Georgischer Minister Petriaschwili über Zerrissenheit zwischen EU und Moskau.
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"Wiener Zeitung": Wie beurteilen Sie die Situation in Kiew?
Aleksi Petriaschwili: Die Lage ist dramatisch. Sie ist nicht nur für die Ukraine gefährlich, sondern auch für die gesamte Östliche Partnerschaft. Europa und die internationale Gemeinschaft sollten sich stärker involvieren, um eine weitere Eskalation zu verhindern. Die Krise erreicht gerade ihren Höhepunkt.
Georgien befindet sich in der gleichen Lage wie die Ukraine - zwischen Russland und der EU. Wie schwierig ist es, eine Balance zwischen den beiden Seiten zu finden?
Das ist keine einfache Aufgabe, aber eine schaffbare. Eine Normalisierung der Beziehungen mit Russland widerspricht nicht unseren Bestrebungen, ein EU-Mitgliedsland zu werden. Wir müssen unsere russischen Nachbarn davon überzeugen, dass die EU-Integration von Georgien gegen niemanden gerichtet ist, auch nicht gegen Russland. Ein prosperierendes und demokratisches Georgien ist für alle Seiten nur von Vorteil. Wir hoffen, dass man das international auch bald so versteht. Aber das dauert natürlich, es erfordert Energie und Kompromisse, Konsultationen und Dialog. Wir haben einerseits den Dialog mit Russland und bewegen uns andererseits beim Assoziationsabkommen mit der EU vorwärts, das wir ohne jeden Zweifel noch in diesem Sommer unterzeichnen.
Warum tut sich Georgien hier offenbar leichter als die Ukraine?
Vor allem herrscht in Georgien Einigkeit über die Ziele der Außenpolitik. 80 Prozent der Georgier wollen ihr Land in der EU und Nato sehen. Georgien ist klein, es ist einfacher, das Land zu reformieren, die Industrie zu modernisieren und an EU-Standards anzupassen. Nicht zuletzt sind wir nun weniger abhängig, Russland hat heute weniger Karten in der Hand.
Haben Sie Druck verspürt von der EU oder Russland, in welche Richtung sich das Land bewegen soll?
Definitiv nicht von der EU. Aber von Russland - als wir letztes Jahr den Prozess beim EU-Assoziationsabkommen beschleunigt haben, hat parallel dazu die sogenannte Borderization (Errichtung von Grenzzäunen, Anm.) auf georgischem Territorium wieder eingesetzt (Russland errichtet diese etwa auf dem Gebiet Südossetiens, einer abtrünnigen autonomen Region, die völkerrechtlich zu Georgien gezählt wird, Anm.). Das war ein Test für unsere Regierung, und wenn man auf diese Aktionen scharf reagiert hätte, wäre schon eine Eskalation möglich gewesen. Wenn Besatzungskräfte gerade mal vierzig Kilometer von der eigenen Hauptstadt entfernt stehen, muss man vorsichtig sein und jeden Schritt genau kalkulieren. Aber wir sind sehr pragmatisch in unseren Beziehungen mit Russland und sind auch sehr klar und offen, wenn es um unsere außenpolitischen Prioritäten geht.
Georgien hat Schritte gesetzt, um auf Russland zuzugehen - etwa die Visapflicht für Russen aufgehoben oder unilateral einen Gewaltverzicht erklärt. Gleichzeitig hat Russland die Borderization verstärkt ...
Ich nenne das auch "Zeichnen der Okkupationslinien". Denn in Wirklichkeit ist es die Errichtung einer Berliner Mauer des 21. Jahrhunderts auf dem Boden eines unabhängigen, souveränen Nachbarstaats. Das ist inakzeptabel für uns, wir haben unsere starken Bedenken ausgedrückt und die internationale Gemeinschaft mobilisiert. Diese Woche wurden - mit der Begründung der Verstärkung der Sicherheitsmaßnahmen für die Olympischen Spiele - die Grenze und Checkpoints wieder um elf Kilometer weiter innerhalb des georgischen Territoriums in Abchasien verlegt. Das ist Teil einer komischen Strategie. Aber ungeachtet all solcher Aktionen gibt es keine Alternative zum Dialog mit Russland. Genauso wie es keine Alternative zur Integration Georgiens nach Europa gibt.
Können Sie die russischen Bedenken auch nachvollziehen? Es gab bereits im Vorfeld der Spiele terroristische Angriffe und es gibt immer wieder Behauptungen, dass Rebellen Georgien als Brücke verwenden, um in die südrussischen kaukasischen Unruhegebiete zu reisen und Waffen zu schmuggeln.
Dieses Problem haben die Russen am ganzen Kaukasus, und es ist sehr schwer für sie, dagegen vorzugehen. Es gab diese Anschuldigungen, die könnten wir auch nach den Olympischen Spielen wieder zu hören bekommen - ich hoffe sehr, dass dies zu keinem Nährboden wird, um die Situation eskalieren zu lassen. Wir selbst haben angeboten, gemeinsam mit Russland terroristische Aktivitäten zu bekämpfen, aber das wurde ignoriert. Aber wir sind weiterhin dazu bereit.
