Die parteiinterne Kritik an CDU-Parteichef Armin Laschet nimmt zu. Den Christdemokraten steht ein heißer Herbst bevor.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 3 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
CDU-Chef Armin Laschet marschiert voran, und das Eis, das er unter den Füßen hat, trägt ihn. Aber es ist fragil. Auf Laschet lastet innerparteilich ein nicht geringer Druck, am Montag sah sich der Politiker genötigt, in den Unionsgremien persönliche Fehler einzugestehen. Ja, er habe einen Anteil an der Wahlniederlage, so Laschet, der trotzdem Geschlossenheit forderte, um mit Grünen und FDP eine Koalition bilden zu können.
Doch die Skepsis in der Union ist groß. Kann man wirklich nach dem historisch schlechtesten Abschneiden bei einer Wahl in Koalitionsverhandlungen gehen und den Kanzlerposten beanspruchen? Im Vergleich zum Sonntag klang Laschet am Montag schon anders und relativierte seine Forderungen. In der Sitzung des Bundesvorstandes meinte er Teilnehmerkreisen zufolge, dass niemand aus dem Wahlergebnis einen Regierungsanspruch ableiten könne und er das am Sonntag nach der Wahl auch gar nicht behauptet habe. Er sei lediglich bereit, eine Regierung zu bilden, falls das der SPD mit den Grünen und der FDP nicht gelingen sollte: "Wir stehen bereit für andere Konstellationen, wenn Ampel nicht klappt."
Auch CSU-Chef Markus Söder klang am Montag nicht mehr so grundsätzlich überzeugt wie am Sonntag. Die Union sei auf Platz zwei und nicht eins gelandet, es gebe daraus keinen Anspruch auf die Regierungsführung, so Söder.
Kämpferischer Gestus
Mit 24,1 Prozent hat die Union tatsächlich das schlechteste Wahlergebnis seit der Gründung der Bundesrepublik 1949 eingefahren, und der Schock bei den Funktionären sitzt tief. Aber: Das lautstark erklärte Ziel, eine Regierung unter Führung der Union zu bilden, sorgten am Wahlabend bei den Enttäuschten für Beifall. Und Laschets größter Widersacher, Markus Söder, musste sich - nachdem die CSU ebenfalls vom Wähler abgestraft worden war - hinter den Spitzenkandidaten stellen. Im Wahlkampf war Söder, der selbst gerne Frontmann der Union gewesen wäre, dagegen gewesen, dass die Union wieder den Regierungsanspruch erhebt, sollte sie nicht stärkste Kraft werden. Doch jetzt gilt für CSU und CDU die neue Linie: Es soll eine Koalition mit der FDP und den Grünen gebildet werden, und Armin Laschet wird doch noch Kanzler sein.
Der kämpferische Gestus und die Verlockungen der Macht wirken einigend auf die Union - und das haben die Konservativen auch dringend nötig. Denn es gibt hier Kräfte, die die Wahlniederlage als Chance zur Erneuerung begreifen, die nicht so wie bisher weitermachen und deshalb in die Opposition gehen wollen.
Am Morgen nach der Wahl meldete sich Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer mit deutlicher Kritik zu Wort: Das Wahlergebnis sei ein Erdbeben gewesen und habe eine ganz klare Wechselstimmung gegen die CDU gezeigt. Das müsse man sich doch bitte eingestehen. Kretschmer meinte, er könne einen Regierungsauftrag weit und breit nicht erkennen, die nun proklamierte Linie liege genau auf dem bisherigen Kurs, der zum Absturz der Union geführt habe, und sei nicht zukunftsfähig.
Nicht nur die SPD geißelt Laschet als schlechten Verlierer, die "Süddeutsche Zeitung" stellt in einem Kommentar provokant die Frage, ob der CDU-Vorsitzende nicht selbst den Parteigranden der Union peinlich werde, die ihn als Kanzlerkandidaten durchgeboxt hätten. Die Rede ist hier von "Trotzigkeit" und "Realitätsverweigerung". Auch die Wahlforscherin Sigrid Roßteutscher meint, es gebe "kein Argument und kein Narrativ", mit dem die Union angesichts der massiven Verluste eine Regierungsbildung erklären könne.
Jens Spahn, stellvertretender CDU-Vorsitzender und Gesundheitsminister, ortet Handlungsbedarf. "Die nächste Generation nach Angela Merkel muss jetzt dafür sorgen, dass wir im nächsten Jahrzehnt zu alter Stärke finden. Die Leute dafür haben wir. Wir müssen sie jetzt in Verantwortung bringen."
Für Laschet wäre dann eigentlich kein Platz mehr in der Union, er und die Politik, für die er steht, hätte sich überlebt. Der CDU-Wirtschaftspolitiker Carsten Linnemann äußert die Sorge, "dass durch die Konzentration auf die Regierungsbildung die Aufarbeitung innerhalb der Partei hintenüberfällt", wie er gegenüber der "Welt" sagte. Auch Niedersachsens CDU-Vorsitzender Bernd Althusmann will jetzt Veränderung inklusive einer personellen Neuaufstellung. "Der Wähler hat gesprochen. Er wollte offensichtlich zum Teil einen Wechsel."
Lockungen der Macht
Die Union ist zerrissen zwischen den Lockungen der Macht und der Notwendigkeit, sich nach langen Jahren an der Macht von Grund auf zu reformieren.
Die, die es in der Union gut mit Laschet meinen, führen ins Treffen, dass er das Schlimmste zuletzt noch verhindern konnte - immerhin war die SPD zeitweise in den Umfragen vier bis fünf Prozent voran. Er habe Schmähungen und Geringschätzung erdulden müssen und trotzdem nicht aufgegeben. Kritische Geister hingegen sagen, dass Laschets Wahlkampf fürchterlich gewesen sei, das Wahlergebnis verheerend. Er müsse sich nun vorwerfen lassen, dass es ihm nur um den Erhalt von Posten und Pfründe gehe.
Die Kräfte in der Union, die eine grundlegende Reform der Partei wollen, können sich auf namhafte Politologen berufen. Karl-Rudolf Korte etwa spricht bei der Union von einem "Countdown des Machtverfalls", nach 16 Jahren sei das nicht unerwartet. Sein Kollege Oskar Niedermayer konstatiert eine "inhaltliche Entkernung der Partei". Das Wahlergebnis komme einer "politischen Kernschmelze" gleich. Und: Die Bevölkerung in Deutschland werde es jedenfalls nicht verstehen, wenn der krachende Wahlverlierer nun plötzlich die Regierung anführen soll", so Niedermayer gegenüber deutschen Medien.