Zum Hauptinhalt springen

Es lebe der Reformvertrag

Von Waldemar Hummer

Kommentare
Waldemar Hummer ist Universitätsprofessor für Europa- und Völkerrecht an der Universität Innsbruck. Foto: privat

Nach einer zweijährigen Reflexionsphase über das Schicksal des Verfassungs-Vertrages wurden die Weichen neu gestellt. Statt der Verfassung kommt ein Reformvertrag.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 17 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Auf der Tagung des Europäischen Rates vom 21./23. Juni schrammte die Europäische Union (EU) haarscharf an einer existenziellen Krise vorbei.

Dem deutschen Vorsitz gelang es letztlich doch, den Widerstand der Polen und Briten zu brechen und den Bedenken der Franzosen und Niederländer gegenüber einer Reanimierung des Verfassungs-Vertrages Rechnung zu tragen. Der Erfolg wurde allerdings teuer erkauft, da die gefundene Lösung einen extrem komplexen und unübersichtlichen Kompromiss darstellt, der der europäischen Öffentlichkeit nur mehr schwer vermittelt werden kann.

Der Reformvertrag

Nachdem selbst der französische Plan eines eigenen "Mini-Vertrages" verworfen wurde, einigten sich die Staats- und Regierungschefs darauf, das bisherige Verfassungs-Konzept ganz aufzugeben. Dieses wollte alle bestehenden Verträge aufheben und durch einen einheitlichen Text mit der Bezeichnung "Verfassung" ersetzen. An die Stelle des Verfassungs-Konzepts tritt ein "Reformvertrag", durch den die aus dem Verfassungs-Vertrag zu übernehmenden Teile in die bisherigen Verträge, die weiterhin in Kraft bleiben, eingefügt werden.

Der Vertrag über die Europäische Union (EU-Vertrag) behält dabei seine derzeitige Bezeichnung, der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG-Vertrag) wird in "Vertrag über die Arbeitsweise der Union" umbenannt. Die EU erhält eine einheitliche Rechtspersönlichkeit und tritt an die Stelle der EG.

Der EU-Vertrag und der Vertrag über die Arbeitsweise der Union werden keinen Verfassungscharakter haben. Das spiegelt sich auch in der Begrifflichkeit wider: der Ausdruck "Verfassung" wird nicht mehr verwendet, der "Außenminister der Union" wird zum "Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik" und die Bezeichnungen "Gesetz" und "Rahmengesetz" werden aufgegeben. Ebenso werden die Symbole der EU wie Flagge, Hymne und Leitspruch nicht mehr erwähnt.

Regierungskonferenz

Der Reformvertrag zur Novellierung der bisherigen Verträge wird gemäß Artikel 48 EU-Vertrag auf einer Regierungskonferenz ausgearbeitet, die vom portugiesischen Vorsitz noch vor Ende Juli dieses Jahres einberufen werden soll.

Erstmals in der Geschichte der EU kann diese Regierungskonferenz nicht nach eigenem Gutdünken vorgehen, sondern muss sich an dem vom Europäischen Rat formulierten Mandat orientieren. Dieses enthält detaillierte Bestimmungen über die Änderung der beiden Verträge (Rats-Dok. 11177/07 CONCL 2 vom 23. Juni 2007, S. 15 ff.).

Die Regierungskonferenz hat ihre Arbeit so schnell wie möglich abzuschließen - auf jeden Fall vor Ende dieses Jahres. Damit bleibt genügend Zeit für die Ratifikationsverfahren, die noch vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2009 beendet werden sollen.

Die Gesamtverantwortung für die Regierungskonferenz wird bei den Staats- und Regierungschefs liegen, die von den Mitgliedern des Rates (Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen) unterstützt werden. Der Vertreter der Kommission wird an der Konferenz teilnehmen.

Inhaltlich übernimmt das Mandat des Europäischen Rates durchaus die wichtigsten Innovationen des Verfassungs-Vertrages. Nach deren Einarbeitung in die bisherigen Verträge werden sie jedoch für den Unionsbürger noch unlesbarer sein, als sie jetzt schon sind. Die EU hat damit die einmalige Chance vertan, sich durch einen kurzen und schlanken Grundlagenvertrag allgemein verständlich zu präsentieren. Die Rechnung dafür wird sie basisdemokratisch einmal mehr präsentiert bekommen.