Wie zufrieden sind Sie mit der EU-Annäherung? Wie realistisch ist ein EU-Beitritt Georgiens wirklich?
Wir haben hier sehr gute Dynamiken. Und Georgien wird definitiv der EU beitreten, darüber gibt es keine Zweifel. Wir haben eine sehr dichte Agenda mit der EU und arbeiten in den prioritären Feldern Agrar, Justizreform und Reform des öffentlichen Sektors eng zusammen. Wenn alles glatt geht, dann ist es Ende dieses Jahrzehnts soweit, zu sagen, wir sind bereit, Beitrittsgespräche zu eröffnen. Vielleicht sogar früher.
Wie bereit ist Georgien für Europa? Wenn wir uns etwa den Justizbereich ansehen – mehrere Vertreter der ehemaligen Regierung wurden verhaftet und angeklagt. Ist das nicht selektive Justiz?
Es gibt keine selektive Justiz in Georgien. Der EU-Sondergesandte Thomas Hammerberg hat einen Bericht über die Lage der Menschenrechte in Georgien veröffentlicht. Darin unterstrich er, dass das Gerichtssystem in Georgien offener ist als zuvor, die Medien freier sind als früher. Die High-Profile-Prozesse, die Sie ansprechen, stehen unter täglicher Beobachtung von internationalen Organisationen wie der OSZE. Die Medien haben den Zugang zu den Prozessen. Der Ausgang der Prozesse wird nicht von der Regierung kontrolliert wie früher. Ich kann Ihnen sagen, dass es keine Versuche politischer Rache an ehemaligen Regierungsmitgliedern gibt.
Georgien ist der größte Nicht-Nato-Truppensteller in Afghanistan mit aktuell 1560 Soldaten am Hindukusch und beteiligt sich auch an anderen internationalen Missionen – ungeachtet dessen, dass alleine in Afghanistan bereits 29 Soldaten im Einsatz umkamen.
Ja. Wir haben zudem angekündigt, dass Georgien auch nach 2014 in Afghanistan bleiben wird. Die Georgier sind bereit, afghanische Sicherheitskräfte auszubilden und zur Sicherheit im Land beizutragen. Wir haben auch beschlossen, dass es keinen verfrühten Teilabzug aus Afghanistan gibt, bevor nicht die Mission beendet ist und das wir bis dahin mit der gleichen Anzahl von Soldaten bleiben werden ungeachtet schwerer Verluste für Georgien, vor allem im letzten Jahr. Wir wissen, dass wenn wir Sicherheit konsumieren wollen und diese auch verlangen, müssen wir auch dazu beitragen. Wir sind bereit, weiterhin unseren Beitrag zu leisten zu internationaler Sicherheit und im Kampf gegen den Terrorismus. Wir sind auch in Afghanistan, um die Sicherheit in Georgien langfristig zu garantieren.
Aber Motivation ist doch auch der angestrebte Nato-Beitritt?
Wir nehmen an internationalen Missionen teil - wir waren im Kosovo, im Irak, jetzt ist es Afghanistan – auch, damit Tausende von georgischen Offizieren und Soldaten daran teilnehmen, und unsere Streitkräfte besser auf die Nato-Truppen abgestimmt werden. Es ist wichtig, gut ausgebildete und ausgestattete Soldaten in unserem Land zu haben, um auf jegliche Herausforderungen antworten zu können, die auf uns warten könnten.
Ist hier ein weiterer Grund nicht auch, dass im Jahr 2008 (Jahr des militärischen Konflikts mit Russland) Ihre Armee in Wirklichkeit fast nur auf Ausschreitungsbekämpfung trainiert war und nicht auf Angriff und Verteidigung?
Die georgischen Streitkräfte müssen für alle Gefahren und Herausforderungen trainiert sein. Ja, wir hatten früher Probleme, die Reformen diesbezüglich sind am Laufen und die Erfolge werden von der Nato und anderen strategischen Partner hoch eingeschätzt.
Wenn man jetzt all diese bisherigen Bemühungen und auch die Verluste, die Georgien gemacht hat in ihnen, einbezieht – erwarten Sie sich von der Nato auf Ihrem heurigen Gipfel im Herbst einen Membership Action Plan?
Das ist nicht miteinander verbunden. Die Einsätze sind Langzeitbeiträge, die wir zur Sicherheit leisten wollen und eines der Kriterien, die uns für Nato-Mitgliedschaft qualifizieren. Die andere ist die Konsolidierung der Demokratie im Land. Wir haben erfolgreich Parlaments- und Präsidentschaftswahlen abgehalten und hoffen sehr, dass sich die Fortschritte im September in der Entscheidung der Nato adäquat widerspiegeln wird. Aber egal wie die Entscheidung ausfällt, nichts wird unsere außenpolitischen Ziele ändern, wir werden weiter an der euro-atlantischen Integration arbeiten. Georgien wird ein Nato-Mitgliedsstaat werden, wir müssen nur darüber diskutieren, wann und wie.