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Es gibt mehr Pfarrer, als die Pfarrer glauben

Von Engelbert Washietl

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Der Autor ist Sprecher der "Initiative Qualität im Journalismus"; zuvor "Wirtschaftsblatt", "Presse" und "Salzburger Nachrichten".

Eines haben konservative und ungehorsame Katholiken gemeinsam - sie beklagen den Priestermangel. Als Fixgröße ist dieser aber wenig brauchbar.


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Wo liegt die Grenze zwischen Fülle und Mangel? Die unscharfe Linie muss zeitgeschichtlich ungefähr dort zu suchen sein, wo das katholische, stellenweise sogar noch politisch-katholische Österreich in die säkularisierte Gegenwart einschwenkte. Die 50er Jahre sind ein Geheimtipp. Danach sank die Zahl der Anwärter für den Priesterberuf rasch ab. Helmut Schüller, Anführer der aktuellen Ungehorsamsbewegung, klagt: "Den Priestermangel gibt es schon seit rund 20 Jahren. Seit dieser Zeit beobachten junge Männer schon, was aus den Pfarren und Pfarrern wird. Die Ministranten der 80er haben uns schon dabei zugeschaut, wie es immer wenige Pfarrer gibt und dass Pfarrer sein heißt, immer auf Achse und in flüchtigen Kontakten zu sein."

Hinzugefügt werden muss freilich eine weitere Beobachtung: So viel Arbeit können die Katholiken den Pfarrern nicht mehr bereiten, weil sie sich im Umfeld der Kirche ziemlich rar gemacht haben. Die durch Gegenreformation und Staatskirchentum geprägte, durch einen Überfluss an Kirchen und Klöstern ausgezeichnete Gesellschaftsordnung wirkt unterbewusst nach, wenn Priestermangel als absolute Größe dargestellt wird. Selbst in den 50er und 60er Jahren gab es noch zwei oder drei Sonntagsmessen und vielleicht eine Samstagabend-Vormesse vor vollem Publikum.

Heute löst das Überangebot an Kirchenraum manchmal heftige Auseinandersetzungen darüber aus, wie die einst aufwendig umbauten Kubikmeter anderweitig sinnvoll verwendet oder gar verkauft werden könnten.

Der Priestermangel, der übrigens in zahlreichen europäischen Ländern und speziell auch in Deutschland beklagt wird, entpuppt sich vor diesem Hintergrund als stark europazentristische Sicht der Dinge. Die katholische Kirche ist aber eine Weltkirche. Deren Statistiken mögen zeitlich etwas nachhinken, geben aber ein brauchbares Bild. Laut der vatikanischen Kongregation für die Evangelisierung der Völker gab es 2006 auf der Erde insgesamt 407.262 Priester. 33.478 in Afrika, 121.119 in Nord-, Mittel- und Südamerika, 51.281 in Asien, 196.653 in Europa und 4731 in Ozeanien. In Europa gibt es somit knapp so viele Priester wie im Rest der Welt. Ein europäischer Pfarrer hat es mit 3583 Einwohnern zu tun, ein afrikanischer mit 27.686, ein Priester in Asien mit 51.225 Personen. In Afrika, Asien und teilweise wohl auch in Lateinamerika steht den Priestern aber kein ausgebautes Verkehrs- und Kommunikationssystem wie in Europa zu Verfügung, wenn sie ihren pastoralen Aufgaben nachgehen.

Der Wunsch der Kirche nach mehr Priesternachwuchs ist verständlich. Die Reformer finden im "Priestermangel" außerdem ein sehr brauchbares Argument für die Weihe von Priesterinnen. Aber die übergreifende Realität ist eine andere und wohl eher mit Paul Zulehners Schlagwort einer religiösen "Verbuntung" Österreichs zu beschreiben. Die Zeiten sind nicht mehr so, weder für die Christen noch für den Klerus und dessen Rahmenbedingungen.