Islamkritiker Hamed Abdel-Samad fordert, dass sich friedliche Muslime der "faschistoiden Kernbotschaft" des Islams stellen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Hamed Abdel-Samad polarisiert. Für die einen ist der deutsch-ägyptische Islamwissenschafter ein mutiger Islamkritiker, der Dinge beim Namen nennt, für die anderen ein Scharfmacher, der rechten Kreisen mit seinen provokanten Thesen in die Hände spielt. 2013 wurde der streitbare Publizist nach einem Vortrag mit einer sogenannten Fatwa belegt, radikale Islamisten rufen zu seiner Ermordung auf. Seither steht er unter Personenschutz. In seinem aktuellen Buch "Der islamische Faschismus" argumentiert er, dass der Ur-Islam in seinem Kern einen faschistoiden Charakter hat. Heute, Donnerstag, diskutiert er bei den "Wiener Stadtgesprächen" zum Thema "Islam und Westen". Mit der "Wiener Zeitung" sprach Abdel-Samad vorab über die Mär eines moderaten Islams, verdächtige Glaubensgemeinschaften und warum er Europa verlassen will.
"Wiener Zeitung": In Ihrem Buch werfen Sie die These auf, dass der Islam in seinem Kern faschistisch sei und dass sich Muslime - ähnlich wie die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg vom Nationalsozialismus - auch vom Islam emanzipieren müssten. Wie soll diese Emanzipation aussehen?Hamed Abdel-Samad: Der Islam hat einen Geburtsfehler. Er ist sehr früh in seiner Geschichte politisch erfolgreich geworden und hat bereits zu Lebzeiten des Propheten einen Staat gegründet. Das hat keine andere Religion geschaffen. Der Islam ist von Anfang an politisch geworden. Und dabei vermischt sich Politik, Wirtschaft, Kriege und Gewalt mit der Religion. So wurde alles sakralisiert. Das ist das Ur-Problem. Nicht einzelne Passagen.
Also Muslime, die sich als Demokraten bezeichnen, müssten ihre Religion per se ablehnen?
Sie müssen sich von der juristisch-politischen Seite des Islams lösen, denn diese Seite trägt faschistoide Züge. Solange der Islam davon ausgeht, dass Gott der Gesetzgeber ist und seine Gesetze nicht verhandelbar und veränderbar sind, muss ich - wenn ich Demokrat bin - ablehnen, dass Gott der Gesetzgeber ist. Das Christentum und Judentum in Europa haben auch keine Demokratien gestaltet. Sie mussten politisch entmachtet werden, bevor sie unter dem Dach der Demokratie leben konnten. Man kann den Islam politisch entmachten und trotzdem Muslim bleiben.
Um bei Ihrer Parallele zum Faschismus zu bleiben: Sie sagen, den Faschismus besiegte man mit konsequenter Kriegsführung. Die faschistische Ideologie musste erst eine vernichtende militärische und moralische Niederlage erleiden, sodass Widerstand keinen Sinn ergab. Wie soll eine moralische Niederlage bei den Muslimen aussehen?
Das dauert, aber man muss anfangen. Die moralische Niederlage ist nur möglich, wenn man sagt, dass die Idee des politischen Islams, der Scharia und des Kalifats an sich, falsch sind und nicht die Umsetzung von Leuten wie IS und Boko Haram, die den Islam nur falsch umsetzen. Das ist eine gefährliche Formulierung.
Warum? Die Argumentation ist, dass sich diese Gruppen aus dem Koran günstige Passagen zusammenklauben, um so ihre Taten religiös zu legitimieren.
Das stimmt nicht und ist gefährlich. Zu sagen: "Die setzen das nur falsch um" bedeutet, dass es eine Möglichkeit gibt, den Islam richtig umzusetzen. Das ist eine Hintertür für den politischen Islam. Es braucht einen Bruch mit dieser Vorstellung, dass man aus dem Islam heraus Anweisungen für politisches Handeln beziehen kann. Die Geschichte lehrt uns, dass das unmöglich ist. Wann immer sich die Religion in die Politik einmischt, mündet das in politischen und wirtschaftlichen Katastrophen.
Inwiefern unterscheidet sich der Ex-Muslimbruder Hamed Abdel-Samad vom heutigen Islamkritiker Hamed Abdel-Samad? Beide sprechen von dem einen wahren Islam.
