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"Es gibt keine Renaissance der UdSSR"

Von Thomas Seifert

Politik
Botschafter Sarybay: "Die Frage ist, ob Russland in den guten Jahren seine Hausaufgaben gut gemacht hat."
© Stanislav Jenis

Kasachstans Botschafter über die Rolle als wichtigster Öl-Lieferant Österreichs.


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"Wiener Zeitung": Wie wird Moskaus Ukraine-Position in Kasachstan eingeschätzt? Manche im Westen glauben ja, dass der russische Präsident Wladimir Putin eine Rückkehr zur Sowjetunion anstrebt.Kairat Sarybay: Die Geschichte wird sich nicht wiederholen, es gibt keine Renaissance der UdSSR. Wir Kasachen sind äußerst zufrieden mit unserer Unabhängigkeit, und jeder Bürger weiß diese Unabhängigkeit des Landes sehr zu schätzen. Meine Generation kennt den direkten Vergleich: Wie war es auf unserem Territorium zur Zeit der Sowjetunion und wie lebt es sich jetzt in Kasachstan? Niemand - aber wirklich gar niemand - will in Kasachstan in die Sowjetzeit zurück.

Kasachstan ist heute Mitglied der Eurasischen Wirtschaftsunion.

Da geht es um den Abbau von Zollhindernissen, weniger Barrieren, weniger Bürokratie. Mit nur 17 Millionen Einwohnern ist unser Heimatmarkt nicht besonders attraktiv als Produktionsstandort. Aber als Mitglied der Eurasischen Wirtschaftsunion haben wir Zugang zum großen russischen Markt und den Märkten von Weißrussland, Armenien und demnächst auch Kirgisistan. Derzeit sind wir vor allem für diejenigen interessant, die unsere Rohstoffe extrahieren wollen. Leider aber viel weniger für diejenigen, die diese Rohstoffe auch in unserem Land für den internationalen Markt weiterverarbeiten wollen.

Mit dem Marktzugang zu den Ländern der Wirtschaftsunion sind diese Investitionen lohnender und man bekommt vielseitige Zugänge zu anderen Weltmärkten, so gelangen auf diesem Wege die Waren aus Europa nach Kasachstan und umgekehrt. Man kann die Vorteile niedrigerer Steuern in Kasachstan nutzen und für die Konsumenten der Wirtschaftsunion produzieren. Eine Hauptidee der Wirtschaftsunion ist die Entwicklung der Industrie und der Infrastruktur. Deshalb haben wir in letzter Zeit viel in die Infrastruktur investiert, so baute Kasachstan eine Eisenbahnverbindung nach China aus und zuletzt eine komplett neue Strecke von Westkasachstan über Turkmenistan in den Iran mit Zugang zum Persischen Golf.

Welches Interesse verfolgt Kasachstan in der Wirtschaftsunion?

Die Eurasische Wirtschaftsunion war ja keine spontane Idee. Unser Vorbild war stets die EU und die grenzübergreifende Wirtschaftskooperation in Europa. Denken Sie an Unternehmen wie EADS-Airbus, denken Sie an Projekte wie das Träger-Raketenprojekt Ariane.

Ist die Wirtschaftsunion im Moment nicht eine Krisenunion?

Die Frage ist, ob Russland in den guten Jahren seine Hausaufgaben gut gemacht hat. Wir haben die fetten Öl-Jahre genutzt, um unseren nationalen Öl-Fonds kontinuierlich aufzustocken. Und jetzt investieren wir diese Mittel in Infrastruktur, in den Straßenbau, in Kredite für Klein- und Mittelbetriebe. Mit diesen Mitteln wollen wir die Diversifizierung schaffen. Krisenzeiten sind die besten Zeiten, das Profil der Wirtschaft zu ändern.

Kasachstan hat aber bereits früh auch Wirtschaftspartner im Westen auch in den USA - gesucht.

