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Tel Aviv - Hunderttausend Menschen gedachten Samstagabend in Tel Aviv der Ermordung des Premierministers Jitzchak Rabin durch einen radikal religiösen Israeli vor 5 Jahren. Der einhellige Ruf nach Fortsetzung des Friedensprozesses konnte die anhaltenden Gefechte, Zusammenstöße und rechte Kritik innerhalb Israels nicht völlig übertönen.
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Die Organisatoren hatten befürchtet, dass nur wenige Menschen sich zur Gedenkfeier an Jitzchak Rabin auf dem ihm benannten Platz vor dem Rathaus von Tel Aviv einfinden würden. Fünf Wochen Zermürbungskrieg zwischen Israel und palästinensischen Aufständischen auf kleiner Flamme, aber mit mehr als 180 Toten, die spürbare Enttäuschung im Friedenslager sowie die Angst vor weiteren Terroranschlägen wie jenem vom vergangenen Donnerstag in Jerusalem hatten die Erwartungshaltung reduziert. Trotzdem kamen mindestens 100.000 Menschen. Die Stimmung war gedämpfter als bei der größten Kundgebung vor drei Jahren, als mehr als 250.000 Leute sich aus diesem Anlass im Zentrum Tel Avivs einfanden. Aber deutlicher als bisher war eine geradezu sture Hoffnung auf Fortsetzung des Friedensprozesses zu hören und zu spüren. Mehr als drei Stunden hielt die Menge, darunter viele junge Leute und Eltern mit Kindern, aus.
Es gab ein paar "Premieren" dieses Jahr: Leah Rabin, Jitzchak Rabins Witwe, war wegen ihres Lungenkrebses im Krankenhaus und erstmals nicht dabei, um die Fortführung des politischen Weges ihres ermordeten Mannes einzufordern.
Und erstmals sprach bei einer Rabin-Gedenkfeier ein Vertreter der israelischen Palästinenser: Faisal Asaise, Sprecher der arabischen Gemeindevorsteher in Israel, richtete als letzter Redner des Abends, mit viel Zwischenapplaus bedacht, einen flammenden Appell an die Regierungschefs beider Völker: "Es gibt keinen anderen Weg!" Das Abkommen von Oslo bedeute Dialog, Partnerschaft und Koexistenz, kein Ultimatum. Das Ziel sei " ein palästinensischer Staat neben einem israelischen" und deshalb rufe er Barak und Arafat auf, weiter den Weg des Friedens zu beschreiten.
Erstmals sprach ein Staatspräsident bei der Feier, der aus dem rechten und religiösen Lager des Likudblocks kommt: Mosche Kazav beschwor innere Einheit. Kazavs Erscheinen und Reden wurden mit viel Applaus bedacht. Mehr erhielt Ehud Barak, der völlig abgedeckt von den Körpern seiner Sicherheitsleute und offensichtlich mit kugelsicherer Weste das Podium betrat. Er versprach, um der Zukunft der Kinder willen niemals die Hoffnung aufzugeben. Der Weg zum vollständigen Frieden sei lang und es gebe auf ihm Stationen des Fortschritts und des Scheiterns wie in den letzten Wochen. Aber es sei "nicht genug, den Frieden zu wollen, von ihm zu reden und zu träumen - es gelte, Frieden zu machen." Barak wandte sich dann direkt an Yassir Arafat:" Du hast die Hand Jitzchak Rabins gedrückt, lass dich nun nicht von Radikalen auf einen schmerzhaften Weg drängen, einen Weg des Leidens für beide Völker!" Es läge in seiner Hand, dem Blutvergießen und der Gewalt ein Ende zu setzen und die Hand, die Frieden ausgestreckt sein, zu ergreifen. Barak kündigte dann an, Ende der Woche nach Washington zu reisen, um Wege für eine Wiederaufnahme von Verhandlungen zu finden.
Der am stärksten akklamierte Redner war Shimon Peres, der in erkennbarer Differenz zu Ehud Barak betonte, dass der in Oslo begonnene Prozess nicht tot sei und nicht sterben werde. Weder Steine noch Gewehrkugeln könnten die Kraft des Friedens umbringen. Peres betonte die Notwendigkeit der Finanzierung von Erziehung und Ausbildung für das Entstehen einer Nachbarschaft in Gleichheit. Unverhohlen war Kritik an Barak erkennbar: "Der Kapitän fehlt uns, das Schiff schlingert, das offene Meer vor uns. Wir werden in See stechen ohne zu zittern, auch das ist Gedenken an den großen Führer."
Uri Avnery, Israels in Europa bekanntester Friedensaktivist, kritisierte scharf, dass Baraks Arbeitspartei aus einer Videomontage über Rabin dessen historischen Handschlag mit Arafat ausgelassen hat, um kein Bild Arafats bei der Feier zu zeigen.
Die Bekenntnisse zum Gewaltverzicht und geplante Gespräche in Washington haben am Wochenende die Hoffnung auf eine Deeskalation im Nahen Osten genährt. Die Spannungen in den palästinensischen Gebieten ließen jedoch nicht nach; bei Zusammenstößen im Gaza-Streifen wurde am Sonntag ein 16-jähriger Palästinenser von israelischen Soldaten erschossen.
Israels Premier Ehud Barak und der palästinensische Präsident Yasser Arafat signalisierten ihre Bereitschaft, in dieser Woche mit US-Präsident Bill Clinton in Washington zusammenzutreffen. Arafat will am Donnerstag in die USA fliegen, während Barak ein bis zwei Tage später dort erwartet wird. Bei den getrennten Gesprächen mit Clinton soll es um die Bekräftigung des Gewaltverzichts gehen, wie er beim Krisengipfel im ägyptischen Badeort Sharm el Sheikh am 17. Oktober vereinbart wurde.