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"Es gibt triftige Gründe, Großbanken aufzuteilen"

Von Hermann Sileitsch

Wirtschaft
Der Schweizer Bankenexperte Manuel Ammann
© D. Ammann

Warum das Bankgeheimnis obsolet ist, der Schweizer Finanzplatz dennoch überlebt - und über den großen Konstruktionsfehler einer Bankenaufsicht bei der EZB.


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Wiener Zeitung: Wie bedrohlich sind aus Ihrer Sicht die Vermögensabflüsse für den Schweizer Finanzplatz?
Manuel Ammann: Für den Finanzplatz insgesamt ist die Entwicklung nicht bedrohlich. Allenfalls für einzelne Banken, die sich sehr stark auf das Offshore-Geschäft spezialisiert hatten und noch nicht ausreichend auf den seit einigen Jahren absehbaren Trend reagiert haben.  Das ist aber sicher nicht die Mehrheit, wenngleich die meisten Banken natürlich trotzdem noch viele ‚legacy assets‘ haben – aus der Zeit, als sie unversteuerte Gelder angenommen hatten. Bei Kunden aus europäischen Staaten wie Deutschland, Frankreich oder  Österreich gibt es in der Tat Abflüsse zu verzeichnen – einerseits aufgrund der geplanten Steuerabkommen, andererseits aufgrund der Verunsicherung durch auch Ankäufe von CDs mit Steuerdaten.

Wiener Zeitung: Wie können die Banken darauf reagieren?
Manuel Ammann: Ich denke, dass man tatsächlich auf das Geschäft mit unversteuerten Geldern verzichten muss – oder schon in den letzten Jahren faktisch verzichtet hat. Es ist sicherlich eine große Herausforderung für die Banken, wenn ein so großer Wettbewerbsvorteil wie das Bankgeheimnis wegfällt. Das sind Prozesse, die einige Jahre dauern.

 Wiener Zeitung: Was könnte stattdessen kommen?
Manuel Ammann: Das hat eine betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Dimension. Die Banken werden ihre Dienstleistungen verbessern müssen, um mit Service und Beratung oder der Produktpalette zu punkten. Auch bei der Performance gibt es Raum für Verbesserung, da hat man bei unversteuerten Geldern nicht den gleichen Wettbewerbsdruck verspürt. Es geht also um Alleinstellungsmerkmale bei der Erbringung der Dienstleistungen und in den Produkten. Daneben gibt es volkswirtschaftliche Argumente, die für die Schweiz sprechen – von makroökonomischen Faktoren wie Wachstum über die geringe Staatsverschuldung, die verglichen mit dem Euro geringere Inflationsgefahr der Währung bis hin zur Rechtssicherheit.
 
Wiener Zeitung: Hat der Steuerstreit mit den USA  (wo die Schweiz in einem umstrittenen Schweiz Daten freigegeben hat, Anm.) diesen Ruf nicht angekratzt?
Manuel Ammann: Ich denke, die Reputation hat hier in der Tat bereits etwas gelitten, aber die Schweiz gilt in der Wahrnehmung der meisten Anleger wohl noch immer als rechtlich äußerst zuverlässiger Finanzplatz – auch verglichen mit anderen europäischen Ländern.

 Wiener Zeitung: Es gibt Schätzungen, wonach 200 Milliarden Franken abfließen könnten. Halten Sie das für realistisch?
Manuel Ammann: Diese Zahlen kann ich nicht kommentieren. Es gibt keine zuverlässigen Berechnungen, welcher Anteil des ausländischen Vermögens auf unversteuertes Geld entfällt.

Wiener Zeitung: Sind die Großbanken UBS und CS besonders betroffen?
Manuel Ammann: Die wirklich großen Institute, die über eine kritische Masse verfügen, haben ihre Onshore-Präsenz soweit ausgebaut, dass ihre Abhängigkeit von unversteuertem Vermögen nicht mehr allzu groß ist. Viel stärkere Probleme könnten kleine Institute haben, falls sie immer noch auf den Offshore Markt fokussiert sind.

 Wiener Zeitung: UBS und CS stehen auch bei der Libor-Affäre unter Beschuss. Gibt es da strukturelle Probleme?
Manuel Ammann: Ich weiß nicht, wie stark die Schweizer Banken vom Fall Libor betroffen sind. Um die Frage grundsätzlicher zu beantworten: Die Tatsache, dass die UBS gerettet werden musste, zeigt, dass strukturell nicht alles zum Besten stand und die Risiken nicht vollständig unter Kontrolle waren. Auf der anderen Seite sind natürlich ganz große Institute umso schwieriger zu managen, je größer sie werden. Da gibt es immer wieder Problemfelder aufgrund der Masse. Das zeigt die Problematik des Modells der riesigen Universalbank, dieses birgt auch Nachteile.

