Trotz vieler Regierungsvorhaben reißt der koalitionäre Streit nicht ab.
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Wien. In den Ministerien wird fleißig an Regierungsprojekten gearbeitet: Bildungsministerin Sonja Hammerschmid verhandelt mit der Lehrergewerkschaft das Schulautonomiepaket; Finanzminister Hans Jörg Schelling arbeitet an der Abschaffung der kalten Progression, Sozialminister Alois Stöger an der Umsetzung der Aktion 20.000, Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner am Gesetz für die Primärgesundheitszentren; Hans Peter Doskozil lässt die Luftraumüberwachung neu ausarbeiten. Die Liste ist nicht vollzählig. Dennoch vermitteln Regierungsmitglieder immer wieder ein Bild jenseits des Arbeitens. Zwar wurde die Legislaturperiode auf fünf Jahre verlängert, um mehr Zeit für die Regierungsarbeit verwenden zu können und um weniger durch Wahlkämpfe gestört zu werden, dennoch wird nahezu jedes Gesetzesvorhaben von Neuwahlspekulationen begleitet. Und nun wieder.
So hat sich Innenminister Wolfgang Sobotka via "Kurier" wieder einmal an Bundeskanzler Christian Kern gerieben und ihm "Versagen als Kanzler" unterstellt. Es gebe keine Regierungslinie, weshalb jeder Minister sein eigenes Programm fahre. Für Kern, so Sobotka, sei der Zug abgefahren.
Dabei sollen sich SPÖ und ÖVP in Sachen Abschaffung der kalten Progression schon recht nahe gekommen sein. Das zumindest sagte Arbeiterkammer-Präsident Rudolf Kaske am Sonntag in der ORF-"Pressestunde". Die Sozialdemokraten hatten ihrem Koalitionspartner Ende April ein "letztes Angebot" übermittelt, wonach bis zur dritten Tarifstufe (bis 5800 Euro monatlich brutto) die Inflation automatisch abgegolten werden soll. Die ÖVP forderte indessen, auch die höchsten Einkommensbezieher zu berücksichtigten, die Abschaffung der kalten Progression dürfe keine Umverteilungsmaßnahme sein.
Sobotka will nun außerdem eine Zustimmung mit einer Reform des Arbeitslosenbezugs, der Mindestsicherung und der Notstandshilfe junktimieren, wie er dem "Kurier" sagte. Dies ist bisher noch gar nicht auf der Agenda der Regierung und auch nicht im überarbeiteten Regierungsprogramm enthalten. Die Abschaffung der kalten Progression hingegen sehr wohl, und sie hätte auch schon im April den Ministerrat passieren sollen. Insofern ist die Bundesregierung bei diesem Thema bereits zeitlich in Verzug.
Bundeskanzler Kern antwortete am Montag auf Ö1 und mahnte wörtlich "Vernunft" ein. Ohne Sobotka namentlich zu erwähnen, sagte Kern: "Wenn diese Regierungsarbeit mutwillig zerstört wird von Einzelnen aufgrund egoistischer Motive, rollt man den Freiheitlichen den roten Teppich in die nächste Regierung aus."
Die Aussagen von Sobotka sind wohl nicht nur als Kritik der ÖVP am Koalitionspartner zu verstehen, sondern sie offenbaren auch einen seit Monaten schwelenden Konflikt innerhalb der Volkspartei, bei dem diverse Interessen mitspielen. Dass zum Beispiel die ÖVP-Niederösterreich, Sobotkas Landespartei, einem Wahltermin noch dieses Jahr nicht abgeneigt wäre, ist kein Geheimnis. So könnte im Frühjahr 2018 in aller Ruhe und eventuell mit Rückenwind durch einen Parteiobmann-Wechsel im Bund (Sebastian Kurz statt Reinhold Mitterlehner) die letzte Absolute Österreichs auf Länderebene verteidigt werden.
Bemerkenswertes Kurz-Interview
Unter diesem Gesichtspunkt war übrigens auch der Auftritt von Kurz in der "ZiB 2" nach der Frankreich-Wahl bemerkenswert. Der Außenminister insinuierte, dass Emmanuel Macron die Wahl nicht hätte gewinnen können, wäre er nicht aus der Sozialistischen Partei ausgetreten. Mit Österreich sei die Situation zwar nicht "zu 100 Prozent vergleichbar", sagte Kurz, aber allgemein gelte: Wenn sich etablierte Parteien nicht verändern würden, werden sie abgestraft. Die Analyse mag zwar naheliegend sein, kommt sie jedoch aus dem Mund des von medialer Seite bereits designierten und von einigen Landesparteien auch recht offen gewünschten neuen ÖVP-Obmanns, erhält die Aussage eben auch eine andere Deutungsmöglichkeit.
Auch dass der Innenminister eine Novelle zum Sicherheitspolizeigesetz (SPG) in Begutachtung schickt, ohne das zuvor mit dem Koalitionspartner akkordiert zu haben, wird den Regierungszusammenhalt nicht verbessern. Sobotka begründete dies am Montag so: "Ich werde permanent in Sicherheitsfragen blockiert." Das Gesetz liege seit 9. März beim Spiegelminister, "und es tut sich nichts". Deshalb ergreift der Innenminister nun die Initiative.
Im Prinzip geht es bei der Novelle um Neuerungen zur Videoüberwachung, zur Autokennzeichenerfassung sowie zum Community-Policing-Projekt "Gemeinsam Sicher". Bei der Videoüberwachung soll die Herausgabe und die Verwendung von Daten, die Private gesammelt haben, auf freiwilliger Basis für alle sicherheitspolizeilichen Zwecke möglich werden. Für Verkehrsträger wie die ÖBB, die Asfinag, Verkehrsverbände und -betriebe sowie Flughäfen soll die unverzügliche Herausgabe von Videomaterial für sicherheitspolizeiliche Zwecke verpflichtend werden.
Laut Justizsprecher Hannes Jarolim wird die SPÖ diesem Entwurf nicht zustimmen. Für eine Regierung sei es ein kostbares Gut, ernst genommen zu werden - das sollte man nicht durch "Obskuritäten" gefährden, sagte Jarolim.
Ganz anders verlaufen die Konfliktlinien beim Schulautonomiegesetz. Hier haben sich SPÖ und ÖVP auf einen gemeinsamen Entwurf verständigt. Bildungsministerin Hammerschmid wird hier aber von der Lehrergewerkschaft - auch von Elternvertretern - zu Änderungen aufgefordert. Am Montagnachmittag gab es dazu eine Verhandlungsrunde. Hammerschmid zeigte sich im Vorfeld guten Mutes, dass man unterschiedliche Auffassungen aufarbeiten könne, sodass einem Ministerratsbeschluss Anfang Juni nichts im Weg stehen sollte.