Wir haben bereits in den 90ern im Ölgeschäft mit US-Firmen kooperiert. Das war damals vor allem eine politische Entscheidung, um unsere Partner zu streuen. Wir haben damit auch versucht, unsere Unabhängigkeit zu stärken. Manche dieser Verträge werden jetzt geändert, eben, weil damals die politischen Prioritäten überwogen haben und es heute um die wirtschaftlichen Prioritäten geht. Aber unser Handelspartner Nummer eins ist ganz klar die Europäische Union.

Kasachstan spielt für Österreich vor allem als Öl-Lieferant eine wichtige Rolle.

Wir sind österreichischen Angaben zufolge Öllieferant Nummer eins. Jeder dritte Liter Öl, der in Österreich in die Tanks läuft, stammt aus Kasachstan. Was wir aber anstreben, ist weder eine Abhängigkeit Österreichs von unseren Rohstoffen noch eine Abhängigkeit unseres Landes von den energiekonsumierenden Ländern Europas. Wir fragen uns: Wie können wir unsere Wirtschaft diversifizieren, um unsere Abhängigkeit von Rohstoffexporten zu reduzieren? 80 Prozent unserer Ölexporte gehen nach Europa. Wir sagen: Wir sind bereit, weiter diese Rohstoffe zu liefern, aber wir brauchen nicht nur Euros, wir brauchen auch Technologie und Know-how. Vor allem grüne Technologie, ein Gebiet, auf dem Österreich viel Erfahrung hat. Ich betone noch einmal: Wir haben genügend Rohstoffe, seltene Erden, das ganze Periodensystem der Elemente. Aber wir wollen uns nicht mit der Rolle des Rohstofflieferanten zufriedengeben. Und wir sind auch sehr bemüht auf diesem Feld und deshalb bereiten wir uns vor, die Welt zur Expo im Jahre 2017 in Astana zu empfangen.

Wie nimmt man in Kasachstan den Ukraine-Konflikt wahr?

Wenn es um eine Scheidung geht, dann tragen meist beide Partner Mitschuld. Ein Fehler lag bei den unterschiedlichen Regierungen in Kiew. Wenn in der Ukraine alles gut gelaufen wäre, hätten sich die "Maidan"-Proteste nicht formiert. Der Einfluss von außen - sowohl vom Westen, aber auch vom Osten - war ebenfalls nicht hilfreich. Wir empfinden diese Krise als eine der schlimmsten der letzten 20 Jahre. Gleichzeitig hoffen wir, dass die Weisheit Oberhand gewinnen wird. Kasachstan ist gerne bereit, die nächste Gesprächsrunde zu organisieren, unser Präsident Nursultan Nasarbajew ist um Friedensstiftung bemüht, dazu ist seit Ende 2014 ein Treffen der beteiligten Seiten in Astana geplant.

Gibt es in Kasachstan die Sorge, dass der russische Präsident Wladimir Putin sich als Führer aller ehemaligen Sowjetrepubliken sehen könnte?

Wenn Sie auf die Situation der russischen Minderheit in Kasachstan anspielen: Die Situation in der Ukraine hat keinen direkten und unmittelbaren Einfluss auf unsere gesellschaftlichen Beziehungen. Klar ist: Unsere Bürger russischer Ethnie gehören ebenso wenig zu Russland, wie unsere Bürger mit usbekischer ethnischer Zugehörigkeit zu Usbekistan gehören. In unserer Verfassung ist fixiert, dass Kasachstan keine doppelte Staatsbürgerschaft akzeptiert. Nach der Verfassung erlauben wir auch keine politische Partei, die auf Religion oder ethnischer Zugehörigkeit fußt. Durch diese zwei Vorbedingungen ist unsere Gesellschaft in der heutigen turbulenten Welt stabiler gemacht worden. Die Russen in Kasachstan brauchen keine ungeliebte Umarmung, sie sind stolze Bürger Kasachstans.

Warum ist die Ukraine eigentlich nicht der Wirtschaftsunion beigetreten?

