Jerusalem - Während in Camp David um Lösungen für einander ausschließende Positionen der beiden Parteien gerungen wird, formiert sich in Israel der Widerstand gegen Ehud Barak und ein befürchtetes Ergebnis der Verhandlungen. Es sollte die "Mutter der Demonstrationen" werden und es wurde eine eindrucksvolle Versammlung, aber sie erreichte nicht die Dimensionen der Friedensdemonstration der Linken im November 1997, als rund 300.000 Menschen sich für die Fortführung der Politik im Geist von Jitzhak Rabin auf demselben Platz eingefunden hatten.
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"Es ist verboten, den Staat zu verlieren", unter diesem Motto wurden rund 150.000 jüdische Siedler aus den besetzten Gebieten des Westjordanlandes und des Gazastreifens, Bewohner der Golansiedlungen, Parteigänger und Politiker des Likudblocks, der Nationalreligiösen Partei und der beiden Parteien der russischen Immigranten unter Nathan Scharanski und Avigdor Liebermann, sowie der ultraorthodoxen Partei des Vereinigten Thorajudentums in 1000 Autobussen nach Tel Aviv gefahren. Friedensaktivisten vermerkten, dass die Busfahrten aus öffentlichen Mitteln unterstützt würden. Auf je 100 Demonstranten kam ein Polizist. Aber das schien fast übertrieben, denn die Demonstration verlief in Ruhe und Ordnung.
Hetzparolen wie 1995 vor Mord an Rabin
Die Versammlung zeichnete sich vor allem durch riesige Spruchbänder aus, die die in Israel geläufigen Slogans der Rechten präsentierten. "Das Volk mit dem Golan" - ein Spruch, der sich auch auf Tausenden Autos in Israel findet, "Barak verliert den Staat", in Abwandlung eines Gebetes "Barak hat dich vergessen, oh Jerusalem", "Barak ist ein Betrüger" und "Das Volk hat entschieden: Barak ist gefährlich für die Juden". Dieser letztgenannte Slogan kommt bedenklich nahe an jene aufhetzenden Parolen heran, die in der Zeit vor dem tödlichen Anschlag auf Jitzhak Rabin zu hören waren. Der Mord geschah auf jenem Platz, auf dem sich am Sonntag die neu vereinte Rechte des Landes versammelte.
Zu Mittag hatte Jerusalems Bürgermeister Ehud Olmert die Parteiführer der rechten Oppositionsparteien zu sich geladen. Der Widerstand gegen ein vielleicht zustande kommendes Abkommen in Camp David konzentriert sich nun voll vor allem auf mögliche Kompromisse hinsichtlich Jerusalems.
Nein zur Teilung Jerusalems
Die Positionen der Jerusalem-Runde wurden wortgetreu am Abend vor der Menge wiederholt. Bürgermeister Olmert (Likud) erklärte sein Nein zu einer Teilung Jerusalems, sein Nein zu einer palästinensischen Verwaltung auch nur in Teilen Ostjerusalems und sein Nein zur palästinensischen Flagge über dem Berg, auf dem einst der jüdische Tempel und nun die muslimische Al Aksa Moschee und der Felsendom mit seiner goldenen Kuppel stehen. "Barak ist nicht gewählt worden, um Jerusalem zu teilen", sagte Olmert.
Limor Livnat, ehemalige Kommunikationsministerin der Regierung Netanjahu und die stärkste Frau im Likud-Block erklärte; "Für das, was in Camp David geschieht, gibt es keine Mehrheit in Israel. Wer glaubt, dass eine israelische Mehrheit für ein geteiltes Jerusalem nach dem Vorbild Berlins gefunden werden kann, irrt sich." Die Demokratie in Israel stünde auf zwei Beinen, dem Premierminister und dem Parlament. Daher sei es undemokratisch, mit einem Abkommen zuerst das Volk zu befassen. Barak kündigt seit Wochen an, er werde über ein Ergebnis der Verhandlungen in einer Volksabstimmung entscheiden lassen. Barak, so Livnat, werde für sein Abkommen weder in der Knesset noch beim Volk eine Mehrheit finden. "Ich bin die Mehrheit" stand auf den Stickern, die die meisten Demonstranten angesteckt hatten. Einer klebte sich die Plakette sogar mitten auf die Stirn.
