)
Nur Zentraleuropa und Balten nähern sich bei Pro-Kopf-Einkommen den EU-15.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
London. Der alte, weise Mann der Finanzwirtschaft sitzt zusammengekauert in einem Leder-Fauteuil. Er brummt, und seine Prognose lässt nichts anderes als diesen Tonfall zu. "Ich blicke hoffnungsvoll auf die wirtschaftliche Entwicklung in Osteuropa. Denn die Situation ist so schlecht, dass sie nur mehr besser werden kann", sagte der 83-jährige George Soros anlässlich der Vorstellung des "Transition Report 2013" der Entwicklungsbank EBRD am Mittwoch in London.
Schien vor Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007 die Sonne - bedingt durch schier unbegrenzte Summen vom Kapitalmarkt -, ziehen die dunklen Wolken der schlechten Nachrichten seitdem nicht ab. Davon betroffen sind auch die Länder Zentral- und Osteuropas - obwohl sie sich in der Krise teils besser halten als manch westeuropäische Staaten. Doch die Sogwirkung der EU ist verheerend. Das gehe nun soweit, dass manche der postkommunistischen Länder wohl nie die Lebensstandards der westlichen Staaten erreichen werden, warnt die EBRD. Die Entwicklungsbank ist seit ihrer Gründung 1991 in Mitteleuropa, dem westlichen Balkan bis nach Zentralasien tätig und stellt mittlerweile auch in Marokko oder Ägypten Projektfinanzierungen bereit.
Strukturreformenlassen auf sich warten
Die EBRD sieht nun den sogenannten Konvergenzprozess gefährdet, traut lediglich den zentraleuropäischen Staaten - darunter Ungarn, die Slowakei und Polen - und den drei baltischen Ländern zu, binnen der kommenden 20 Jahre ein Pro-Kopf-Einkommen von 60 Prozent der alten, westlichen EU-15-Mitgliedsstaaten zu erreichen. "Die EU ist die Quelle der Schwierigkeiten. Aber Osteuropa braucht die Union, von der sie wie ein Magnet angezogen wird", sagt Soros. Und in mehrerlei Hinsicht dient die EU noch immer als Vorbild für die Transitionsstaaten, insbesondere wenn es um die Schaffung von Institutionen geht, die für die Entwicklung von Demokratien lebensnotwendig sind - gemeint sind damit die politischen Rahmenbedingungen und die Struktur der Wirtschaft.
Öffnung, Verantwortung und Investitionen
"Es gibt schwache Institutionen und zu wenige Reformen", schrieb EBRD-Chefökonom Erik Berglof am Mittwoch den Ex-Ostblockstaaten ins Stammbuch. Mit Beginn der Krise seien die Strukturreformen kaum vom Fleck gekommen, so die Kritik der Entwicklungsbank. Das Wirtschaftswachstum in den 30 Staaten von Mitteleuropa bis Zentralasien beträgt heuer zwei Prozent; abgesehen von der globalen Rezession 2009 der geringste Wert in den vergangenen 15 Jahren.
Als Negativbeispiel wählt Berglof ausgerechnet das frühere Musterland Slowenien und die dort lange vorherrschende "ungesunde Verflechtung" zwischen Banken, anderen Wirtschaftsbetrieben und Politikern. Raunzen auf vergleichsweise hohem Niveau ist jedoch die Kritik an Slowenien angesichts anderer Staaten, in denen die EBRD tätig ist, darunter Bosnien-Herzegowina oder Kosovo. Ausbaufähig sei jedoch überall die politische Verantwortung auf lokaler Ebene. Sie solle verstärkt werden, ebenso mehr in Bildung aus Ausbildung investiert werden, rät Berglof. Ein Staat, der hier als neues Paradebeispiel gilt, ist Albanien. "Zur Belohnung" nahm Premier Edi Rama an der Podiumsdiskussion mit Soros am Mittwoch teil - und gab freimütig zu: "Wenn sie in Bildung investieren, werden sie nicht wiedergewählt. Denn man braucht für die Umsetzung der Reformen Zeit und die Strukturanpassungen führen zu politischen Schwierigkeiten."
Gebe es jedoch keine Änderungen, steige die Produktivität in den kommenden zehn Jahren nur um magere zwei bis vier Prozent, so die Berechnung der EBRD. Während deren Forderung nach höheren Investitionen in Bildung und mehr Verantwortung unter Experten unstrittig sind, eckt die Entwicklungsbank mit einer weiteren These an: dem Zusammenhang zwischen Demokratien und deren wirtschaftlichem Erfolg. Mehr Handel, mehr wirtschaftliche Offenheit, fordert Erik Berglof. Damit ist der EBRD-Chefökonom zwar ganz auf einer Linie mit den Prinzipien der Entwicklungsbank. Doch hat sich der Wind seit 2007 gedreht; die Bürger sind nach den Exzessen, die auch durch die Öffnungen im finanzpolitischen Regelwerk bedingt waren, sehr skeptisch gegenüber Marktreformen. Und dass wirtschaftliche Entwicklung meist zu Demokratie führe, gilt unter Ökonomen nicht als gesichert.
Die EBRD selbst schränkt ihre These bei rohstoffreichen Staaten ein - wie den Kaukasus-Republiken, wo teils noch dieselben Politiker wie zu Sowjetzeiten an der Macht sind und die Schlüsselwirtschaften kontrollieren. Wenig demokratische Regime haben der "Neuen Zürcher Zeitung" zufolge auch einen besonders hohen Anteil von Beschäftigten im Staatssektor: Er liegt in Aserbaidschan, Weißrussland und Usbekistan bei mehr als 70 Prozent.