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Die Erosion der US-Demokratie können nur die US-Bürger aufhalten. Europa sollte sich mit Besserwisserei zurückhalten.
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Die Demokratie der Vereinigten Staaten besteht seit 246 Jahren, einen blutigen Bürgerkrieg inklusive und trotzdem ohne Bruch durch Diktatur. Die älteste Demokratie Europas, die Schweiz, ist gut 60 Jahre jünger. Staaten wie Deutschland oder Österreich mussten erst, unter anderem von den USA, besiegt und besetzt werden, um stabile demokratische Strukturen aufzubauen. Auf dem Gebiet der heutigen EU verschwanden die letzten Diktaturen in Mitteleuropa nach 1989, in Spanien 1981 sowie in Griechenland und Portugal 1974.
Das heißt: Natürlich ist es unter vielfach verflochtenen Partnern nötig, miteinander offen über soziale und politische Fehlentwicklungen zu diskutieren, gerne auch härter. Nur: Sowohl Europas Staaten wie auch die EU-Institutionen sollten sich mit Blick auf die Midterm-Wahlen hüten, den USA besserwisserisch Lektionen in Sachen Demokratie zu erteilen. Dazu mussten diese ein bisschen zu oft Soldaten über den Atlantik schicken (und ja, die USA sind selbst bei Gott kein Waisenknabe und haben ausreichend Schuld auf ihre Schultern geladen).
Aber weil es sich bei den USA um den mit Abstand wichtigsten Partner Europas handelt - wirtschaftlich, politisch, militärisch, auch wenn die Interessengegensätze in Teilbereichen wachsen -, sind die Erosion der amerikanischen Demokratie und die zunehmende Dysfunktionalität ihres einzigartigen Systems keine innere Angelegenheit, sondern eine Frage von geopolitischer Tragweite. Wenn sich im Wettbewerb der Systeme ausgerechnet der Bannerträger der freien und marktwirtschaftlichen Welt im Gestrüpp interner Grabenkämpfe verheddert, stärkt das automatisch die Gegenseite und schwächt die eigenen Verbündeten.
Wege aus der Krise ihrer Demokratie müssen die USA selbst finden. Kein Staat von kontinentalen Ausmaßen lässt sich von anderen - und schon gar nicht von kleineren und schwächeren - Staaten erklären, was er besser oder anders machen sollte. Was in solchen Staaten verlässlich wirkt, ist die realistische Aussicht auf Machtverlust; dass also die USA auf Gedeih und Verderb auf eine starke, geeinte Demokratie angewiesen sind, um die inneren wie äußeren Herausforderungen erfolgreich zu bewältigen. Allerdings dreht sich die Politik auch im nach wie vor mächtigsten Staat der Welt in erster Linie um die eigenen inneren Angelegenheiten. Sicherheitspolitik und Handelsfragen sind etwas für Spezialisten, das die Wähler nur in Ausnahmen interessiert.
Auf solche Ausnahmen sollte sich Europa nicht verlassen.