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"Es ist immer der gleiche Mist"

Von Valentine Auer

Politik
© Benjamin Storck

Die Ausstellung "Sprache kommt vor der Tat" wandert von einer Galeriewerkstatt zu einem Bauzaun auf der Mariahilfer Straße.


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Wien. "Roma Rauss" zum Beispiel. Mit Doppel-S und auf einem Wahlplakat über das Gesicht von Alexander Van der Bellen geschmiert. Oder ein Aufkleber mit der österreichischen Flagge und der Aufschrift "Zigeuner bringen Kriminalität & Krankheiten nach Österreich". Es sind Beispiele von Rassismus, von Antiziganismus, die seit etwa einem Jahr zunehmend im öffentlichen Raum von Wien sichtbar sind. Es sind auch Beispiele, die zeigen wie Rassismus und Sprache zusammenhängen und wie Konstruktionen von Kultur, von Ungleichheiten bis heute fortgeschrieben werden. An einem dieser Schauplätze rassistischer Schmierereien hängt seit Samstag die Ausstellung "Sprache kommt vor der Tat" der Wiener Künstlerin Marika Schmiedt, um auf ebendiese Kontinuitäten aufmerksam zu machen.

Die Original-Ausstellung war relativ kurz in der Galeriewerkstaat NUU zu sehen. Von 19. Mai bis 1. Juni wurden die Recherchen von Marika Schmiedt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Seit vergangenen Samstag sollen die Erkenntnisse eine breitere Öffentlichkeit erreichen - an einem Baustellenzaun an der Mariahilfer Straße 67.

Erkenntnisse, die darauf aufmerksam machen, wie ähnlich sich rassistische Diskurse vom Kaiserreich bis heute sind. Als Romni wollte sich Schmiedt mit den eigenen Wurzeln auseinandersetzen, erklärt sie gegenüber der "Wiener Zeitung": "Als Betroffene habe ich mich intensiv mit meiner eigenen Familiengeschichte auseinandergesetzt und bin in meinen Recherchen sehr weit zurückgegangen. Wenn man sich - egal, in welcher Zeit - die Zeitdokumente durchliest, merkt man, dass es immer die gleichen Mechanismen sind."

Der Menschenfresser-Prozess von Kaschau

Ähnliche Mechanismen und wiederauftretende Kontinuitäten, macht Schmiedt an historischen und gegenwärtigen Beispielen begreifbar. So auch am sogenannten "Menschenfresser-Prozess von Kaschau", der von 1927 bis 1929 gedauert hat und in der Ausstellung ausführlich dokumentiert wird: "Viele Roma aus Koice, dem damaligen Kaschau, wurden verhaftet und gequält, weil ein Gerücht im Umlauf war, dass sie Menschen gefressen haben. Geständnisse wurden unter Druck abgelegt", so Schmiedt. Die Medien nahmen an diesem rassistischen Diskurs teil, und versuchten sich "die Psyche des Zigeuners" - wie es in einem der damaligen Berichte hieß - zu erklären: Ein Volk wurde beschrieben, das auf der kindlichen Stufe stehen geblieben sei und dem gleichzeitig die "Freude und Lust am Grausamen" in der Natur liege.

Nach wie vor wirken ähnliche Zuschreibungen, ist sich Andrea Härle, Geschäftsführerin des Roma-Vereins "Romano Centro", sicher. Die genannten Beispiele von Hassbotschaften auf den Wänden Wiens zeigen, dass Diskriminierungen aufgrund der Herkunft oder Hautfarbe auch heute noch Wirkung haben. Oft wird der "Rasse"-Begriff mit jenem der Kultur ersetzt, um Differenz zu erzeugen: "Geht es um Roma und Sinti, wird häufig immer noch exotisiert oder kulturalisiert. Das heißt, alle möglichen sozialen und vor allem ökonomischen Probleme werden durch die Kultur erklärt", beschreibt Härle ihre Beobachtungen.

Wie oft diese rassistischen Diskurse auf den Wänden Wiens zu finden sind, kann nicht beziffert werden. Klar sei jedoch, dass seit etwa einem Jahr gehäuft rassistische Schmierereien zu beobachten sind - auch jene, die sich gegen Roma und Sinti wenden. Der Schriftzug "Roma Rauss" zum Beispiel findet sich seit dem Wahlkampf zum Bundespräsidenten immer wieder in Wien. Immer mit Doppel S. Immer ein ähnliches Schriftbild. Regional vor allem rund um die Mariahilfer Straße. Auch auf dem Bauzaun, der nun mit Schmiedts Ausstellung bespielt wird, war davor noch "Roma Rauss" zu lesen - eine Anlehnung an die Nazi-Truppe.

Kollektives Gedächtnis im öffentlichen Raum

Die Ausstellung gerade an diesem Ort einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, war daher eine bewusste Entscheidung - die Motivation klar: Aufzeigen, wie rassistische Mechanismen funktionieren, statt rassistische Diskursproduktion unkommentiert stehen zu lassen. Nicht zuletzt auch ein Umdeuten der Erinnerungskultur. Gerade im öffentlichen Raum.

Auch hierzu hängt ein passendes Beispiel am Bauzaun auf der Mariahilfer Straße: "Historisches Gedächtnis als Medium kollektiver Selbsttäuschung, sozusagen als institutionalisierte falsche Erinnerung", so liest sich die Kritik Marika Schmiedts auf einem der Plakate. Auf der rechten Seite ist das Porträt von Albert Geßmann zu sehen und seine allgemein bekannte Biographie zu lesen: Bibliotheksbeamter und Politiker. Früher politischer Verbündeter Luegers. Seele der Christlichsozialen Partei. Links daneben ein von ihm publizierter Artikel: "Allgemein bekannt dürfte es sein, daß Bettler, Gauner, Zigeuner usw. jene Schichte von Menschen, welche sich unserer Gesellschaftsordnung nicht fügen, als Asoziale für sich eine eigene Klasse bilden."

Bettler, "Zigeuner" und "Asoziale": Begriffe, die von Geßmann schon im frühen 20. Jahrhundert zu einem Diskurs verknüpft wurden. In der Erinnerung vonseiten der Stadt Wien ist von seinen problematischen Texten jedoch nichts zu lesen: Nach wie vor gibt es die Albert-Geßmann-Straße in Floridsdorf, die an den österreichischen Politiker und Bibliothekar erinnern soll.

Auch diese Kontinuitäten sind es, die Schmiedt in ihrer Arbeit antreiben: "Wem wird da gedacht und welches Wissen wird vermittelt? Mir geht es darum, diese Zusammenhänge zu vermitteln. Denn ich glaube, dass es ein heutiges Grundübel ist, dass die Menschen keine Zusammenhänge mehr erkennen. Und im Grund ist diese Ideologie immer der gleiche Mist. Immer das gleiche Prinzip."

Nun gilt abzuwarten, wie die Öffentlichkeit auf die Ausstellung reagiert - und vor allem wie lange sie zu sehen ist: Bis zu Redaktionsschluss waren die Plakate zu einem großen Teil noch unversehrt. Zwei Plakate fehlten jedoch schon nach einem Tag. Es sind jene, die sich mit heutigen Formen von Rassismus auseinandersetzen. Es sind auch jene, an denen die rassistischen Schmierereien wie "Roma Rauss" dokumentiert wurden.