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Die neue Covid-19-Verkehrsbeschränkungsverordnung schöpft nicht alle Möglichkeiten aus, die das Epidemiegesetz hergäbe.
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Mit 1. August hat unsere Gesundheitsbehörde in der Covid-Infektionslage einen bedeutungsvollen Schwenk vollzogen: weg von der bisher praktizierten Quarantäne Infizierter hin zu bloßen Verkehrsbeschränkungen. Inwiefern und inwieweit das infektiologisch vertretbar ist, kann nicht Gegenstand unserer Untersuchung sein - evident sind die vielen kritischen bis ablehnenden Stimmen. Es wurde sogar die Meinung geäußert, damit sei der Grundstein für einen nächsten Lockdown im Herbst gelegt beziehungsweise versuche die Politik, Covid-19 in eine "normale" Infektionskrankheit umzudeuten, um der Bevölkerung ein "normales" Leben ("wie früher") zu ermöglichen. Wie auch immer, was sind nun die Eckpunkte der neuen Regelung, die unbefristet gilt?
Die gesamte Verordnung gilt zunächst einmal ausschließlich für positiv Getestete. Da weder eine Impf-, noch eine Testpflicht besteht, können sich selbst Personen, die deutliche Symptome einer Infizierung mit Covid aufweisen, völlig frei überall bewegen. Man fragt sich: Muss das so sein? Nein. Müsste nicht. Die aufgrund des Gesetzes vom 14. April 1913, RGBl. Nr. 67, betreffend die Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten ergangene und nunmehr mit BGBl II 2022/295 novellierte Verordnung vom 22. Februar 1915 betreffend die Absonderung Kranker, Krankheitsverdächtiger und Ansteckungsverdächtiger sieht wesentlich weitergehende Möglichkeiten von Verkehrsbeschränkungen vor und unterscheidet - ebenso wie das Epidemiegesetz - zwischen Kranken, Krankheitsverdächtigen und Ansteckungsverdächtigen, während die rezente Verkehrsbeschränkungsverordnung (VbV) sich auf Kranke beschränkt. Wir haben hier also nunmehr "Verkehrsbeschränkungen superlight" vor uns.
Als "Zusammenkünfte" im Sinne dieser Verordnung gelten Zusammenkünfte von Personen aus verschiedenen Haushalten. Zum "privaten Wohnbereich" zählen auch Wohneinheiten in Beherbergungsbetrieben. Als "physischer Kontakt" gilt nunmehr in Präzisierung der Covid-Verordnung jede körperliche Anwesenheit einer anderen (offenbar auch haushaltsgleichen? Oder liegt hier ein Fehler vor?) Person im selben Raum. Wobei der Verordnungstext keinen Bezug nimmt auf räumliche Distanz. Betritt daher etwa eine positiv getestete Reinigungskraft von einer Seite einer großen Halle den Raum, und am anderen Ende, 200 Meter entfernt, steht eine andere Person, so muss Erstere die Maske aufsetzen. Im Schanigarten hingegen dürfen nachher beide einander maskenlos - in 2,10 Meter Distanz - zuprosten.
Die Verpflichtung zum durchgehenden Tragen einer Maske besteht außerhalb des privaten Wohnbereichs in geschlossenen Räumen, wenn ein physischer Kontakt zu anderen Personen nicht ausgeschlossen ist, und im Freien, sofern ein Mindestabstand von zwei Metern zu anderen (nicht positiv getesteten) Personen nicht eingehalten werden kann, weiters in öffentlichen Verkehrsmitteln, in privaten Verkehrsmitteln, sofern ein physischer Kontakt zu anderen Personen nicht ausgeschlossen ist, sowie im privaten Wohnbereich bei Zusammenkünften mit haushaltsfremden Personen.
