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"Es ist ein Machtkampf"

Von Vilja Schiretz

Politik

Maria Rauch-Kallat (ÖVP) über die Frauenpolitik ihrer Partei und darüber, ob die heutigen ÖVP-Frauen zu "brav" sind.


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Die Regierung tue zu wenig für Frauen, gegen die Einkommensschere, gegen Gewalt, gegen eine ungleiche Verteilung unbezahlter Pflegearbeit. Das ist ein häufiger Vorwurf von Opposition, Gewerkschaften und Frauenrechtsorganisationen. Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) verweist hingegen auf ein zuletzt stark gestiegenes Frauenbudget sowie auf ein 2021 geschnürtes Gewaltschutzpaket. Eine ihrer Vorgängerinnen, Maria Rauch-Kallat, gilt seit Jahren als starke Stimme für Frauenrechte, innerhalb ihrer Partei, der ÖVP, aber auch darüber hinaus. Mit der "Wiener Zeitung" sprach sie darüber, wie schwierig es ist, Frauenpolitik in einer konservativen Partei zu machen und ob es heute an Solidarität unter Frauen in der Politik fehle.

"Wiener Zeitung": Frauen haben auf dem Papier mehr Rechte als je zuvor, gleichzeitig zeigen Zahlen, wie etwa der Gender Pay Gap, dass es in vielen Bereichen keine tatsächliche Gleichstellung gibt. Geht in der Frauenpolitik in Österreich genug weiter?

Maria Rauch-Kallat: Es kann nie genug sein, nicht nur in Österreich, sondern weltweit. Wir verzeichnen ja auch weltweit immer zwei Schritte vor, eineinhalb zurück. Wir haben ganz dramatische Entwicklungen in Afghanistan und im Iran, da geht es vier, fünf, zehn Schritte zurück. Wir haben seit 2006 ein Europäisches Institut für Gleichstellungsfragen, das in meiner Zeit als Frauenministerin eröffnet wurde. Das hat auch einen Gender Equality Index entwickelt, der sich sehr, sehr langsam schließt. Und zwar so langsam, dass wir - wenn ich die Zeit zwischen 2006 und 2016 hochrechne - in der westlichen Welt erst in 80 Jahren Gleichstellung erreicht haben. Das ist unbefriedigend, es müsste überall schneller gehen, aber das ist der Unterschied zwischen gesetzlicher Vorgabe und tatsächlicher gesellschaftlicher Wandlung.

Haben Sie Sorge, dass es auch in Österreich Rückschritte in der Frauenpolitik geben könnte?

Ich habe nicht Sorge, ich habe es erlebt. Ich habe schon 2006 davor gewarnt, dass man nicht glauben soll, dass alles, was wir erreicht haben, in Stein gemeißelt ist. Es geht zwei Schritte vor und einen zurück. Zum Beispiel gibt es heute weniger Frauen in der Regierung als 2003 und wir haben einen Rückgang bei den Parlamentarierinnen und den Landtagsabgeordneten. Es gibt auch ein stärkeres Bewusstsein bei den Männern. Die haben natürlich entdeckt, dass jeder Platz für eine Frau einer weniger für einen Mann ist. Dann haben die klügeren ein bisschen subtil dagegen gearbeitet, die weniger klugen haben es offen gemacht, und das ist leider eine Entwicklung, die wir beobachten müssen. Das, was vorangeht, ist unendlich zäh.

Susanne Raab ist nicht nur Frauen-, sondern auch Medien- und Integrationsministerin. Bleibt die Frauenpolitik da auf der Strecke?

In meiner Zeit hat die SPÖ kampagnisiert, es gebe keine Frauenministerin, weil ich Frauen und Gesundheit hatte. Aber alle weiteren Frauenministerinnen hatten auch ein zweites Ressort. Jeder Minister hat einige Ressorts, schauen Sie sich das Energieministerium an, wie viele Bereiche das hat. Oder Gesundheit und Soziales. Deswegen bleibt sicher nichts auf der Strecke.

Also bekommt Frauenpolitik die Aufmerksamkeit von Regierungsseite, die sie verdient?

Von Regierungsseite bekommt sie die Aufmerksamkeit. Ob sie auch von den Menschen die Aufmerksamkeit bekommt, das weiß ich nicht. Weil letztendlich müssen wir auch Rollenbilder verändern.

Wie schwierig ist es, Frauenpolitik in einer konservativen Partei wie der ÖVP zu machen?

Das war gar nicht schwierig. Also nicht schwieriger als gegenüber anderen Parteien und nicht schwieriger, als es wahrscheinlich die sozialdemokratischen Frauen bei ihren Männern haben. Meine Erfahrung war, dass Teile der SPÖ konservativer oder mehr retro waren als unsere Männer. Aber sie bleiben einander wechselseitig nichts schuldig. Man muss wissen, es ist ein Machtkampf. Es geht um die Verteilung von Macht und Einfluss. Und da kämpfen sie schon um ihre Rechte, die Männer.

