekommen, dass es mittlerweile 160.000 Tote in Syrien gibt. Täglich gibt es Explosionen im Irak und in Syrien, täglich sterben Menschen. Ein echter Arabischer Frühling kann nur kommen, wenn die arabische Welt sich wieder versöhnt. Die Versöhnung ist die Zukunft der arabischen Welt und der Christen im Nahen Osten. Wenn die Araber sich einig sind, sind wir gerettet. Wenn die Araber gespalten sind, sind wir die ersten Opfer.
Wird diese Spaltung auch von ausländischen Kräften verursacht?
Ja. Warum nehmen die USA und Europa nicht alle arabischen Länder in die Allianz gegen den Islamischen Staat (IS) auf, sondern nur einen Teil von ihnen? Dadurch wird eine Spaltung verursacht und auch der Kampf gegen IS abgeschwächt. Die Zukunft für uns und Europa liegt in der Arabischen Union. In Europa gibt es seit 50 Jahren die EU. Ich hoffe, Europa versucht, so eine Union auch in der arabischen Welt aufzubauen. Dadurch hätten sie auch einen guten Partner.
Wie soll so eine Arabische Union denn ausschauen?
Das Problem zwischen Schiiten und Sunniten ist ein altes Problem. So akut wie jetzt war es aber noch nie. Es gibt ja bereits die Arabische Liga, aber die ist eben gespalten. Es wäre viel zu tun: Wir brauchen eine gemeinsame Währung, gemeinsame Statuten, eine Abschaffung der Grenzen. All das ist möglich: Alle Beteiligten sind Araber, die meisten sind Muslime.
Wie kann man die Differenzen jetzt aber konkret überwinden?
Die Differenzen zwischen Schiiten und Sunniten sind nicht so stark, wie man glaubt. Ich bin zwar Syrer, aber ich habe die meiste Zeit im Libanon gelebt. Im Südlibanon, wo Schiiten, Drusen, Sunniten und Palästinenser leben, sind bis zum Libanonkrieg diese Gruppen normal miteinander ausgekommen. Schiiten und Sunniten haben nicht immer gegeneinander gekämpft. Durch die Allianz der USA mit Saudi-Arabien und Katar gegen Syrien und den Iran wird die Spaltung von außen geschürt und dadurch kommen die Probleme zwischen Sunniten und Schiiten hoch.
Der Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten ist also ein von außen kreiertes und kein innerislamisches Problem?
Es ist schon lange ein inneres Problem. Aber es war nie so akut, dass es den Alltag beeinflusst hat. Vor dem Arabischen Frühling haben wir keine Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten gespürt. Vor dem Arabischen Frühling herrschte in Syrien zwischen den religiösen Gruppen Harmonie. Warum gibt es also jetzt die Spannungen?
Spielen da auch der Krieg in Afghanistan und die US-geführte Invasion des Irak eine Rolle?
Nicht unbedingt. Wenn aber Russland, Europa und die USA gemeinsam eine Lösung, einen Deal für ihre Interessen im Nahen Osten finden: Dann lässt sich auch der Nahe Osten beruhigen. Lassen Sie Demokratie und Freiheiten vorerst beiseite - das ist schon teilweise da und kann langsam wachsen. Wir müssen natürlich daran arbeiten, dass es mehr Freiheiten für alle und mehr Demokratie gibt. Das kann man aber nicht im Krieg, sondern nur im Frieden erreichen.
Bezüglich Syrien: Inwiefern muss in den Friedensprozess der syrische Machthaber Bashar al-Assad einbezogen werden?
Wir haben heute in Syrien eine Regierung, die trotz all der Probleme vieles in der Hand hat und fähig ist, viel zu unternehmen. Die Opposition hingegen ist gespalten, in ihr bewegen sich zahlreiche Untergruppierungen und Söldner. Was kann die machen?
Die Regierung ist aber auch für ihre zahlreiche Menschenrechtsverletzungen - unter anderem Folter - bekannt.
Folter gibt es sogar in Guantanamo durch die USA...
Aber weil es die USA machen: Das ist keine Verteidigung.
Das sage ich auch nicht. Ich sage nur, dass das kein Grund sein kann, um gegen Assad Krieg zu führen. Wenn wirklich einmal Frieden herrscht, kann man vieles erreichen. Anderseits: Wir haben keine Alternative. Kein Programm. Keine echte Opposition. Wohin sollen wir gehen, wenn nur mehr und mehr Waffen nach Syrien geliefert werden? Wir können doch einen anderen Weg finden als Krieg. Es muss eine allgemeine Allianz gegen den Islamischen Staat geben.
An dieser Allianz sollte also auch Assad beteiligt sein?
Es hängt nicht alles von Assad ab. Es gibt aber keine Alternative zu ihm. Deswegen sollte man Assad unter gewissen Bedingungen einbinden. Es braucht eine gemeinsame europäische, russische und amerikanische Haltung gegenüber Assad. Wenn er sich nur durch die Unterstützung Russlands hält, ist das keine Lösung. Wichtig ist die Einheit.
Sie halten Assad für reformfähig?
Man hat unter Assad schon viele Reformen eingeführt. Es gab natürlich auch Schattenseiten. Aber die Lösung dafür ist nicht der bewaffnete Kampf.
Was ist mit der syrischen Opposition? Soll sie mit Assad zusammenarbeiten?
Ja, die wirkliche syrische Opposition, nicht diese ganzen verschiedenen, von außen kommenden Gruppen. In meiner Stellung als Patriarch habe ich die Opposition bereits zu Gesprächen nach Damaskus eingeladen.
Der Großmufti von Jordanien, Scheich Abdul Karim al-Khasawneh, hat in einem Interview mit dieser Zeitung gesagt, dass Gewalt im Rahmen der Religion keine Tradition im Islam hat. Stimmen Sie ihm zu?
1400 Jahre haben Christen und Moslems in Syrien, dem Libanon, Jordanien, Ägypten, Irak und Kuwait miteinander relativ friedlich gelebt. Natürlich gab es auch Probleme, aber nicht so viele kriegerische Auseinandersetzungen wie in Europa. Denken Sie an den 30-Jährigen, den 100-Jährigen Krieg, den Ersten und Zweiten Weltkrieg. Unsere Tradition ist eher friedlich als kriegerisch.
Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die Rolle des Islamischen Staates, der auf brutalste Weise gegen Andersgläubige vorgeht?
Der Islamische Staat ist weder ein Staat, noch ist er islamisch. Die Gefahr ist aber groß, weil dahinter eine Ideologie steckt, die mithilfe einer weltweiten Allianz bekämpft werden muss. Denn der IS ist für uns alle eine Gefahr: Für Araber, Muslime, Christen und Europäer. Auch die Muslime, die in Europa leben, werden durch den Islamischen Staat beeinflusst.