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Es hängt alles von den Zinsen ab

Von Harald Waiglein

Wirtschaft

Sind kommende Generationen gleich viel wert wie unsere? | Diskont-Raten bringen moralische Probleme mit sich. | NewHaven/Wien. Vergangene Woche war das Auditorium der US-Eliteuniversität Yale zum Bersten mit Studenten und Professoren gefüllt. Der Anlass: Sir Nicholas Stern kam auf Besuch, um seine Forschungsergebnisse zu diskutieren - jener britische Ökonom, der in einer Studie über den Klimawandel letzten Herbst zum Ergebnis gekommen war, dass dieser weitaus höhere Schäden verursachen wird als bisher angenommen.


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In Yale unterrichten renommierte Ökonomen, die kein gutes Haar an Sterns Studie gelassen haben - etwa Willam Nordhaus, der sich seit 30 Jahren mit den ökonomischen Aspekten des Klimawandels befasst, oder Robert O. Mendelsohn, einer der international bekanntesten Experten auf diesem Gebiet. Insofern war das große Publikumsinteresse nicht verwunderlich.

Die Diskussion der Experten (die auch über akademische Publikationen geführt wird) dreht sich um einen Aspekt des Klimawandels, der in der öffentlichen Diskussion so gut wie nie zur Sprache kommt. Paradoxerweise ist er aber entscheidend, wenn es darum geht, welche Maßnahmen man gegen den Klimawandel ergreifen soll.

"Der globale Klimawandel erstreckt sich über einen Zeitraum von Jahrhunderten", sagt Martin Weitzmann, Klimaökonom an der US-Universität Harvard. "Deshalb ist die Höhe des Zinssatzes bei der Bewertung von Klimaschutz-Maßnahmen enorm wichtig. Man kann durchaus sagen, dass die Frage, welchen Zinssatz man anwenden soll, die größte Unsicherheit in sämtlichen ökonomischen Studien zum Thema Klimawandel darstellt."

Des Pudels Kern

Wofür braucht man in Klimawandel-Studien überhaupt Zinsannahmen? Der Grund dafür ist folgender: Wenn eine Prognose über das Ausmaß von Klimaschäden in 100 Jahren abgegeben wird (Stern spricht beispielsweise von 5 bis 20 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung), muss man darstellen, was dieser Schaden für die Gegenwart bedeutet.

Ein Beispiel: Will man den Preis für einen Liter Benzin im Jahr 1970 (etwa 20 Cent) mit dem heutigen Benzinpreis vergleichen, dann geht das nur unter Einbeziehung eines Zinssatzes (in diesem Fall der Inflationsrate).

Auf dieselbe Weise, nur zeitlich umgekehrt, müsste man das Ausmaß der prognostizierten Klima-Schäden in 100 Jahren durch Abzinsung verringern, um zu einem Wert für die Gegenwart zu kommen. Dieser Wert ist insofern wichtig, als er zeigt, welche Kosten heute zur Verringerung des Klimawandels in 100 Jahren gerechtfertigt wären. Würden wir mehr ausgeben als diesen Summe, würden wir dadurch einen größeren Wohlfahrtsverlust für unsere Nachkommen verursachen als durch den Klimawandel selbst.

Soziale Zinsen

Um den gesamten materiellen und immateriellen Wohlstand (also Geld, aber auch Dinge wie Gesundheit und Bildung) einer Generation mit dem einer anderen Generation zu vergleichen, benutzt man in der Ökonomie die sogenannte "soziale Diskontrate". Diese ist nichts anderes als ein Zinssatz. Strittig ist nun unter Experten, wie hoch man die soziale Diskontrate im Zusammenhang mit dem Klimawandel ansetzen soll.

Je höher sie ist, umso mehr spricht das dafür, Geld für Klimaschutz nicht schon heute, sondern erst in künftigen Jahren auszugeben. Denn je höher die Verzinsung, umso kürzer der Zeitraum, der benötigt wird, um die erforderliche Summe zum gewünschten Zeitpunkt zu erreichen. Und da unsere Nachkommen wohlhabender sein werden als wir (so wie wir wohlhabender sind als unsere Vorfahren vor 50 oder 100 Jahren) stellen diese Ausgaben für sie eine geringere Belastung dar als für uns.

