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Die Corona-Krise könnte für die Europäischen Union existenzbedrohend werden.
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Nein, es werde keine Fristverlängerung geben, sagte der britische Vize-Premierminister Michael Gove am 11. März klipp und klar vor dem Brexit-Ausschuss des britischen Unterhauses. Der Vorschlag, die Verhandlungen über eine neue Handelsbeziehung zwischen der Insel und dem Kontinent wegen des Coronavirusausbruchs abzubrechen, stehe ganz und gar außer Frage. Den Brexit in seinem Lauf halte weder Ochs noch Esel auf.
Premierminister Boris Johnson wählte in der Corona-Krise zunächst einen grundlegend anderen Ansatz als seine europäischen Amtskollegen, ehe er am Montag doch umschwenkte. Die Sturheit seines Ministers war ebenso repräsentativ für seine unrealistische und unkoordinierte Reaktion auf die weltweite Pandemie wie die Premier League, die bis Anfang April nicht aufgrund eines Veranstaltungsverbots verschoben wurde, sondern weil Spieler und Trainer positiv auf Covid-19 getestet wurden. Ohne Arsenal-Trainer Mikel Arteta hätten womöglich auch vergangenes Wochenende noch zehntausende Fans in England Fußballspiele besucht.
Trotz gegenteiliger Beteuerungen ist es freilich undenkbar, dass die Brexit-Gespräche unter diesen Umständen weitergehen können. Aus praktischen Gründen können beide Seiten derzeit nicht nach Brüssel oder London fliegen und sich persönlich treffen. Teleworking wäre auch nur bedingt praktikabel. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass ein geplantes Treffen des gemeinsamen Ausschusses für die Umsetzung des Austrittsabkommen am 30. März stattfinden wird.
Aufseiten der EU sind die Brexit-Handelsgespräche eine unnötige Ablenkung zu einer Zeit, in der die verbleibenden Mitgliedstaaten über ihre Maßnahmen gegen das Coronavirus abstimmen müssen. Die Pandemie hat kurzfristig zur Wiedererrichtung der Staatsgrenzen in Europa geführt, und das nationale Interesse hat nun Vorrang gegenüber europäischer Solidarität und Freundschaft. Die Corona-Krise könnte für die Europäischen Union existenzbedrohend werden.
Für Großbritannien wäre es reiner Wahnsinn, am Ende des Jahres seine gesamte Wirtschaftsbeziehung mit der EU auf den Kopf zu stellen, wenn die Weltwirtschaft sich auf eine Rezession zubewegt. Die britische Wirtschaft ist schon jetzt in einem fragilen Zustand und hat in den ersten drei Monaten seit dem Brexit stagniert. Trotz der Coronavirus-bezogenen Wirtschaftsmaßnahmen über 13 Milliarden Euro, die Finanzminister Rishi Sunak am 11. März bekanntgegeben hat, warnten damalige politische Entscheidungsträger der Bank of England, eine Konjunkturflaute im Vereinigten Königreich sei fast unvermeidbar.
Die Brexit-Übergangsphase, während der Großbritannien und die EU ein neues Handelsabkommen vereinbaren müssen, endet am 31. Dezember. Aber die zwei Parteien haben bis Ende Juni Zeit, eine Erstreckung zu verhandeln. Obwohl dies in gewissem Sinne nicht wünschenswert wäre, gibt es eigentlich keine Alternative zu einer Verlängerung der Übergangsperiode bis Ende 2021 oder 2022. Es wäre völlig verantwortungslos, ein Streichholz anzuzünden, wenn ganz Europa ein Pulverfass ist.