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Es gilt das gesprochene Wort

Von Engelbert Washietl

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Zweimal hintereinander hat die politikverdrossene Gesellschaft elektrisiert aufgehorcht: bei Thilo Sarrazin und beim türkischen Botschafter Tezcan.


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Eine derartige Aufmerksamkeit möchte man gern einem durchschnittlichen österreichischen Regierungspolitiker wünschen. Das Phänomen ist nämlich nur zum Teil damit zu erklären, dass die zwei genannten Personen mit dem Reizthema Türken und Ausländerfrage hantierten. Unabhängig vom Thema war es die ungefilterte Sprache der beiden, die die natürlichen Abwehrkräfte der Zuhörer gegen Schallwellen politischen Inhaltes überwand, so dass landesweit die Stammtische wackelten.

Wir merken gar nicht mehr, wie abseitig und vom Leben abgewandt die im öffentlichen Raum gesprochene Sprache geworden ist. Sie steckt voll von Doppeldeutigkeiten, Ungesagtem, Sinnlosem und jenen Elementen der "political correctness", die eher als sprachlose Angstbewältigung zu definieren wären denn als Aussage. Es werden Fakten unterdrückt oder geschönt dargestellt, bloß weil man gewisse Dinge eben nicht sagen darf.

Ein Heer von Beratern trainiert die Politiker darauf, nichts Falsches zu sagen. Diese Kunst lernen freilich sogar jene Menschen schnell, die sowieso nichts zu sagen haben, aber dennoch in Führungspositionen sitzen. Das ist aber in letzter Konsequenz das Ende des Gesprächs oder, geschraubter ausgedrückt, das Ende der Kommunikation. Es kommt nichts mehr heraus als bedeutungslo ses Plappern, Fadesse pur. Das Publikum wendet sich ab und wichtigeren Din-

gen zu.

Botschafter Kadri Ecvet Tezcan hat in dem "Presse"-Interview ein Tabu gebrochen. So etwas sagt ein Botschafter nicht, schon gar nicht so, dass jeder versteht, was er meint. Tatsächlich, die "Diplomatensprache" ist geradezu ein Synonym für die Kunst, mit vielen Worten keine Aussage zu machen. Im Umgang der Diplomaten miteinander genügt das - sie verstehen einander auch dann gut, wenn sie einander professionell anlügen. Auf normale Menschen, die im Publikum sitzen, wirken ihre öffentlichen Vorträge aber zumeist wie ein Achtel Rotwein zum Einschlafen.

Tezcan hat sich daran nicht gehalten, das ist die Sensation. Und der inzwischen gestürzte Vorstand der deutschen Bundesbank Thilo Sarrazin fuhr mit seinen gentechnischen Äußerungen zum Türkenproblem wie mit einem Bagger in die verschlafenen deutschen Vorgärten. Nicht nur Botschafter, auch Bankdirektoren dürfen nicht alles sagen, und wenn sie es dennoch tun, werden sie aus der SPD ausgeschlossen.

Ein blendendes Beispiel dafür, wie Normpolitiker die Bevölkerung einzulullen versuchen, ist die Behandlung des österreichischen Sparbudgets. Ein halbes Jahr lang wurden den Bürgern die Eckpunkte des Staatshaushaltes verheimlicht, weil die Landtagswahlen in Wien und der Steiermark nicht gestört werden durften. Diese seltsame Rücksichtnahme wurde sowieso von kaum jemandem verstanden, aber jetzt, da die Katze aus dem Sack ist, fragt sich jeder: Und deswegen haben sich die nichts zu sagen getraut?

Indem die glatten Normpolitiker die Sprache als wesentliches Werkzeug der Mitteilung beschädigen, zerstören sie auch ihre Chance, bei den Bürgern Gehör zu finden. Die zwei Wahlgänge haben folglich gezeigt, dass gepflegtes Stottern und Herumtuscheln zwar den politischen Gleitflug unterstützen, für die Endabrechnung aber nichts bringen. Den Bürgern ist viel mehr zuzumuten, als Politiker glauben. Es ist damit ja nicht blanker Unsinn gemeint.

Der Autor ist Sprecher der "Initiative Qualität im Journalismus"; zuvor war er Journalist bei "Wirtschaftsblatt", "Presse" und "Salzburger Nachrichten".