Umgekehrt gilt natürlich auch, dass man umso früher Maßnahmen gegen den Klimawandel ergreifen muss, je niedriger man die Diskontrate ansetzt. Der Hauptgrund, warum Stern höhere Kosten des Klimawandels und drastischeren Handlungsbedarf sieht als viele andere Wissenschaftler, liegt darin, dass er die soziale Diskontrate de facto bei Null ansetzt. Es gibt also bei ihm überhaupt keine Abzinsung.

Für unsere Ururenkel

Sterns Argument dafür ist ein moralisches: eine Abzinsung der Wohlfahrt künftiger Generationen führt de facto dazu, dass ein Mensch in 100 Jahren aus heutiger Sicht weniger wert ist als ein heute lebender Mensch. Jedes Menschenleben sollte aber gleich viel zählen, meint Stern.

Viele Menschen würden dem instinktiv zustimmen. Das Problem dabei ist nur, dass nichts darauf hindeutet, dass die soziale Diskont-rate tatsächlich Null beträgt. Läge sie bei Null, dann hätten unsere Ururenkel in 100 Jahren genauso viel Anspruch auf jeden Euro unseres Einkommens wie wir selbst. Statt um 50 Euro Abendessen zu gehen, sollten wir das Geld dann lieber auf ein Sparbuch legen, damit es unser Ururenkel in 100 Jahren für seine Ausbildung verwenden kann. Ein solches Verhalten wäre umso merkwürdiger, als wir ja nicht einmal sicher wissen, ob wir in 100 Jahren Nachkommen haben werden. Vielleicht hat ja unsere Enkelin keine Kinder.

Der Ökonom Partha Dasgupta von der Universität Cambridge kritisiert genau diesen Punkt im Stern-Bericht: "Diese Annahmen sind so absurd, dass man sie nur ablehnen kann. Würde man sie akzeptieren, würde das bedeuten, dass sich unsere Generation buchstäblich zu Tode hungern müsste, nur damit künftige Generationen mehr Mittel zur Verfügung haben."

Moral und Gegenmoral

Es gib aber auch ein moralisches Argument, das dagegen spricht, einem Menschenleben in 100 Jahren genauso viel Wert beizumessen wie einem Menschenleben heute. Wäre man nämlich wirklich dieser Ansicht, dann hielte man es auch für sinnvoll, einen Menschen heute sterben zu lassen, wenn dadurch die Möglichkeit bestünde, zwei Menschenleben im Jahr 2107 zu retten.

Eine solche Sichtweise wäre nicht nur fragwürdig, sie würde auch die Wahrscheinlichkeit von Kriegen enorm erhöhen: Wir müssten nämlich einen Staat sofort militärisch attackieren, wenn die Möglichkeit bestünde, dass dieser in 50 oder 100 Jahren eine gefährliche Massenvernichtungswaffe entwickelt. Sind wir dazu wirklich bereit?

Lesen Sie auch:Wieviel ein Menschenleben wert istLexikon: Langfristige Zinsen

Die Wirtschaftswissenschaft hat ein Problem mit Zinsprognosen, die über 50 bis 60 Jahre hinausgehen.

Der Grund dafür ist einfach: Die üblicherweise langfristig angenommenen Diskontraten von etwa 3 bis 6 Prozent bedeuten, dass ein Nutzen, der erst in mehr als 60 Jahren eintritt, in der Gegenwart so gut wie keinen Wert hat. Das entspricht auch der menschlichen Erfahrung: Niemand würde etwa ein Sparbuch eröffnen, dessen Erträge erst nach dem Tod lukriert werden könnten.

Was im Alltag logisch erscheint, wird für Klimawandel-Studien, die Zeiträume von mehr als 100 Jahren abdecken, zum Problem. Wissenschafter sind uneinig, welche Zinsen hier sinnvoll wären.