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"Es könnte so gewesen sein"

Von Barbara Dürnberger

1914
Eugen Knecht spielt in "Das Attentat - Sarajevo 1914" den Attentäter Gavrilo Princip.
© ORF

Der ORF verfilmte mit "Das Attentat - Sarajevo 1914" ein folgenschweres Stück Weltgeschichte.


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28. Juni 1914, Sarajevo: Es ist ein heißer Frühsommertag. An kurze Hemden oder gar kurze Hosen ist für die zahlreichen Menschen, die an diesem Tag die Straßen der bosnischen Hauptstadt füllen, trotzdem nicht zu denken. Denn der österreichisch-ungarische Thronfolger hat sich angekündigt und soll in Kürze samt Konvoi durch die wartende Menge fahren. Die Stimmung ist aufgeheizt und in den ersten Reihen herrscht kontrolliertes Gedränge, um nur ja einen Blick auf Franz Ferdinand und seine Gattin Sophie erhaschen zu können.

Da explodiert plötzlich eine Bombe. Hektik bricht aus. Dem Thronfolger und seiner Gemahlin ist wie durch ein Wunder nichts geschehen und sie werden auf dem schnellsten Weg in Sicherheit gebracht. Doch das Vertrauen des Thronfolgers in Gott ist ungebrochen und gegen jede Vernunft bricht er zu einer weiteren Fahrt im offenen Wagen auf. Ein zweites Wunder gibt es jedoch nicht. Der Konvoi biegt falsch ab und wird vom Hauptattentäter Gavrilo Princip bereits erwartet. Seine Schüsse verfehlen nicht ihr Ziel und kurze Zeit später ist es traurige Gewissheit: Der österreichische Thronfolger und seine Gemahlin wurden Opfer eines Attentats. Und die Welt wird sich für immer verändern. Es ist jenes Verbrechen, das den Ersten Weltkrieg auslösen wird, der Millionen Menschenleben kosten und die Beziehungen vieler Länder für lange Zeit zerstören sollte.

Der ORF/ZDF-Spielfilm "Das Attentat - Sarajevo 1914" (Mi., 20.15 Uhr, ORF2) beschäftigt sich daher im großen Gedenkjahr 2014 ausführlich mit den Stunden und Tagen, die unmittelbar auf dieses einschneidende Erlebnis folgten, und findet dabei einen originellen und vor allem neuen Zugang. Die Geschehnisse werden für die Zuseher aus den Augen von Dr. Leo Pfeffer (Florian Teichtmeister) aufbereitet. Jenem Untersuchungsrichter, dem die Aufgabe zuteil wurde, die Anschläge aufzuklären und vor allem: auf schnellstem Wege die Attentäter zu einem Geständnis zu bewegen.

Leo Pfeffer gab es wirklich, seine Unterschriften finden sich im Österreichischen Staatsarchiv tatsächlich unter jenen Berichten, die die Attentäter schließlich vor Gericht bringen. Im Film ist er ein kleiner Beamter, dem Großes versprochen wird, sollte er den Vorfall schnellstmöglich und zur Zufriedenheit Österreich-Ungarns abhandeln. Im Film ist er es auch, dem nach den ersten Verhören ernste Zweifel an der alleinigen Schuld der serbischen Attentäter kommen: Warum bog der Konvoi an der entscheidenden Stelle falsch ab? Warum gab es an diesem Tag nur ein kleines Polizeiaufgebot, das den Konvoi beschützen sollte? Und warum soll er sich die Mühe überhaupt machen, einen Vorfall zu untersuchen, dessen Ergebnis von vornherein festzustehen scheint, drängen seine kriegstollen Vorgesetzten doch schon seit Beginn der Untersuchungen auf einen Abschluss, der es ihnen erlaubt, Serbien endlich den Krieg zu erklären?

Historisch genau und doch frei

Aber auch gänzlich fiktive Figuren finden Platz im Drehbuch von Martin Ambrosch. Zum Beispiel der zwielichtige Arzt Dr. Sattler (Heino Ferch) oder Marija Jeftanovic (Melika Foroutan), eine junge, selbstbewusste, serbische Frau, mit der Leo Pfeffer trotz der Aussichtslosigkeit der Beziehung eine Affäre beginnt.

Diese erfundenen Figuren, gemischt mit historisch belegten, aber frei erzählten Personen, ergeben einen teils fiktiven Spielfilm mit historischem Inhalt, über den Wolfgang Maderthaner, Generaldirektor des Österreichischen Staatsarchivs, sagt: "Es könnte so gewesen sein." Genau deshalb unterhält die Geschichte auch nicht nur, sondern sie fasziniert ob ihrer möglichen Realität.

"Es war entscheidend, die Atmosphäre der Zeit einzufangen und einen Weg zu finden, dabei nicht völlig antiquiert zu sein und dem Ganzen eine heutige Dramaturgie zu geben", erzählt Regisseur Andreas Prochaska im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Ganz verzweifelte Momente" habe es während der Dreharbeiten für den Erfolgsregisseur gegeben, der neben dem Bayerischen Filmpreis auch einen Auslands-Emmy sein Eigen nennen darf: "Der Versuch, sich von der historischen Wahrheit während der Dreharbeiten nicht erdrücken zu lassen, war das Schwierigste. Auf der einen Seite historisch so genau wie möglich zu sein und auf der anderen Seite sich genau davon freizuspielen", beschreibt Prochaska die Herausforderung.

Diese fiktionale Freiheit, die auch die Romanze zwischen Leo und Marija ermöglicht, bereitet dem Zuschauer im Laufe des Films jedoch ein wenig Probleme. Ein bisschen überflüssig wirkt sie, und obwohl sie sich am Ende gut in die Geschehnisse einfügt, stellt sich die Frage, ob der Film nicht auch gut und gerne ohne eine Liebesgeschichte ausgekommen wäre. Für Prochaska gibt es da eine äußerst pragmatische Erklärung, denn "ohne die Liebesgeschichte käme im Film keine einzige Frau vor", erklärt er die Notwendigkeit von Leo Pfeffers amourösem Abenteuer und ergänzt, dass es für ihn so auch möglich gewesen war, eine andere Form von Emotionalität zu transportieren.

Apropos Emotionalität - die wird auch von Hauptdarsteller Florian Teichtmeister während des gesamten Films beeindruckend transportiert. "Das ist eine große Leistung, die er vollbringt", lobt auch der Regisseur seinen Hauptdarsteller. "Man weiß ja nie, bevor man die Reise beginnt, ob man an dem Ziel ankommt, wo man hin wollte und wir sind noch ein Stück weiter gekommen, als ich es mir gewünscht hätte", so Prochaska.

Bei der Filmpräsentation formulierte es ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz mit den Worten: "Es zählt zu den wesentlichen Aufgaben eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Geschichte erlebbar zu machen." Mit "Das Attentat - Sarajevo 1914" wurde diese Aufgabe bewältigt. Insgesamt ist es ein gelungenes Highlight im noch jungen Gedenkjahr, das schon am Donnerstag eine Fortsetzung mit der Dokumentation "Der Weg in den Untergang" (21.05 Uhr, ORF2) findet.