Ob das eine bürgerlich-konservative oder eine "linkere" Partei ist, macht keinen Unterschied?

Das macht keinen Unterschied. Ich würde da ein bisschen die Grünen ausnehmen, die sind vielleicht offener für das Thema. Vielleicht auch die Neos, das kann ich aber nicht beurteilen.

Wenn Sie sich die heutigen ÖVP- Frauen anschauen, fehlen die lauten Stimmen, die für Frauenpolitik, für Frauenrechte eintreten? Sind sie zu brav geworden?

Was ist schon brav? Nur weil sie nicht randalieren? Die Frauenministerin setzt eine Reihe von Initiativen, die teilweise von den Medien aufgegriffen werden, teilweise nicht. Zusätzlich macht Karo Edtstadler Initiativen auf europäischer Ebene, Klaudia Tanner bemüht sich intensiv, den Frauenanteil im Bundesheer zu erhöhen. Und Maßnahmen gegen Gewalt gegen Frauen sind zwischen Justizministerin Zadic und Edtstadler in Verhandlung.

Aber es hat zum Beispiel keinen Aufschrei der ÖVP-Frauen gegeben, weil im Landtag in Niederösterreich nur 2 der 23 ÖVP-Abgeordneten Frauen sein werden.

Ein Aufschrei nachher ist sowieso zu spät. Der Aufschrei muss vorher sein, wenn man genau schaut, wie die Frauen auf den Listen positioniert sind. Wenn überraschende Gewinne von einer Partei gemacht werden, rücken Frauen nach, weil sie an den hinteren Positionen sind, mit denen niemand mehr gerechnet hat. Da setzt man meistens die Frauen hin. Wenn man verliert, sind die Gewinner immer die Männer, weil sie vorne stehen.

Insgesamt sind Sie also mit der Arbeit der ÖVP-Frauen zufrieden?

Sie arbeiten sehr engagiert, aber es ist - und das gilt für alle Frauenministerinnen, die es in der Politik gegeben hat, angefangen von Johanna Dohnal - eine unglaublich zähe Aufgabe. Wenn sie ein Frauenthema in einem Parteivorstand ansprechen - das wird in jeder Partei so sein, vielleicht mit Ausnahme der Grünen -, verdrehen mindestens 10 bis 20 Prozent der Männer die Augen und sagen: "Nicht schon wieder, ihr habt doch ohnehin schon alles, was ihr wollt." Dabei sind wir weit davon entfernt.

Eine Ihrer bekanntesten Errungenschaften war die Ergänzung der Bundeshymne um die Töchter . . .

. . . vielleicht die bekannteste; die wichtigste war, glaube ich, die Einführung der E-Card.

Damals ist das jedenfalls durchgesetzt worden von einer Allianz von Frauen von fast allen Parteien. Fehlt heute diese überparteiliche Solidarität von Frauen?

Das hat es immer nur vereinzelt gegeben, wo wir über Parteigrenzen hinweg zusammengearbeitet haben. Ich habe das in den 90er-Jahren mit Dohnal immer wieder gepflogen. Wir haben es zum Beispiel gemeinsam durchgezogen, dass Österreich psychologische Betreuung für Frauen in Ex-Jugoslawien finanziert, die Opfer von Vergewaltigungen als Kriegsverbrechen geworden sind.

Und heute?

Ob es solche Initiativen auch in den letzten Jahren gegeben hat, das müssten Sie die Frauenministerin fragen. Manche Initiativen, wie das Beispiel, dass ich Ihnen gerade genannt habe, werden ja gar nicht groß bekannt.

Die aktuelle Regierung ist noch eineinhalb Jahre im Amt, was wünschen Sie sich noch für diese Zeit ?

Das, was sie in den letzten eineinhalb Jahren gemacht haben: konsequente, solide Arbeit. Dazu die Bekämpfung der Teuerung, wie immer man das politisch regeln kann. Man müsste vor allem die Situation von alleinerziehenden Frauen und von Frauen an der Armutsgrenze entschärfen. Und Initiativen gegen Gewalt gegen Frauen und Gleichstellung im Einkommen, wo immer das machbar ist.

Und speziell von Ihrer Partei?

Meine Partei stellt den Kanzler, den Finanzminister und die Frauenministerin. Die sind da ja ohnehin am Zug.

Zur Person

Maria Rauch-Kallat war Lehrerin, ehe sie in der ÖVP Karriere machte. Sie saß erst im Bundesrat, dann im Wiener Gemeinderat, bevor sie in den 1990er Jahren zur Ministerin für Umwelt, Jugend und Familie aufstieg. Von 2003 bis 2007 war sie Ministerin für Gesundheit und Frauen, 2011 legte sie ihr Nationalratsmandat zurück.

Ex-Frauenministerin Maria Rauch-Kallat (ÖVP) über die Frauenpolitik ihrer Partei und darüber, ob die heutigen ÖVP-Frauen zu "brav" sind.