Der Begriff der "Zusammenkunft" wird dabei nach wie vor nicht definiert; so ist nicht klar, ob es sich dabei um ein geplantes, vorbereitetes, organisiertes Treffen handelt mit Einladung, einem Ablauf und einem Ziel (also im Sinne von Veranstaltungen und Interaktionen), oder ob damit auch ein zufälliges Aufeinandertreffen von Personen ohne Plan gemeint ist. Beispiel: Die Wohnungsinhaberin lädt eine Nachbarin, die wegen einer Frage klingelt, spontan zum Kaffee ein. Zusammenkunft? Maske auf? Oder Verlegung auf die Terrasse mit mehr als 2 Meter Abstand? Das Ganze gilt natürlich nur, wenn eine der beiden positiv getestet ist, sonst nicht. Und auch nicht, sollten beide positiv getestet sein. Übrigens: Auch auf den gewöhnlichen Wortgebrauch zu rekurrieren (Duden & Co), bringt hier nichts.
Maske ist korrekt zu tragen
Ob die Maskenpflicht im privaten Wohnbereich und insbesondere eine behördliche Ingerenz in diesem Bereich mit dem österreichischen Grundrechtsschutz des Hausrechts und Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention ("Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung. (...) Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.") in Einklang zu bringen ist, muss letztlich der VfGH klären.
Ob Paragraf 44 Absatz 2 Epidemiegesetz ("Den zur Vornahme der Desinfektion oder zu sonstigen Vorkehrungen im Sinne dieses Gesetzes behördlich abgeordneten Organen darf der Zutritt in Grundstücke, Häuser und sonstige Anlagen, insbesondere in ansteckungsverdächtige Räume und zu ansteckungsverdächtigen Gegenständen sowie die Vornahme der erforderlichen Maßnahmen und der zur Desinfektion oder Vernichtung erforderlichen Verfügungen über Gegenstände und Räume nicht verwehrt werden.") eine hinreichende Grundlage für ein solches Einschreiten böte, scheint zumindest fraglich.
Dabei ist die Maske korrekt (insbesondere vollständige Bedeckung von Mund und Nase, regelmäßiges Wechseln der Maske) zu tragen. Wird im geschlossenen Raum oder im privaten Verkehrsmittel, etwa einem Reiseautobus, die Maske nicht durchgehend getragen, weil ein physischer Kontakt zu anderen Personen ausgeschlossen ist, ist ein allfälliges Infektionsrisiko für andere Personen durch sonstige geeignete Schutzmaßnahmen wie insbesondere das regelmäßige Durchlüften von Räumen zu minimieren.
Arbeitsrechtliche Fragen
Betretungsverbote gibt es außerhalb der vulnerablen Bereiche (Spitäler, Heime, Kindergärten) keine. Arbeitsorte dürfen nicht betreten werden, wenn die Verpflichtung zum durchgehenden Tragen einer Maske am Arbeitsort und auf dem Weg zum Arbeitsort (Achtung! Sonderklausel, gilt auch im Freien bei mehr als zwei Meter Abstand!) aus medizinischen Gründen, insbesondere bei Schwangerschaft, nicht möglich ist, oder die Erbringung der Arbeitsleistung durch das durchgehende Tragen einer Maske verunmöglicht wird und keine sonstigen geeigneten organisatorischen oder räumlichen Schutzmaßnahmen getroffen werden können. Natürlich sind unzählige arbeitsrechtliche Fragen damit verbunden, die hier nicht geklärt werden: Kann der Arbeitgeber (einseitig?) strengere Kautelen anordnen, etwa ein Zutrittsverbot für positiv Getestete? Begründbar wäre dies aus der Fürsorgepflicht den anderen Dienstnehmern gegenüber. Oder: Kann ein Gesunder sich weigern, im Großraumbüro neben einem Positiven zu arbeiten? Das könnte praktikabel mit Homeoffice gelöst werden. Die rechtlichen Fragen bleiben offen.
