Aktuelle Benefiz-Events wie "We Stand With Ukraine" im Wiener Ernst-Happel-Stadion mit 40.000 Besuchern beleben eine alte Poptradition.
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Vom Aufkommen des Protestsongs als bevorzugte musikalische Form der Beschwerde durch entweder Unterdrückte oder deren singend-solidarische Stellvertreter mag es ein wenig gedauert haben. Nach etwa frühen Arbeiterliedern aus dem 19. Jahrhundert, den Meriten der US-Folkbewegung in den 1950er und 1960er Jahren, dem Ineinandergreifen von Bürgerrechtsbewegung und Soulmusik ("A change is gonna come") sowie dem Erblühen der Hippie-Szene mit pazifistischer Flowerpower markierte erst der 1. August des Jahres 1971 eine Zäsur: Erstmalig in der Popgeschichte wurden die Kräfte gebündelt und im Zuge eines Benefizkonzertes konkret auch dafür genutzt, um im großen Stil Gelder für konkrete Hilfeleistungen aufzustellen.
Solidaritätsgesten
Als Organisatoren lukrierten der stille Beatle George Harrison und der indische Musiker und Sitarmeister Ravi Shankar mit ihrem im New Yorker Madison Square Garden ausgetragenen "Concert for Bangladesh" zur Unterstützung der Flüchtlingshilfe um den Bangladesch-Krieg die Summe von 250.000 US-Dollar aus Eintrittsgeldern für eine Nachmittagsmatinee und eine Prime-Time-Show. Und sie lieferten damit, ohne es zu wissen, die Blaupause für spätere Großevents mit ähnlichen Zielen. Es gibt nichts Gutes - außer man tut es.
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Unter dem Eindruck der Ermordung Martin Luther Kings sowie des andauernden Vietnam-Kriegs hatten sich in den 1960er Jahren zunächst Gesellschaft und Musikszene gleichermaßen politisiert. Allerdings war etwa der "Summer Of Love" spätestens mit den Ereignissen des "Altamont Free Concert" und seinen vier Todesfällen sowie den Morden der Manson Family im Jahr 1969 auch schon wieder vorbei.
Während im echten Leben ernüchternde Realpolitik dominierte, fand sich die Popkultur in einer Mischung aus Kater, Götterdämmerung und versuchtem Neustart wieder. Immerhin hielten etwa John Lennon und Yoko Ono mit ihren mitunter belächelten Bed-ins für den Weltfrieden in wechselnden Hotelzimmern noch wacker dagegen. Der dabei abgefallene Hit "Give Peace A Chance" erinnerte uns im Rahmen einer Solidaritätsgeste europäischer Radiosender anlässlich der Verheerungen des Ukraine-Krieges erst dieser Tage wieder daran, dass Geschichte grundsätzlich nie vorbei ist - und sich noch immer mindestens zweimal wiederholt.
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Zeichen der Zeit: Als am 13. Juli 1985 in London und Philadelphia schließlich mit "Live Aid" vor 1,5 Milliarden Zusehern und -hörern in Fernsehen und Radio sowie mit mehr als 160.000 Besuchern vor Ort die Mutter aller Benefizkonzerte über die Bühnen ging, war nicht nur ein neues Kapitel im Einzugsbereich des langsam auch in den deutschen Sprachraum sickernden Begriffs "Charity" mit Bob Geldof als nunmehrigem Pop-Dauerbeauftragten für Gutestun aufgeschlagen. Auch befanden sich Welt und Pop in einer gänzlich anderen Situation als noch vor 14 Jahren.
Der Hippie-Frieden war in den 1970er Jahren endgültig in der (Selbst-)Zerstörung sowie den Drogeneskapaden und Hotellobbyexzessen des Rock ’n’ Roll aufgegangen. Warum sich als Band politisch engagieren, wenn man in einer Suite voller Edelprostituierter stattdessen auch koksen und Fernseher auf den Gehsteig werfen kann? Der Kalte Krieg war ein erkalteter thematischer Dauerbrenner, dessen sich ankündigendes Ende mit dem Mauerfall in Berlin erst vier Jahre später von David Hasselhoff persönlich herbeigesungen wurde. Die Wirtschaft brummte. Musikalisch war Pophedonismus mit Synthesizern und Cocktailschirmen angetreten, den alten flamboyanten Rockdinosauriern im Rüschenhemd jetzt mit Sakko und Lederkrawatte an den Kragen zu gehen. Neonlicht und Föhnfrisuren regierten. Wo war Afrika? Afrika war weit weg.
