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"Es ist die Hölle": Langer Nachhall der Krawalle in Berlin

Von WZ-Korrespondent Markus Kaufmann

Europaarchiv

Senator: "Neue Qualität der Gewalt." | Berlin. Die Nachwirkungen des diesjährigen "Revolutionären 1. Mai" werden Berlin noch lange beschäftigen. Eine "neue Qualität der Gewalt" (Innensenator Körting, SPD) war unerwartet heftig und brutal zum Ausbruch gekommen. Steine, Flaschen, Feuerwerkskörper und sogar Brandsätze auf der einen, Wasserwerfer und Knüppel auf der anderen Seite. Fenster gingen zu Bruch, Autos standen in Flammen, Blut floss in Strömen. "Es fehlte nicht mehr viel und es hätte die ersten Toten gegeben", sagte ein Augenzeuge.


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Die Polizei und deren politische Führung muss sich jetzt fragen lassen, warum sie die Lage trotz entsprechender Warnungen im Vorfeld unterschätzt hatte und ob ihre bisherige Strategie der Zurückhaltung nicht völlig versagt hat. Selbst Berlins Polizeipräsident Dieter Glietsch musste einräumen: "Die Gewalt begann früher, war brutaler und wurde von mehr Personen ausgeübt als üblich."

Die Bilanz der Straßenschlacht zwischen Polizei und dem "Schwarzen Block" am Freitag: Am Ende standen 440 verletzte Polizisten, von den fast dreihundert festgenommenen Randalierern sind erstmals vier wegen "versuchten Mordes" angezeigt worden, weil sie einzelne Polizeibeamte mit brennbaren Flüssigkeiten begossen hatten.

In den zahlreichen Reaktionen der Politiker leistete sich den größten Fauxpas der für die innere Sicherheit zuständige Senator Ehrhart Körting. Er verglich die Steinewerfer mit Vergewaltigern: "Das ist wie bei Sexualdelikten: Ist die Frau erst mal ausgezogen und vergewaltigt, dann fällt es anderen leichter, auch mitzumachen." Seine Sprecherin hatte Mühe, die vielen Flammen totzutreten, die ihr Chef damit entfacht hatte und die bis zu Rücktrittsaufforderungen aus der CSU reichten.

Fast hätte diese verbale Entgleisung einen anderen Eklat verdeckt. Die Demo des Autonomen Blocks, von dem die Gewalt ausging, war nämlich von einem Politiker der Linkspartei angemeldet worden, die in Berlin immerhin Regierungspartei ist. Diese beteuerte zwar, Gewalt als Mittel der Politik abzulehnen. Doch der Postkommunist meinte: "Wenn ich von vornherein gewusst hätte, dass die Polizei kein Interesse an einer friedlichen Demonstration hat", sagte er, "hätte ich das niemals angemeldet". So werden flugs aus Tätern Opfer. Bisher konnte die Linkspartei aus der schweren Wirtschaftskrise kein Kapital schlagen. Der 1. Mai eignete sich für einen Destabilisierungsversuch, meinen manche.

Seit 22 Jahren ist der "Revolutionäre 1. Mai" Tradition in Berlin. Mögen am Anfang noch gewisse politische Forderungen in gewalttätiger Manier Ausdruck gesucht haben, so sind die Demonstrationen längst zu einer Art Volksfest der Randalierer verkommen. Seit sechs Jahren versuchen Anwohner, Vereine und das Kreuzberger Bezirksamt eine friedvolle Alternative zu den Gewaltorgien anzubieten.

Mit dem Titel "Myfest" wollen sich auch die Veranstalter bewusst von jenen Krawallmachern abgrenzen, die aus allen Teilen Deutschlands anreisen. Die Organisatorin des "Myfestes", Silke Fischer, hat mittlerweile von der Brutalität die Nase voll: "Wenn Polizisten mit brennbaren Flüssigkeiten begossen werden, ist Schluss mit Friede, Freude, Eierkuchen. Es ist die Hölle!"