Likud-Chef Ariel Sharon erklärte, Baraks Friede sei nur einer für den Moment, ein schlimmer Friede, aber Israel brauche einen anderen Frieden, einen "Frieden mit Sicherheit für immer". Scharon sprach sich schärfsten auch dagegen aus, einen Teil des Jordantals, den "Sicherheitszaun" Israels (gegen Jordanien) den Palästinensern zu überlassen.
Die Veranstaltung entbehrte nicht der medienwirksamen Einbeziehung von Kindern. Ein 8-Jähriger aus der Westjordanland-Siedlung Gusch Katif las vom Blatt seinen Appell. Er fühle sich von den im Fernsehen gezeigten palästinensischen Kindern beraubt. "Herr Premierminister, halten Sie einen Augenblick inne und hören Sie uns zu! Ich bin erst acht Jahre alt, aber ich sehe die Wahrheit: alle sagen, alles herzugeben und nichts dafür zu bekommen, das ist kein Frieden!" Der flammende Appell des Kindes an die Öffentlichkeit entpuppte sich rasch als das Werk eines erwachsenen Siedleraktivisten.
Nach drei Stunden ging die Versammlung zu Ende. Sie war ein Vorgeschmack auf das, was sich in Israel in den nächsten Wochen und Monaten abspielen wird, wenn in Camp David tatsächlich ein Abkommen zustandekommen sollte.
Palästinenserattacken auf Autobusse
Ein anderer Vorgeschmack auf die nach-Camp David-Zeit war in einer Attacke von Palästinensern auf vier öffentliche Autobusse zu sehen, die am Nachmittag Teilnehmer an der Demonstration aus Siedlungen im Westjordanland abholen sollten. Die Busse wurden mit Steinen beworfen und schließlich angezündet. Die Busfahrer konnten sich mit Mühe zwar unverletzt aber unter Schock stehend retten. Und das palästinensische Fernsehen zeigte Sonntagabend Kinder und Jugendliche, die in Sommerlagern in Gaza eine militärische Grundausbildung bekommen. Gefördert vom palästinensischen Polizeiministerium trainieren die Kinder "Robben im Gelände", Sprunglauf und die Handhabung von Maschinenpistolen des Typs Kalaschnikow - für den Fall des Scheiterns der Verhandlungen in Camp David und die israelische Reaktion auf eine einseitige Unabhängigkeitserklärung eines palästinensischen Staates.
Hamas fordert Arafat-Abreise aus Camp David
Die radikale islamische Palästinenserorganisation Hamas hat Präsident Yasser Arafat und seine Delegation aufgefordert, unverzüglich aus Camp David abzureisen. In einer am Montag in Gaza veröffentlichten Erklärung bezeichnete die Organisation den Nahost-Gipfel in den USA als gescheitert. Sie forderte von der palästinensischen Führung "Widerstand statt Verhandlungen".
Der Gründer und geistliche Führer der Hamas, Scheich Ahmed Yassin, hatte der Palästinenserregierung vorgeworfen, unbegründete Hoffnungen in Israels Premier Ehud Barak zu setzen, einen Mann mit einer "blutigen Vergangenheit".
Großdemonstration für Barak geplant
Nach der Großdemonstration der israelischen Rechtsopposition gegen den Nahost-Gipfel von Camp David vom Sonntagabend in Tel Aviv plant die israelische Friedensbewegung eine entsprechende Kundgebung zur Unterstützung von Ministerpräsident Ehud Barak. Eine Sprecherin der Organisation "Frieden Jetzt" sagte am Montag, eine solche Massenveranstaltung sei bereits "für kommenden Samstag, oder die Woche darauf geplant".