Wiener Zeitung: Würden Sie eine zwingende Auftrennung von Großbanken in Geschäfts- und Investmentbank befürworten?
Manuel Ammann: Ich glaube, die Zeit ist noch nicht reif für eine Trennung. Es gibt aus betriebswirtschaftlicher Sicht durchaus Vorteile, wenn sie eine Universalbank sind. Aus volkswirtschaftlicher Sicht gibt es aber triftige Gründe, die dafür sprechen, Großbanken aufzuteilen. Ob das zwingend eine Aufteilung entlang dieser Trennlinien sein muss, ist eine offene Frage – vielleicht könnte es eine geographische sein: Im Geschäft in den USA und in der Schweiz gibt es kaum Synergien. Dass riesige Banken aufgrund des systemischen Risikos volkswirtschaftliche Nachteile bringen können, ist unbestritten. Dass eine Aufteilung vielleicht sogar im Interesse der Aktionäre sein könnte, ist hingegen eine neuere Erkenntnis: Konglomerate werden an den Börsen mit einem Bewertungsabschlag bestraft.
<br style="font-style: italic;" /> Wiener Zeitung: Sehen Sie das Bankgeheimnis schon als tot?
Manuel Ammann: Es ist formell nicht aufgehoben, aber es ist sehr stark ausgehöhlt worden – und wird weiterhin ausgehöhlt: Denken Sie an Richtlinien gegen Geldwäscherei, die schwere Steuerhinterziehung neu als Vortat zur Geldwäscherei einstufen, oder an die Möglichkeit zu Gruppenanfragen: Man muss nicht mehr Informationen zu konkreten Kunden oder Namen kennen, sondern nur noch ein Muster beschreiben, um an Informationen zu gelangen: Das weicht das Bankgeheimnis sehr stark auf.

Wiener Zeitung: Wie beurteilen Sie die Pläne für eine europäische Bankenaufsicht?
Manuel Ammann: Die Grundidee, dass ein europäischer Bankensektor ein Binnenmarkt mit einheitlichen Regeln sein sollte, ist nicht schlecht. So könnten bürokratische Hürden fallen und ein großer gesamteuropäischer Markt für Bankdienstleistungen möglich werden. Ich bin aber skeptisch, ob das die wahre Zielsetzung ist. Ich befürchte, es geht heimlich um etwas ganz anderes…

 Wiener Zeitung: … die direkte Rekapitalisierung von Problembanken?
Manuel Ammann: Richtig, dass man aus irgendwelchen Töpfen an den Staaten vorbei Banken retten kann – und damit bei den Banken falsche Risikoanreize erzeugt. Das sehe ich sehr kritisch, wenn man Aktionäre und Gläubiger auf Kosten der Steuerzahler verschont.

 Wiener Zeitung: Offiziell dient die Bankenunion aber gerade dazu, nicht auf Steuergeld angewiesen zu sein. Glauben Sie nicht daran?
Manuel Ammann: Im Moment ist es noch sehr schwierig zu sagen, welche Ausgestaltung sich politisch durchsetzen wird. Was herauskommt, könnte etwas Positives sein. Aber wenn ich schaue, welche Lösungen in Europa als Reaktion auf die Finanz- und Schuldenkrise gefunden wurden und dass der Auslöser für den Vorschlag der Bankenunion der Rekapitalisierungsbedarf der spanischen Banken war, dann hege ich Zweifel.

 Wiener Zeitung: Ist die Europäische Zentralbank der richtige Platz, um die Aufsicht anzusiedeln?
Manuel Ammann: Überhaupt nicht. Das ist ein großer Konstruktionsfehler, der sich schon jetzt abzeichnet. Ich halte es für verfehlt, immer mehr Aufgaben bei der Geldpolitik anzusiedeln. Bankenaufsicht und Geldpolitik sind Aufgaben, die gravierende Interessen- und Zielkonflikte bergen können. Ich glaube auch nicht, dass man das durch interne "Chinese Walls"  restlos verhindern kann.

Zur Person:
Manuel Ammann (42) ist ordentlicher Professor für Finanzen an der Universität St.Gallen und Direktor des Schweizerischen Instituts für Banken und Finanzen. Er ist als Gutachter und Berater für Finanzinstitutionen und die öffentliche Hand tätig und ist Mitglied mehrerer Verwaltungsräte.