Nicht ich gehe davon aus, sondern die Texte des Korans und die islamische Geschichte sagen das. Dass es ein paar kluge Theologen gibt, die etwas Modernes und Säkulares im Islam sehen wollen, ist lobenswert und kreativ, aber es ist eigentlich eine Umgehung der Kernbotschaft des Islams. Die Kernbotschaft ist, dass die Menschen Gott dienen und seine Gesetze auf Erden vollenden sollen. Natürlich gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen einem Menschen im Irak oder in Syrien, der Ungläubigen den Kopf abschneidet, und einem Vater in Wien oder Berlin, der seine Tochter zwingt, ein Kopftuch zu tragen. Aber beide handeln aus dem Motiv heraus, sich Gottes Willen zu beugen, und ich habe als Mensch keine andere Wahl als Gottes Willen zu vollstrecken und da liegt das Problem.
Einen moderaten Islam gibt es Ihrer Meinung nach nicht?
Das ist eine Erfindung. Der Islam hat den Anspruch das Leben eines Muslims zu regulieren, von dem Moment an, wo er aufwacht, bis hin zum Moment, wo er zu Bett geht. Wenn man sagt, es gibt einen moderaten Islam, der auf den Dschihad, auf die Scharia, auf Geschlechterapartheid und die Durchregulierung des Alltags verzichtet, was bleibt dann vom Islam übrig? Es gibt moderate Muslime, aber keinen moderaten Islam. Sie sind dann nicht wegen des Islams, sondern trotz des Islams moderat.
Ziehen Sie mit diesen Argumenten reformorientierten Wissenschaftern wie Mouhanad Khorchide, der von einem Islam der Barmherzigkeit spricht, nicht den Boden unter den Füßen weg und überlassen das Feld radikalen Interpreten?
Khorchide verdient Unterstützung und Respekt. Er versucht etwas zustande zu bringen, was noch nie in der Geschichte da war. Aber man sollte nicht ein Konzept loben, bevor es sich zeigt. Die Idee ist gut, dass er eine Ideologie entwickelt, die sich vom Dschihad und von diesem Scharia-Wahn löst, aber das muss erst einmal entstehen. Doch wo wird das gelebt? Und wer braucht das? Wenn wir den Islam entpolitisieren, ist er für ein paar private Leute interessant, aber politisch irrelevant. Der authentische Islam wird jetzt im Irak und in Syrien praktiziert, wollen wir das? Das ist das siebente Jahrhundert, was die IS-Leute machen.
Genau das zieht viele junge Menschen aus Europa an. Politikwissenschafter wie Olivier Roy sagen, dass es sich bei der Radikalisierung um keine theologische Angelegenheit handelt und auch nicht um die Befriedigung religiöser Bedürfnisse. Kurz: Es hat mit Religion gar nichts zu tun.
Olivier Roy halte ich für überholt. Er hat die Islamisten in den 1990ern auf dem absteigenden Ast gesehen und die Gefahr, die von ihnen ausging, extrem verharmlost. Die Theologie der Gewalt steht in der Mitte und es geht um religiöse Gefühle. Natürlich gibt es den Wunsch nach Anerkennung und Gemeinschaft, aber weil diese Menschen im Subkontext ihrer Familien, Moscheen und Communitys immer wieder hören, dass sie Opfer sind und ihnen auch immer wieder ein schlechtes Gewissen eingeredet wird, dass sie unislamisch leben und sich nicht an die Regeln halten, werden sie in das Bewusstsein eines Sünders getrieben.
Sie stehen insbesondere den Glaubensgemeinschaften kritisch gegenüber und meinen, sie bereiten den Nährboden für Extremisten.
Man darf die Muslime nicht den Glaubensgemeinschaften ausliefern. Sie predigen Dschihad, die Revolution und Panislamismus - das müssen sie auch um ihre Anhänger und ihr Geldgeber aus den Golfstaaten bei der Stange zu halten -, aber sie setzen nicht um, was sie predigen. Damit machen sie die Menschen an den Rändern unruhig, deshalb spaltet sich diese Gemeinschaft am Rande dieser Glaubensgemeinschaft. So entstehen salafistische Vereinigungen. Sie nehmen diese Konzepte und Kontexte, die gepredigt werden, auf und versuchen diese zu konkretisieren. Und sie bieten den jungen Leuten Anerkennung, Gemeinschaft und klare Strukturen. Fünfmal am Tag beten, gemeinsame Diskussionen über ein globales Projekt und das Versprechen: Wir erobern die Welt und du, der du in Wien oder in Berlin ein Taugenichts warst, gestaltest diese Weltordnung jetzt mit. Das ist eine ungeheure Attraktivität und das löst beide Probleme. Einerseits bin ich unmündig und jemand entscheidet für mich, andererseits bin ich aktiv und kein Opfer mehr.
