Jobmesse: 800 Menschen suchen Einstieg über zweiten Arbeitsmarkt. | Caritas und Co. gegen Arbeitspflicht. | Wien. Kurz nach 10 Uhr, die Tore öffnen sich. Gut 100 Menschen strömen in den Saal der Berufsschule Längenfeldgasse. Bis 14 Uhr werden es 800 Personen sein, die sich über Stellenangebote informieren wollen, schätzt Christoph Parak, Geschäftsführer beim Wiener Dachverband für sozial-ökonomische Einrichtungen (DSE). Die Jobmesse für langzeitbeschäftigungslose Menschen findet zum dritten Mal statt. | ,Arbeitspflicht´ als Koalitionskeil
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Viele der Menschen, die hierher kommen, gehören zu jener Klientel, die Wiens ÖVP-Chefin Christine Marek zu gemeinnütziger Arbeit verpflichten will. Sie erhielten zwar ein Schreiben, das sie auf die Jobmesse hinwies, sind aber freiwillig hier. Diese Menschen wollen einen Job, von sich aus. 30 Einrichtungen und DSE-Partnerorganisationen haben spezielle Berufs- und Bildungsangebote für Bewerber, die sonst wenig Chancen haben, im Arbeitsmarkt Fuß zu fassen: Weil sie kaum Qualifikationen aufweisen, weil sie Bewerbungsgespräche sie vor scheinbar unüberwindliche Hürden stellen oder weil sie durch Gesundheitsprobleme, Behinderung oder Sucht beeinträchtigt sind. Der zweite Arbeitsmarkt soll sie an die "normale" Arbeitswelt heranführen - statt die Menschen nach wiederholten Absagen frustriert resignieren zu lassen.
"Blanker Zynismus"
Die Marek-Idee, die Menschen zur Arbeit bei Caritas und Hilfswerk oder zum Rasenmähen und Straßenkehren zu verpflichten, ist Gesprächsthema Nummer eins. Und stößt durchwegs auf Ablehnung. Kein Wunder: Hier prallen zwei ideologische Welten aufeinander. Ist es die Verantwortung jedes Einzelnen, einen Job zu finden - wobei notfalls mit Druck nachgeholfen wird. Oder ist es die Pflicht der Gesellschaft, (meist hochsubventionierte) Angebote zu machen, sodass der Job einstieg leicht gemacht wird. Im Kern reduziert es sich somit auf die simple Frage: Sind Langzeitarbeitslose unwillig oder chancenlos?
"Solange nicht auf jeden Arbeitssuchenden drei freie Jobs kommen, ist das blanker Zynismus", sagt Rudolf P. Wagner, Geschäftsführer vor "pro mente" in Wien zum ÖVP-Vorschlag. Auch die Caritas, die von Marek explizit als Arbeitgeber erwähnt wurde, lehnt die Idee ab. Sie gehe vollkommen an der Realität der Betroffenen vorbei, erklärt Wiens Caritasdirektor Michael Landau: "Die Menschen wollen Arbeit. Niemand steht gern am Rand der Gesellschaft, aber auf acht Arbeitssuchende kommt derzeit ein freier Arbeitsplatz." Die Missbrauchsdebatte müsse "an beiden Ende der Gesellschaft" geführt werden - nicht immer nur bei den Ärmsten. Zwar habe die Caritas im Pflegebereich großen Personalbedarf, dafür brauche es aber geeignete und qualifizierte Personen.
Druck auf die Löhne
Dass die bedarfsorientierte Mindestsicherung, die in Wien seit Anfang September in Kraft ist, zur "sozialen Hängematte" werden könnte, glaubt Heimo Rampetsreiter vom Wiener DSE nicht. Im Gegenteil: Da die Mindestsicherung nicht zurückgefordert wird, sei eine bisherige Hürde für die Rückkehr ins Arbeitsleben weggefallen.
"Wir halten nichts vom Arbeitsdienst, wie ihn die ÖVP fordert", sagt Norbert Bachner-Lagler, Vorsitzender des Wiener Arbeitnehmerförderungsfonds (Waff) und SPÖ-Gemeinderat: "Das löst weder das Problem des Arbeitsmarktes noch jenes der Arbeitslosen." Es gebe "vernünftige Vollzeitjobs in der Parkpflege und Straßenreinigung" - ein verpflichtender Gemeinschaftsdienst würde nur Druck auf die Löhne ausüben und zu Dumping führen.
Pilotprojekte in Wien
Die Zahl der Beschäftigungslosen, die ein Jahr oder mehr ohne Arbeit waren, ist krisenbedingt von 24.585 (2009) auf 28.584 (2010) gestiegen, sagte Inge Friehs, Vize-Chefin des Arbeitsmarktservice Wien. Sie weist auf die Angebote hin, wo Bezieher der bedarfsorientierten Mindestsicherung mit Langzeitarbeitslosen künftig gleichgestellt sind. Am Pilotprojekt "Step2job", das in Vorbereitung auf die Mindestsicherung in Floridsdorf und Donaustadt gestartet worden war, hätten 805 Personen teilgenommen. 150 Menschen konnte ein Job verschafft werden, davon 60 im zweiten Arbeitsmarkt. Weitere 370 Personen wurden in Kursen weitergebildet.
Insgesamt gibt das AMS Wien für langzeitbeschäftigungslose Menschen pro Jahr 180 Millionen Euro aus. Der Großteil entfällt auf Ausbildungen. Mit 45 Millionen werden 15 sozialökonomische Betriebe und drei gemeinnützige Überlassungsfirmen finanziert.
Eingliederungsbeihilfen machen 20 Millionen Euro aus: Hierbei wird Firmen sieben Monate lang ein großer Teil der Lohnkosten ersetzt.