Die Ukraine ist ein souveräner Staat und entscheidet selbst über ihr Schicksal. Wir hätten das Land natürlich gerne in der Wirtschaftsunion gesehen. Dort bietet sich ein großer Markt für die Ukraine und die Partner kennen die Produkte des Landes. Sechs Mitglieder wären besser als fünf. Wenn die Ukraine aber bessere Beziehungen mit der Europäischen Union bevorzugt, ist auch das okay. Wir selbst streben ja auch bessere Beziehungen zur EU an und haben etwa mit Brüssel ein Abkommen über eine erweiterte Partnerschaft mit der EU verhandelt, das wir 2015 unterschreiben wollen. Wir haben aber auch gute Beziehungen zu China und das ist auch kein Hindernis für unsere Wirtschaftsbeziehungen mit anderen Partnern. Man muss nicht immer alles nach dem Koordinatensystem des Kalten Krieges betrachten.

Aber das Szenario des Kalten Krieges ist zweifelsohne wiederbelebt?

Ein brüchiger Frieden ist stets besser als ein guter Krieg. Kasachstan hält wenig vom Sanktionsregime der EU gegen Russland und wir sind der Meinung, dass es einen Masterplan für die Ukraine geben muss. Wir halten nichts davon, eingefrorene Konflikte in der Ukraine zu haben.

Es gab immer wieder Kritik an Kasachstan: Die Menschenrechtssituation, die Medienfreiheit sei unzureichend, die Qualität der Demokratie lasse Wünsche offen.

Demokratie kommt nicht über Nacht. Bei uns ist die Demokratie vielleicht nicht so entwickelt wie in Großbritannien. Aber ist denn in Europa alles bestens? Was ist mit den illegalen Gefängnissen in Europa oder mit rassistischen Übergriffen? Wir wollen jedenfalls unsere Demokratie weiter entwickeln und auf diesem Weg sind wir bereit mit anderen Staaten und internationalen Organisationen zusammenzuarbeiten.

Der Fall Rakhat Alijev ist seit Jahren schwer zu entwirren. Der frühere kasachische Botschafter in Wien und Schwiegersohn Ihres Präsidenten wird beschuldigt, zwei Morde in Kasachstan begangen zu haben. Die österreichischen Behörden haben ihn aber mit der Begründung, dass ihn in seiner Heimat kein faires Verfahren erwartet, nicht nach Kasachstan ausgeliefert. Alijev ist derzeit in Untersuchungshaft in Wien und hat vor einiger Zeit in einem Buch seine Unschuld beteuert. Welche Position verfolgt Kasachstan heute in diesem Fall?

Die Sache ist in Kasachstan juristisch beendet. Alijev wurde bei uns schuldig gesprochen. Erstaunlich und beachtenswert ist, dass die österreichische Justiz eine Sache rekonstruiert, die vor sieben Jahren und tausende Kilometer entfernt passiert ist. Aus meiner Sicht hat die österreichische Justiz den dringenden Tatverdacht bestätigt und auch das Motiv der Tat aufgehellt - sonst hätte man ja keine Anklage erhoben. Wir sehen die Arbeit der österreichischen Justiz daher als sehr positiv, vor allem, dass man hier die Kapazitäten hat, diesen Fall genau zu rekonstruieren und den Fall zum Abschluss zu bringen. Wir haben volles Vertrauen in die österreichische Justiz.

Zur Person

Kairat Sarybay

(geb. 1966) studierte in St. Petersburg und arbeitete danach als Wissenschafter und später an der kasachischen Botschaft in der Türkei, für das Präsidialamt, als Botschafter in Ankara und Berlin sowie als stellvertretender Minister im Außenministerium, als Berater des Präsidenten Nasarbajew und nun als Botschafter in Wien.

Kairat Sarybay (geb. 1966) studierte in St.
Petersburg und arbeitete danach als Wissenschafter und später an der
kasachischen Botschaft in der Türkei, für das Präsidialamt, als
Botschafter in Ankara und Berlin sowie als stellvertretender Minister im
Außenministerium, als Berater des Präsidenten Nasarbajew und nun als
Botschafter in Wien.