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Es gibt Wiederholungen

Von Andreas Rauschal

Reflexionen
Pandemische Gleichförmigkeit: Jeder Tag ist wie der Tag davor.
© getty images / Moment RF / Yulia Reznikov

Die Monotonie ist zum bestimmenden Gefühl der Pandemie geworden. Nach wie vor grüßt täglich das Murmeltier.


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"Every day is like Sunday, every day is silent and grey" heißt es bei Morrissey, "Every day is exactly the same" bei den Nine Inch Nails. Und neben Attwenger ("Es gibt Wiederholungen") verstand es auch Jochen Distelmeyer mit seiner Band Blumfeld schon vor etwas längerer Zeit, uns auf die gegenwärtige Gesamtsituation vorzubereiten: "Arbeit, Fernsehen, Schlafengehen, so macht das Leben keinen Sinn."

Im dritten Jahr der Corona-Pandemie weiß man besser denn je, was damit gemeint ist. Das Leben hat entschieden an Farbe und Abwechslungsreichtum verloren, stattdessen hat die Monotonie Einzug gehalten. Sie ist zum bestimmenden Gefühl unseres Alltags geworden und sorgt vor allem im Winter dafür, dass sich die Tage und Wochen in die Länge ziehen, während sich im Wesentlichen wenig bis nichts ereignet. Und nichts ist immer noch besser als gar nichts (Herbert Achternbusch)! Psychologen zufolge soll es vor allem dieser Umstand sein, der sich auf die Konzentrations- und Leistungsfähigkeit niederschlägt. Was wollte ich gerade eigentlich sagen?

Ach ja, nicht nur der griechische Dramatiker Euripides war der Meinung, dass der Mensch auf Dauer für Monotonie nicht geschaffen ist: "Abwechslung stärkt den Appetit." Auch die deutsche Schlager-Philosophin und Unterhaltungsgottheit Helene Fischer weiß in diesbezüglich bestärkenden Liedern wie "Mit keinem andern" von den Vorzügen der Alltagsflucht zu berichten, die letztlich darauf beruhen, dass man endlich etwas Verrücktes in Angriff nimmt. Damit überrascht man nicht nur sein Umfeld, man überrascht in erster Linie auch sich selbst.

Die Zierpolster verschieben

Leider hat die Pandemie die Grenzen hier ein wenig verschoben. Etwas Verrücktes zu machen bedeutet nicht mehr zwangsläufig, sich Hals über Kopf zu verlieben, den Job hinzuschmeißen und über Nacht in ein fernes Tropen- und Steuerparadies auszuwandern, um von dort aus keine Postkarten mehr nach Hause zu schicken. Vielmehr bedeutet es mittlerweile, dass man die Zierpolster auf der Couch einmal um fünf Zentimeter nach links verschiebt oder aus reiner Langeweile entscheidet, seiner Katze das Fell pink zu färben. Apropos Langeweile: Hinter der Waschmaschine aufwischen und das Kellerabteil tapezieren war Lockdown eins, Spazierengehen und Brotbacken Lockdown zwei - alles danach war die pure Verzweiflung.

Natürlich könnte man es wie Henry Miller ein wenig positiver betrachten: "Der Unterschied zwischen Monogamie und Monotonie liegt darin, dass Monotonie etwas interessanter ist." Und man könnte vor allem darüber nachdenken, wo die gute alte Gleichförmigkeit in präpandemischen Zeiten nicht als quälend, zersetzend und öde, sprich als schlicht unerträglich wahrgenommen wurde, sondern als bereichernd und positiv - um dem Status quo ein Schnippchen zu schlagen.

Immerhin beruht das Gebet für religiös Heilssuchende ebenso auf der Wiederholung wie die Meditation für weltlich gestimmte Freunde des Seelenheils und der Entspannung. Radfahren und Laufen als Symbol für unser altes, atemloses Leben gehen sowieso mit einem quasimaschinellen Funktionieren einher, das den Ausstoß von Glückshormonen trotzdem befördert. Vor allem, wenn währenddessen bei klarer Luft die prächtige Landschaft vorbeizieht und einem die Muckibude nicht etwa aufgrund eines Lockdowns gestohlen bleibt.

Seltsame Déjà-vus

Wie sich Kunstliebhaber beim Anblick monochromer Malerei an einem Farbspektrum erfreuen, das außer auf Minimalismus und Selbstbeschränkung nur auf Minimalismus und Selbstbeschränkung beruht, oder gerade auch die metaphorisch für die Pandemie stehende Tristesse von Edward-Hopper-Bildern für Begeisterung zu sorgen vermag, können Klassikfreunde sich von Ravels "Boléro" und dessen 169-fach (!) wiederholtem Trommelmotiv in einen Sog ziehen lassen und stramme Motorikbeats Krautrock-Hörer in Trance versetzen. Techno nts-ntste bei heute nur mehr dunkel erinnerten Clubbesuchen sehr zur Freude der Neigungsgruppe ja auch nicht von ungefähr eher eintönig durch das Gemäuer. Abwechslung war nicht nur nicht gefragt, sie war schlichtweg unerwünscht. Aktuell sieht es mit dieser Art Wahlfreiheit eher mager aus. Wenn das Murmeltier täglich grüßt und der Tag schon beim Läuten des Weckers mit einem seltsamen Déjà-vu beginnt, stellt sich die Frage nicht mehr, was heute noch kommen mag. Arbeit, Fernsehen, Schlafengehen - na, wir kennen das.

Ein Blick zurück legt zwar nahe, dass sich auch der Homo neanderthalensis beim Schnitzen seiner Holzspeere für den täglichen Überlebenskampf bereits fadisiert haben dürfte. Erst die Industrialisierung und die mit ihr einhergehende ständige Wiederholung stumpfer Tätigkeiten ohne jedweden Freiraum sowie die parallel dazu einsetzende Durchdringung sämtlicher Lebensbereiche mit standardisierten Abläufen und dem Blick auf die Uhr hat den Menschen allerdings in die Knie gezwungen. Sie hat ihn dazu gebracht, vor der Gleichförmigkeit zu kapitulieren und sie als notwendiges Übel anzunehmen. Zeit ist neben Zeit nicht nur bei Dagobert Duck immer auch Geld. Und ständige Produktivität bei gleichzeitigem körperlichem Stillstand war plötzlich jederzeit möglich.

Langeweile in Serie

Zum Glück wurde bald aber auch das Unterhaltungsgewerbe auf Fließbandproduktion umgestellt. Irgendwann schließlich war Netflix erfunden. Zu Hause im Grau der Reihenhaussiedlung kann sich der erwerbstätige Mensch nach getaner Arbeit so entweder zu Tode amüsieren. Oder er bekommt Langeweile in Serie vorgesetzt. "Wir vertreiben uns die Zeit so lange, bis sie uns vertreibt." (August Pauly)

Kaum etwas hat die Corona-Krise schlappe 310 Jahre nach Einführung der Dampfmaschine und der anschließenden Entwicklung hin zur ewigen Kreislaufwirtschaft aus Hamsterrad und Berieselung jedenfalls drastischer vor Augen geführt als eines - und damit sind wir bei des Pudels monotonem Kern: Nichts ist für den modernen Menschen schwieriger, als auf sich selbst zurückgeworfen zu sein und zum Beispiel einmal exakt gar nichts zu machen. Man könnte sich am Ende noch kennenlernen und dabei bemerken, dass die Hölle nicht nur die anderen sind. Die Hölle, das sind immer auch wir.

Entschuldigen Sie mich jetzt aber bitte. Hinter der Waschmaschine gehört auch wieder einmal gewischt.