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"Es gibt keine andere Möglichkeit"

Von Reinhard Göweil

Politik
Politologin Ulrike Guerot (l.) und EU-Abgeordnete Evelyn Regner (M.) sind geteilter Meinung über Emmanuel Macrons Vorschlag.

Emmanuel Macron, Frankreichs Wirtschaftsminister, fordert Euro-Wirtschaftsregierung - Politexpertin Guerot findet das gut.


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Alpbach. "Wollen wir die Neugründer Europas sein - oder seine Totengräber?" Mit dieser Frage begründet der französische Wirtschaftsminister Emmanuel Macron seine Vorschläge für eine Neuorganisation der EU. In einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" sagte er, "der Status quo führt in die Selbstzerstörung, politisch und ökonomisch." Macron forderte einen "Euro-Kommissar" mit weitreichenden Befugnissen, kontrolliert von einem eigenen "Euro-Parlament".

Damit würden sich die 19 Euroländer von den restlichen neun EU-Mitgliedern stark entkoppeln. Denn Macron will über diesen Euro-Kommissar, der in Wahrheit eine Wirtschaftsregierung darstellt, einen Finanzausgleich über die derzeit 19 Euroländer legen. Der Kommissar soll über beträchtliche eigene Mittel verfügen und auch ein Mitspracherecht in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik der einzelnen Länder haben. "Je mehr Mittel, desto besser", so Macron. Dazu ist eine EU-Vertragsänderung notwendig, Frankreich will dies bis 2019 umsetzen.

In Alpbach beim Europäischen Forum wurde dieser Vorschlag gemischt aufgenommen. Evelyn Regner, SP-Delegationsleiterin im Europaparlament, hat grundsätzlich damit keine Freude. "Wir wollen keine eigenen Euro-Institutionen, weil dies ein Eingeständnis ist, dass es in Europa nur mit verschiedenen Geschwindigkeiten geht." Sie bezeichnete Macrons Vorschlag als "Notbremse". "Wenn er mit so was in die Öffentlichkeit geht, steht es ernst um Europa."

Riss quer durch die Parteien

Seine Analyse, dass der Status quo selbstzerstörerisch ist, teilt Regner allerdings. "Wir sehen in vielen Bereichen, etwa aktuell auch bei den Flüchtlingen, dass die EU keine Lösungen findet."

Weder bei den europäischen Sozial- noch bei den Christdemokraten gibt es eine einheitliche Position zu diesem Thema der Vertiefung der Eurozone. "Die kulturellen Unterschiede innerhalb Europas sind enorm", sagte auch Alexander Schallenberg vom österreichischen Außenministerium. "Wenn wir von einer europäischen Wirtschafts- und Sozialpolitik sprechen, müssen wir die Frage beantworten: Welche davon? Da gibt es beispielsweise schon zwischen Österreich und Schweden große Unterschiede, von den osteuropäischen Partnern ganz zu schweigen."

Ganz anders hört sich das bei Ulrike Guerot an, einer deutschen Politwissenschafterin, die das "European Democracy Lab" gründete. "Ich halte das für einen genialen Vorschlag. Das ist der Vorschlag eines Kerneuropas, den wir schon 1994 formuliert haben. Das hat aber nichts mit einem Europa der zwei Geschwindigkeiten zu tun." Guerot ist der Überzeugung, dass eine solche Vertiefung der Eurozone, die mit einer Aufgabe souveräner Rechte der Mitgliedsländer einhergeht, viele Länder motiviert, den Euro einzuführen. Polen wäre so ein Beispiel, aber auch Dänemark.

Denn ohne Euro würden diese Länder - sollte Macrons Vorschlag Realität werden - von Mitsprache und Finanzen ausgeschlossen bleiben. Guerot, die früher Mitarbeiterin von Jacques Delors war, schöpft ihren Optimismus aus einer schlichten Erkenntnis: "Es gibt keine Alternative, nur so ist Europa zu retten."

Europaparlamentarierin Regner glaubt auch, dass Frankreich mit diesem Vorschlag dem britischen Premierminister David Cameron Wind aus den Segeln nehmen wollte. "Die Briten glauben, dass sie vor ihrem Referendum, ob sie in der EU bleiben, Bedingungen diktieren können. Wir sollten darauf drängen, dass zuerst die Briten entscheiden, was sie wollen. Danach reden wir über Vertragsänderungen."

Martin Schulz, Präsident des Europaparlaments, sieht das Hauptproblem in der für Macrons Vorschläge notwendigen EU-Vertragsänderung. Dies erfordert Einstimmigkeit aller 28, und die sei schwierig zu erreichen. Im Grundsatz gibt aber auch er Macron recht, die Euroländer würden eine wirtschaftspolitische Entsprechung zur Gemeinschaftswährung brauchen.

Frankreich fordert allerdings auch Transferleistungen innerhalb dieser neuen Eurozone, die über eigene EU-Mittel verteilt werden sollen. Wie viel das sein könnte, sagte Macron nicht, es gibt aber Vorschläge von Expertengruppen, die dabei von etwa drei Prozent der Wirtschaftsleistung ausgehen. Das wäre ein Betrag in Höhe von circa 300 Milliarden Euro.

Kritiker warnen, dass dies der Einstieg in die sogenannte "Transferunion" sei, schwächere Länder würden sozusagen dauerhaft von den reichen Eurostaaten unterstützt. Das würde jeden Anreiz unterbinden, die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes zu verbessern.

Die französischen Vorschläge sehen allerdings vor, dass dieser Euro-Kommissar auch in die Wirtschaftspolitik eines Landes eingreifen kann - und etwa Arbeitsmarktreformen verlangen kann. Dadurch könnten nationale Regierungen nicht mehr dagegen arbeiten, und die Konvergenz in der Eurozone würde sich so verbessern.

"Ich halte das für nicht besonders klug", sagt dazu der ehemalige EU-Kommissar Franz Fischler zur "Wiener Zeitung". "So bekommt man die Mitgliedstaaten nicht an Bord. Es wäre gut, wenn die Kommission einen Vorschlag dazu machen würde."