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"Es gibt keine Instant-Lösungen"

Von Petra Rathmanner

Politik

Ein Porträt des Erfolgsautors und gefragten Regisseurs Nurkan Erpulat.


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Wien.Sie spucken auf den Boden, fassen sich in den Schritt, brüllen in ihre Handys, und wenn ihnen einer blöd kommt, heißt es: "Willst du sterben, oder was?" Eine Horde jugendlicher Kapuzenjacken-Halbstarker randaliert in einer Schulklasse, schikaniert die Mitschülerinnen und die Lehrerin kann dem Treiben keinen Einhalt gebieten. Soweit die Ausgangssituation in "Verrücktes Blut", in dem sämtliche Klischees von Klassen mit hohem Ausländeranteil genüsslich durchdekliniert werden. Unerwartet fällt der gepeinigten Lehrkraft jedoch eine Pistole in die Hand. Mit gezückter Waffe zwingt die Pädagogin die lernfaule Bande zum Unterricht. Ausgerechnet Schiller steht am Lehrplan: Gewaltsam bringt sie ihren Geiseln die Ideale der Aufklärung bei, für Augenblicke können sich die Schüler von falschen Autoritäten und Lebenslügen freispielen.

Durch "Verrücktes Blut" avancierte Erpulat zum Shootingstar der vergangenen Theaterspielzeit. Das Stück basiert auf dem französischen Film "La journée de la jupe", ein Reißer, der 2009 mit Isabelle Adjani in der Hauptrolle herauskam. Erst in der Bearbeitung von Nurkan Erpulat und dem Dramaturgen Jens Hillje, der lange im Leitungsteam der Berliner Schaubühne war, ist eine tiefgründige Gesellschaftskomödie über den Zusammenprall der Kulturen voll bissiger Pointen und unerwarteter Wendungen entstanden.

Stück des Jahres plus Publikumspreis

Mit der Inszenierung, die bereits zum renommierten Berliner Theatertreffen geladen wurde, hat sich der 38-Jährige zugleich in die erste Reihe der Jungregisseure gespielt. "Verrücktes Blut" wurde zum Stück des Jahres 2011 gewählt, bei den Mülheimer Theatertagen mit dem Publikumspreis ausgezeichnet - und dürfte zudem der Bühnenhit der aktuellen Spielzeit werden. In Wien findet die österreichische Erstaufführung in der Regie von Volker Schmidt in der GarageX (Theater am Petersplatz, 18. Jänner) statt, als Auftakt der zweiten Staffel der postmigrantischen Theaterreihe "Pimp my Integration", die noch bis 10. Februar läuft.

"Mir geht es nicht darum zu zeigen, wie Migrantenkinder sind, sondern wie sie von der Gesellschaft gesehen werden", so Erpulat im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Theater darf keine einfachen Antworten geben, sondern muss Fragen stellen, die uns alle angehen. Gerade beim Thema Migration gibt es keine Instant-Lösungen. Das macht das Stück deutlich, indem es Klischees präsentiert und Identitäten dekonstruiert."

DerSohneines Beamten stammt ursprünglich aus Ankara, hat in Izmir eine Schauspielausbildung absolviert und kam 1998 nach Berlin, um sein Studium an der Ernst Busch Hochschule fortzusetzen - übrigens als erster Türke in der Geschichte der Institution. "Manche Dozenten haben in mir einen Fremdkörper gesehen, das hat es für mich natürlich schwierig gemacht", erinnert er sich an seine Zeit an der Berliner Regieschule. Erpulats Laufbahn begann im Ballhaus Naunynstraße; in der Berliner Off-Bühne wurde auch "Verrücktes Blut" 2010 als Koproduktion mit der Ruhrtriennale uraufgeführt. Derzeit ist Erpulat Hausregisseur in Düsseldorf. In Wien hat er bereits im Volkstheater inszeniert, im April wird er im Haus am Weghuberpark Gorkis "Kinder der Sonne" herausbringen. Erpulat entwickelt seine Stücke mit den Schauspielern; Improvisation ist bei seinem schauspielerzentrierten Regieverständnis wesentlich.

"Das Theater sollte ein Spiegel der Gesellschaft sein", sagt Erpulat. "Weite Teile der Wirklichkeit spiegelt es jedoch nicht, so hat es in den vergangenen Jahrzehnten etwa schlicht verabsäumt, sich mit dem Thema Migration auseinanderzusetzen." Zudem seien Schauspieler mit Migrationshintergrund auf den Bühnen nach wie vor Randerscheinungen, die Publikumsstruktur der meisten Theater allzu homogen. "Theater handelt von Liebe, Verrat, Hass und sämtlichen menschlichen Regungen", so Erpulat. "Auch wenn Migranten auf der Bühne stehen."

Von 18. Jänner bis 10. Februar wird das Theaterfestival Pimp my Integration in der

Garage X (Theater am Petersplatz) fortgesetzt. Neben der österreichischen Erstaufführung von "Verrücktes Blut" (18. Jänner) stellen am 19. Jänner Stand-up-Comedians wie Aida Loos, Jack Nuri oder Adem Karaduman ihr Programm vor. Am 26. Jänner findet die Podiumsdiskussion zum Thema "Kunst als Lösung sozialer Probleme" statt. "Wie Branka sich nach oben putzte" von der Theatergruppe daskunst feiert am 1. Februar Premiere, am

8. Februar gibt es mit "Schnee" nach Motiven des gleichnamigen Romans von Orhan Pamuk

ein Gastspiel des Berliner postmigrantischen Theaters Ballhaus Naunynstraße. Die Projektreihe endet am 10. Februar mit

einer Podiumsdiskussion zur Integration.

Info: www.garage-x.at

Postmigrantische Theaterreihe