Ein bisschen Frieden
Mit ihrem Projekt "Band Aid" und der gemeinsamen Benefizsingle "Do They Know It’s Christmas?" hatten Bob Geldof und Midge Ure als Organisatoren und Songwriter 1984 für das "Live Aid"-Event kommerziell erfolgreiche Vorarbeit geleistet. Und sie trugen damit auch zur Imagerettung einer Riege an Pop-Millionären bei, die in erster Linie mit sich selbst beschäftigt war. Was neben Kritikpunkten wie dem berüchtigten Tropfen (Geld) auf den heißen Stein - trotz eines erreichten Spendenvolumens von 127 Millionen US-Dollar - nicht zuletzt auch wieder den Vorwurf der eitlen Selbstbeweihräucherung aus Marketing- und in weiterer Folge Verkaufsgründen mit sich brachte. Oder wie der deutsche Aphoristiker Fred Ammon einmal festhielt: "Es ist nicht leicht, Gutes zu tun, wenn keiner hinschaut."
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Von Peinlichkeiten auf- und abseits der Bühne einmal ganz abgesehen. So sorgte etwa die von Bob Dylan geäußerte Frage, ob man einen Teil der eigentlich für den Kampf gegen die Hungersnot in Äthiopien gesammelten Spenden nicht auch für die Kreditschulden der US-Bauern verwenden könnte, für Entsetzen und Kopfschütteln. Wobei auch dieser Fehlgriff sein Gutes hatte. Aus ihm ging noch im selben Jahr die von Willie Nelson, Neil Young und John Mellencamp gegründete eigene Organisation und Konzertreihe "Farm Aid" zur Unterstützung ebenjener US-Bauern hervor.
Ebenfalls im Jahr 1985 wurde mit "We Are The World" außerdem mit einem weiteren mitunter belächelten Song musikalisch für ein bisschen Frieden gekämpft. Von Harry Belafonte angeregt, von Michael Jackson und Lionel Richie geschrieben, von Quincy Jones produziert und von einer Supergroup namens USA for Africa eingesungen, war es danach mit dem kollektiven Brückenschlag für Mutter Erde aber vorerst vorbei. Nach nationalen Franchiseprojekten wie dem Österreich-Ableger Austria for Afrika mit der Ambros-Fendrich-Komposition "Warum?" ging es bis zum "Live Aid"-Revival des Jahres 2005 unter dem Titel "Live 8" mit seiner als naiv gebrandmarkten Forderung nach einem Schuldenerlass für einige der ärmsten Länder Afrikas durch die G8-Mitgliedsstaaten auf der individuellen Ebene wohltätig weiter.
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Vorrangig bei Stadionkonzerten von U2 oder Coldplay sorgten hohles Pathos und falsche Betroffenheit mit auf der Videowall eingespielten Fotos von Mutter Teresa, Mahatma Gandhi und Nelson Mandela für Gänsehaut - aus den falschen Gründen. Zumal bei U2-Sänger Bono die Aussage "Besser ein Gutmensch als ein Arschloch" an ihre Grenzen stößt. Man kann als Kämpfer für soziale Gerechtigkeit und privater Steuerflüchtling womöglich auch beides auf einmal sein. Für heute gefragte Popstars von Weltrang wiederum gelten in Sachen moralisches Kapital ohnehin besondere Regeln. Neben der eigenen Turnschuhkollektion oder Parfumlinie sollte man immer auch auf sein Engagement für Bereiche wie Klima- oder Tierschutz verweisen können. Und nicht zuletzt der Kampf für Minderheitenrechte gehört natürlich zum guten Ton.
Zusammenstehen
Angesichts des brutalen Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine präsentiert sich derzeit übrigens nicht nur der Westen in seltener Einigkeit. Mit diversen kollektiv begrüßten, also wenn überhaupt nur in Hinblick auf die Corona-Fallzahlen kritisch beäugten Benefizveranstaltungen rückt auch die Kulturbranche wieder zusammen. Sowohl die Solidaritätskundgebung #YesWeCare am 27. März auf dem Wiener Heldenplatz mit Auftritten von etwa Kurt Ostbahn, Garish, Cari Cari oder Shartank sowie der rasch ausverkaufte und von Ewald Tatar und seiner Firma Barracuda Music organisierte Abend unter dem Motto "We Stand With Ukraine" am 19. März mit 40.000 Konzertbesuchern im Wiener Ernst-Happel-Stadion mit Ina Regen, Wanda oder Bilderbuch zum symbolischen Preis von 19,91 an das Unabhängigkeitsjahr der Ukraine erinnernden Euros sorgen dabei für mindestens drei Comebacks.
Die Rückkehr der Pop-Charity und der Großevents als solcher ist die eine Sache. Das erneute Zusammenstehen für Frieden und Freiheit die andere, wichtigere - die heute unabdingbare.