Eine Freitestung ist frühestens am fünften Tag nach dem positiven Test mittels PCR-Test möglich, wobei ein Testergebnis, dessen medizinischer Laborbefund einen CT-Wert über 30 ausweist, ebenso anerkannt wird. Nach zehn Tagen ab dem Zeitpunkt der Probenahme, also am elften Tag (?), endet die Verkehrsbeschränkung auf jeden Fall. Wurden innerhalb der vergangenen 60 Tage mehrere Tests durchgeführt, deren Ergebnis positiv war, gilt als Zeitpunkt der Probenahme der Zeitpunkt der ersten Probenahme mit positivem Testergebnis. Offenbar wird davon ausgegangen, dass nach Ablauf von zehn Tagen ohne weiteres keine Gefahr mehr besteht, andere zu infizieren.
Alle diese Beschränkungen gelten nicht bei Kontakt zu Personen, die den Verkehrsbeschränkungen dieser Verordnung unterliegen. Das heißt vereinfacht: Positiv Getestete dürfen es miteinander lustig haben! Wurde aufgrund einer Corona-Infektion vor 1. August ein Absonderungsbescheid ausgestellt, gelten mit Inkrafttreten dieser Verordnung die Verkehrsbeschränkungen dieser Verordnung für die vorgesehene Dauer.
Nicht kontrollier- und vollziehbar
Nach Rezipierung dieser Verordnung stellt sich sofort die Frage: Ja, ist denn das alles überhaupt kontrollier- und vollziehbar? Die Antwort kann nur ein klares Nein sein, was die Akzeptanz bei der betroffenen Bevölkerung nicht eben steigern wird. Der zuständige Minister, darauf angesprochen, wich der Frage aus und antwortete: "Was in einer Verordnung steht, das gilt." Das saß. Nach dieser Logik kann man einen Großteil der staatlichen Vollziehung abbauen, da Kontrollen weitgehend obsolet würden. Die Bedeutung von Präventionskonzepten/Hausordnungen steigt natürlich bei einer solch diffusen Rechtslage. Strenger sein als die Verordnung ist ja erlaubt. Zum Beispiel Zutritt zu einem Ort nur mit negativem Test.
Schlussendlich stellt sich die Frage nach Haftungen. Strafrechtlich: Hier kommt eine Haftung für die diversen Varianten der Körperverletzungen in Betracht, wobei Fahrlässigkeit genügt. Diese liegt vor, wenn eine Person, die deutliche Symptome aufweist, sich nicht testet und ohne weitere Kautelen das Haus verlässt. Verwaltungsstrafrechtlich: Die VbV beruht ausschließlich auf dem Epidemiegesetz, das keine klar formulierten Sanktionen für solche Fälle vorsieht. Der positiv Getestete kann sich allerdings bei Missachtung der Verkehrsbeschränkung strafbar machen: Nach Paragraf 40 Epidemiegesetz, sofern die Tat nicht mit gerichtlicher Strafe bedroht ist, mit Geldstrafe von 145 Euro bis zu 1.450 Euro, im Wiederholungsfall bis zu 2.900 Euro, im Nichteinbringungsfall mit Freiheitsstrafe bis zu vier Wochen. Zivilrechtlich: Hier kommen Schadenersatzansprüche, Schmerzengeld etc. in Betracht, wenn eine Ansteckung durch eine konkrete Person ursächlich bewiesen werden kann. Das Problem: Der Ansteckende muss rechtswidrig gehandelt haben, was bei VbV-konformem Verhalten ausgeschlossen werden kann, also etwa: Positiv Getesteter sitzt bei einem Event im Innenraum mit Maske längere Zeit hindurch knapp neben einer anderen Person. In Frage kommen also erkennbar Infizierte, die sich absichtlich oder fahrlässig nicht getestet haben und im sozialen Umgang jemanden angesteckt haben, etwa im Großraumbüro.
Alles in allem eher diffus. Hoffen wir, dass sich die Nebel dieser Verordnung irgendwann lichten werden. Und hoffentlich nicht durch Lockdown Numero 5.
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