Ftacnik über Differenzen mit Wien und gelungene Beispiele für Kooperation.
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"Wiener Zeitung": Herr Oberbürgermeister, was bedeutet der Begriff Twin City für Sie?
Milan Ftacnik: Für mich ist es die Idee der engen Beziehungen zwischen zwei Städten. Die geringe Distanz zwischen Wien und Bratislava ist in Europa absolut einzigartig. Twin City ist also ein völlig logisches Konzept. Die Städte sind so eng beisammen, dass wir zusammenarbeiten müssen. Wir haben ja auch eine gemeinsame Geschichte.
Vor zehn Jahren ist der Begriff Twin City erstmals aufgetaucht. Wie beurteilen Sie das, was sich seither zwischen den Städten entwickelt hat?
Die Zusammenarbeit verbessert sich, sie ist aber nicht auf dem höchstmöglichen Level. Ein formelles Kooperationsabkommen gibt es auch erst seit vier, fünf Jahren, nicht seit zehn oder zwanzig Jahren. Das hat mich schon etwas überrascht.
Sie haben gesagt, dass die Zusammenarbeit logisch ist. Aber stehen die Städte nicht auch im Wettbewerb zueinander?
Vielleicht gibt es den größten Wettbewerb für Bratislava beim Tourismus. Wien ist eine echte Welt-Destination, aber wir sind auch eine Hauptstadt und wollen gesehen werden. Wir würden gerne die kurze Distanz zu Wien nützen und die Touristen einladen. Und zwar nicht nur, um ein paar Stunden herumzuspazieren, sondern auch, um länger zu bleiben.
Was sind derzeit die wichtigsten gemeinsamen Projekte?
Es gibt noch viel Potenzial in Bereichen, die für die wirtschaftliche Entwicklung beider Städte wichtig sind, vor allem Verkehr und Transport. Wir arbeiten am EU-Projekt "TEN-T-17", das eine schnelle Bahnverbindung zwischen Paris, Wien und Bratislava vorsieht. Das gleiche gilt für die Marchfeld Schnellstraße (S8).
Aktuell dauert die Bahnfahrt rund 70 Minuten, das ginge weit schneller. Warum dauert es so lange, bis es eine echte Schnellverbindung mit der Bahn gibt?
Bitte bedenken Sie, wie lange wir an der Autobahn geplant und gebaut haben. Und ich bin sehr höflich, wenn ich sage, dass es da etwas mehr Probleme auf der österreichischen Seite gegeben hat. Die Bahnverbindung diskutieren wir auch schon viele Jahre. Die Priorität in Österreich ist die Verbindung nördlich der Donau über Marchegg, unser Plan ist die südliche Trasse über Kittsee nach Petrzalka. Da gibt es kleine Differenzen, deshalb werden wir beide Strecken ausbauen, wir wissen aber noch nicht, welche zuerst.
Die Häfen in Bratislava und Wien könnten wichtiger werden, wenn die russische Breitspurbahn bis nach Zentraleuropa verlegt wird.
Absolut. Wien hat allerdings mehr Einfluss auf die Nutzung der Donau als wir in Bratislava, das ist bei uns Sache des Staates. Bei unserer Potenzialanalyse hat sich klar gezeigt, dass Bratislava die Donau nicht so gut nützt wie Wien. Wir diskutieren das jetzt aktiv mit der Regierung, denn wenn die Breitspur kommt, ist das eine große Chance.
Gab es bisher Gespräche mit Wien über die Nutzung der Donau?
Nein, wir haben bisher nur über den Twin-City-Liner gesprochen, der ein erfolgreiches Projekt ist, aber von österreichischer Seite organisiert wird. Wir würden da gerne mehr Kapazität in Bratislava sehen, denn der Fahrplan ist für die Slowaken ungünstig. Von Wien muss man um sechs Uhr zurückfahren, aus Bratislava ist die letzte Fahrt um halb elf. Das werden wir diskutieren müssen, ebenso wie die Häfen. Und auch das Thema Flughafen muss diskutiert werden.
