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"Es gibt keine Weltformel"

Von Christoph Rella

Wissen
Harald Lesch verbindet Physik und Philosophie.
© AxelHH

Der Physiker Harald Lesch erklärt die Welt - und holt sich Ezzes von Jesuiten.


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Semmering. Was sind die wirklich großen Fragen der Menschheit? Der Physiker Harald Lesch antwortet auf die Frage gerne mit einer Gegenfrage: "Was würden Sie einen Außerirdischen fragen?" Doch sicher nichts über Naturgesetze, weil die würden bekanntlich überall im Universum gelten, oder? Nein, für einen Erdling wären wohl ganz andere Fragen interessant: "An welche Götter glaubt ihr? Welche Bilder malt ihr? Welche Märchen erzählt ihr euren Kindern vor dem Schlafengehen?"

Da ist was Wahres dran. Lesch ist kein Anhänger von Schwarz-Weiß-Malerei. Sein Fach: interdisziplinär forschen und lehren. Wie das gehen kann, hat der aus der ZDF-Wissenschaftssendung "Alpha Centauri" bekannte Deutsche beim heurigen "Österreichischen Wissenschaftstag" der Österreichischen Forschungsgemeinschaft am Wochenende in Semmering vorgezeigt. Vorausgesetzt, man bringt guten Willen, Mut und Neugier mit. Als Beispiel für gelungene interdisziplinäre Forschung nennt Lesch etwa das Gebiet Astrobiologie und die daran gekoppelte Frage: "Sind wir allein im Universum?" Astrobiologie könne nie nur ein Thema für Physiker sein. Diese Frage betreffe auch genauso Kulturwissenschafter, Chemiker oder auch Theologen, betont er.

Mit letzterer Gruppe, konkret mit den Jesuiten der Hochschule für Philosophie in München, verbindet den studierten Physiker und Philosophen eine enge Zusammenarbeit. Leschs Vorlesungen, die er stets gemeinsam mit einem Jesuitenpater bestreitet, erfreuen sich bei den Studierenden großer Beliebtheit. Zumindest hören sich die Titel seiner Co-Lehrveranstaltungen nicht uninteressant an. Beispiel gefällig? "Das Anthropozän. Der Mensch erscheint im Kosmos".

Das weckt Neugier. Und darum geht es auch Lesch. Zwar sei es nicht schlecht, wenn man sich als Student oder Wissenschafter auf ein Fachgebiet spezialisiert. Allerdings sollte man dabei nicht übersehen, "was die anderen tun", wie er sagt. In der Wissenschaft interdisziplinär zu kommunizieren bestehe darin, "Aufklärung im Großen" zu betreiben und Weltbilder zu zeichnen, "die über alle Grenzen und Gesetze hinausgehen".

Wenn Naturwissenschafter zu Chauvinisten werden

Und gerade was das Überschreiten von Grenzen betrifft, könnten die Naturwissenschafter von den Geistes- und Kulturwissenschaften noch sehr viel lernen, sagt der Professor. "Die Physik tut immer so, als würde sie nur mit absoluten Größen arbeiten, aber eigentlich weiß sie selbst nicht, ob diese Größen tatsächlich absolut sind." So besehen sei daher auch das Dogma, dass die Naturgesetze "überall im Universum gleichmäßig gelten", nicht weniger als "maximaler Chauvinismus".

"Wie kommt denn der Mensch mit seiner gerade einmal 10.000-jährigen Erfahrung in der Welt dazu, das anzunehmen?", fragt Lesch und warnt gleichzeitig davor, nicht dem "Reduktionismus" zu verfallen. Soll heißen: Es gibt keine alles erklärende "Weltformel". Immerhin sei es eine Tatsache, dass weder die Bibelforscher noch die Quantenphysiker eine zufriedenstellende Antwort auf die Frage, wie die Welt vor dem Urknall ausgesehen hat, liefern können. "Wie konnte es etwas geben, das sich verdichten konnte?", fragt Lesch. Wer hat recht? Einstein mit seiner Relativitätstheorie oder vielleicht doch Aristoteles, der über den "unbewegten Beweger" philosophierte?

Geschichtswissenschaft ist die "Schlüsseldisziplin"

Wissenschaftlich messen oder beliebig wiederholen lässt sich interdisziplinäre Forschung freilich nicht. Was vielleicht eine Begründung dafür sein kann, warum sie gerade bei Naturwissenschaftern verpönt scheint. Warum? "Die Naturwissenschaft produziert zeitlose Ergebnisse, die auf ewig wiederholbar sind", meint Lesch.

Und dies sei ein Manko. Er findet, die Geschichtswissenschaften seien eine "Schlüsseldisziplin" der interdisziplinären Auseinandersetzung. "Dort ist die Neugier, wie etwas wann und wo passiert ist, immer gleich groß, weil jeder schon einmal davon gehört hat", erklärt der Physiker. "Neugier, das heißt, ein Blick über den Tellerrand kann nie schaden. Denn wie hat einmal Nils Bohr gesagt? ,Das Gegenteil einer tiefen Wahrheit kann genauso eine tiefe Wahrheit sein.‘"