Viele Ihrer Kritiker behaupten, dass Sie mit Ihren Thesen rechten Scharfmachern in die Hände spielen.
Ich kann mich nicht erinnern, dass ein Rechter jemanden wegen meiner Thesen je enthauptet hat. Ich habe mittlerweile eine kreative Antwort auf diesen Vorwurf gefunden. Wenn Muslime - übrigens die gleichen Muslime, die sagen, dass IS die Botschaft des Propheten falsch verstanden hat und den Koran missbraucht - mich fragen, ob ich nicht Angst habe, dass Rechtspopulisten mein Buch für Hass und Gewalt missbrauchen, antworte ich immer: "Wenn Allah, der Allmächtige sein eigenes Buch vor Missbrauch nicht schützen kann, was kann dann ein sterblicher Mensch machen?" Das Problem des Islams ist kein Imageproblem. Es ist ein Problem mit der Interpretation der eigenen Texte und mit dem Verständnis von Gewalt. Darin sollte man seine Energien verwenden, statt sich an einem Islamkritiker zu stören, der den perfekten Islam kritisiert. Für mich ist dieser Großteil der friedlich lebenden Muslime problematisch, weil sie sich nicht aufregen über die tatsächlichen Probleme, sondern über das Image des Islams.
Viele Muslime werden dann sagen: Wie komme ich als friedlicher Muslim dazu, mich permanent zu rechtfertigen?
Ich verlange nicht von einer einfachen Mutter, dass sie mit einem Plakat auf die Straße geht und sagt: "Ich bin gegen IS." Aber ich verlange von muslimischen Intellektuellen, dass sie das tun, statt Islam-PR zu betreiben. Die gleichen Muslime, die behaupten, dass ich ihnen das Leben mit meinen Thesen so schwer mache und fragen, warum soll ich mich entschuldigen, regen sich über Mohamed-Karikaturen auf. Sie regen sich aber nicht auf, wenn IS-Kämpfer mit einer Flagge herummarschieren, wo der Name Mohameds geschrieben ist und dabei Menschen massakrieren. Das nenne ich Heuchelei und Beliebigkeit.
Zu Ihrer Biografie: Warum haben sie sich mit 20 Jahren der Muslimbruderschaft in Ägypten angeschlossen und sind dann drei Jahre später wieder ausgetreten?
Ich war Student in Kairo, kam aus dem Dorf und war fremd im eigenen Land. Da war automatisch eine Sehnsucht nach Community, Freundschaft, Anerkennung und auch politischer Beteiligung da. Das habe ich in der Muslimbruderschaft gefunden. Aber ich habe gemerkt, dass diese Leute ihre eigene Art der Diktatur aufbauen wollen und dass ich nicht am richtigen Ort bin.
Bezeichnen Sie sich als Muslim?
Ich bezeichne mich weder als Muslim noch als Ex-Muslim oder als Atheist. Ich habe mich von diesem Zwang befreit, mich weder positiv noch negativ in Bezug auf die Religion zu definieren, ich bin ein Mensch.
Sie haben immer wieder angekündigt, dass Sie Europa verlassen möchten. Warum?
Europa wird zunehmend unangenehmer für Menschen, die so denken wie ich. Ich stehe unter Polizeischutz. Der Staat tut, was er tun kann, aber er kann mich ja nicht vor Drohungen schützen. Ich schreibe weiter, aber auf Dauer kann ich das nicht aushalten, das ist sehr belastend.
Hamed Abdel-Samad, geboren 1972 in Kairo als
Sohn eines Imams, trat er 1991 der Muslimbruderschaft bei, von der er sich drei Jahre später abwendete. Heute ist der bekannte Islamkritiker Mitglied der Deutschen Islamkonferenz.