Was den Flughafen betrifft, ist viel falsch gelaufen. Gibt es Anzeichen für einen Neubeginn?
Nein, das ist allerdings auch Angelegenheit des slowakischen Staates. Wir müssen die Zusammenarbeit der Flughäfen ohne Frage verdichten. Das wichtigste Projekt ist dabei die Bahnverbindung zwischen den Airports. Auf österreichischer Seite ist das schon geklärt, jetzt müssen wir das auch auf unserer Seite klären.
Es gibt immer wieder Zusammenarbeit auf kultureller Ebene. Ist das ein Bereich, in dem Kooperation der Twin Citys gut funktioniert?
Ja, aber das sind mehr individuelle Aktivitäten, da gibt es kein spezielles Programm. Ich würde das gerne anders angehen, die kulturellen Projekte auch aktiv durch die Städte mitgestalten. Davon hab ich in der Vergangenheit nicht viel gesehen.
Wie oft findet zwischen den Städten überhaupt ein Gedankenaustausch statt, offiziell wie informell?
Es ist unregelmäßig, aber einige Male pro Jahr. Was ich mir aber wünschen würde, wäre ein genauer Plan. Die Kooperation ist eine breite Angelegenheit, darum braucht es Struktur. Allerdings sind wir vielleicht noch nicht so weit. Bürgermeister Häupl denkt sehr praktisch. Wenn wir mit einem Projekt kommen, ist er bereit. Aber wir kommen nicht. Ich muss also selbstkritisch sein.
Gibt es konkrete Beispiele für gelungene Zusammenarbeit?
Ich habe mich mit Vizebürgermeisterin Vassilakou zum Thema Radverkehr getroffen. Das fehlt hier völlig. Wir haben den Plan, hier in die Fußstampfen von Wien zu treten. Auch das Bike-Sharing-Konzept ist etwas, das wir für hier andenken. Wir haben bisher noch keinen Partner gefunden, darum werden wir die Anbieter aus Wien fragen, ob sie gerne nach Bratislava kommen würden.
In Wien muss man sich schon aktiv über Events in Bratislava informieren. Wäre das auch eine Idee für Zusammenarbeit, dass die Städte einander gewisse Plakatflächen zur Verfügung stellen?
Das ist sogar eine sehr gute Idee. Es ist natürlich unser Interesse, Menschen aus Wien zu kulturellen Veranstaltungen nach Bratislava zu bringen. Wir sind ja auch daran interessiert, was in Wien passiert. Und wir brauchen einen Platz, um das zu bewerben.
Haben Sie für das Twin-City-Konzept auch Zukunftsvision? Wie wird es in 20 Jahren sein?
Wien ist heute viel wohlhabender als Bratislava, das Budget von 11 Milliarden Euro gegenüber unseren 220 Millionen Euro ist unglaublich. Wien hat erfolgreiche 20 Jahre hinter sich, wir wollen in den nächsten 20 Jahren gerne den gleichen Weg gehen. In der Zukunft wird die Kooperation sicher intensiver werden, es wird auch viel einfacher werden, von Wien nach Bratislava zu gelangen. Ich hoffe, wir werden mehr Universitätskooperation haben, mehr gemeinsame Forschung. Die Städte werden weiter unabhängig sein, aber gleichzeitig unglaublich eng. Unsere Großväter sind nach Wien auf einen Kaffee mit der Straßenbahn gefahren und die Wiener sind zu den Heurigen, die es früher hier gab. Es soll wieder so natürlich sein wie vor 100 Jahren.
Zur Person:
Milan Ftacnik ist seit Dezember 2010 der erste linke Oberbürgermeister von Bratislava seit der Wende, zuvor war er bereits im Stadtteil Petrzalka Bürgermeister. Zwischen 1998 und 2002 war der Physiker für die Demokratische Linke als Bildungsminister in der Regierung, als jetzt Unabhängiger wurde er bei der Wahl 2010 von den Sozialdemokraten unterstützt.