)
Die Wirtschaftslage ist nicht immer ausschlaggebend dafür, wen die Amerikaner zum US-Präsidenten wählen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Die gängige Ansicht ist, dass bei dieser US-Präsidentschaftswahl, wie schon bei früheren, die Wirtschaftslage entscheidend sei. Sie ist wohl auch auf Bill Clintons Äußerung "It’s the economy, stupid!" zurückzuführen und nur teilweise zutreffend. Vergangene Wahlen zeigten, dass Arbeitslosigkeit nicht immer ausschlaggebend für die Wähler ist, wie 1936 bei der Wahl Franklin D. Roosevelts (17 Prozent) und 1984 bei der Ronald Reagans (7 Prozent). Letztlich liegen politisch-ideologische Einstellungen der Wahlentscheidung zugrunde. Das Argument der republikanischen Opposition, die Ausgabenpolitik von Barack Obamas Administration würde die Regierung unverhältnismäßig vergrößern, hält dem Vergleich mit den letzten republikanischen Präsidenten nicht stand, die bei den staatlichen Ausgaben höhere Wachstumsraten hatten als Obama. Unter Präsident Reagan stiegen sie um fast 15 Prozent, unter Obama etwas mehr als 6 Prozent. Wenn Anhänger der Tea Party eine kleine Regierung fordern, meinen sie weniger Macht für Obamas Regierung.
Laut Politologen lag das Vertrauen der Republikaner in eine Regierung unter George W. Bush bei 55 Prozent, dem höchsten Wert seit 40 Jahren. Während der Obama-Administration sank die Zustimmung auf unter 5 Prozent, die niedrigste Rate seit 50 Jahren. Bei den Demokraten lag das Vertrauen in eine Regierung während dieser Zeit immer zwischen 30 und 40 Prozent. Während der Reagan-Administration, die im Gegensatz zu jener Obamas tatsächlich Steuern erhöht hatte, hatte man die Forderungen nach einer kleinen Regierung nicht erhoben. Eine Analyse von Kongressabstimmungen zeigt, dass die gegenwärtige republikanische Mehrheit die konservativste seit 1879 ist. Sieben von zehn Republikanern geben an, sehr konservativ zu sein, nur drei halten sich für gemäßigt. 1987 befürworteten laut Pew Research Center 62 Prozent der Republikaner irgendeine Form eines sozialen Netzes, 58 Prozent sahen in den Gewerkschaften etwas Positives; 2012 waren es 40 beziehungsweise 43 Prozent. 1992 fanden 86 Prozent Umweltschutzrichtlinien notwendig; 2012 waren es nur noch 47 Prozent.
Oft unterlaufen ideologische Orientierungen sogar das Eigeninteresse republikanischer Wähler. Eine Studie der Universität von Indiana aus 2010 zeigt, dass in zehn der konservativsten Bundesstaaten 21,2 Prozent der Bevölkerung ihr Einkommen aus Transferleistungen der Regierung beziehen; bei den zehn liberalsten Staaten waren es nur 17,1 Prozent. In einer Untersuchung der Cornell Universität gaben 40 bis 45 Prozent jener, die staatliche Programme in Anspruch nahmen, an, keine Regierungsgelder anzunehmen. Ein anderes Beispiel für die Dominanz von Ideologie über Interessen liefern die Wähler in einzelnen konservativen Bezirken in Ohio und Missouri, in denen mit Obamas Rettungspaket für General Motors etliche Jobs geschaffen wurden und kleine Unternehmen überlebten: Sie unterstützen dennoch Mitt Romney, weil sie Regierungshilfe prinzipiell ablehnen. Moralisch-ideologische Glaubenssysteme sind konkreten Fakten überlegen, auch wenn sie Widersprüche produzieren.