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"Es muss jetzt etwas passieren"

Von Matthias Winterer

Politik
Christine Heindl engagiert sich im Aufbruch, der linke Ideen wieder auf die Straße tragen will.
© Moritz Ziegler

Die Initiative Aufbruch formiert die Linke neu. Eine Parteigründung schließt Mitorganisatorin Christine Heindl nicht aus.


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Wien. Die Linke in Österreich organisiert sich neu. Die Initiative Aufbruch versucht die antikapitalistischen Kräfte des Landes zu bündeln. In einer groß angelegten Kampagne will sie linke Ideen und Politik unter die Menschen bringen und neue Mitstreiter gewinnen. Mit einer Aktionskonferenz Anfang Juni in Wien wurde ein erster Schritt gesetzt. Mitorganisatorin Christine Heindl erklärt im Interview, warum es eine starke linke Bewegung braucht, warum sie diesmal nicht scheitern wird und warum die etablierten Parteien den Kontakt zu den Menschen verlieren.

"Wiener Zeitung": Wie beurteilen Sie die momentane politische Situation in Österreich?

Christine Heindl: Ich empfinde sie schon sehr lange als sehr unangenehm für die Menschen, die in Österreich leben. Wir haben eine Wirtschaftspolitik, die das Geld von unten nach oben verteilt. Es gibt Steuererleichterungen für große Konzerne und kaum Überlebensmöglichkeiten für den ärmeren Teil der Bevölkerung. Aber keine Partei spricht davon, wo die Milliarden tatsächlich schlummern, zum Beispiel in den Stiftungen. Stattdessen werden die Ausreden, warum die Situation so ist, wie sie ist, immer unverschämter. Plötzlich sind arme Menschen schuld, plötzlich sind die Flüchtlinge schuld. Dieser Zustand ist nicht länger auszuhalten. Es muss sich endlich etwas ändern.

Haben Sie deswegen mit Ihren Kollegen die Initiative Aufbruch gegründet?

Ja. Es braucht wieder linke Politik in Österreich. Die etablierten Parteien vertreten keine linken Interessen. Und ich glaube, es braucht eine Bewegung der betroffenen Menschen selbst. Menschen, denen es bewusst ist, dass diese Art der Wirtschaftspolitik – die für die Reichen da ist und nicht für die Masse – die Missstände nicht beseitigt. Außerdem muss es einen starken Gegenpol zum herrschenden Rechtsruck geben.

Was genau ist der Aufbruch und wie ist er entstanden?

Es gibt den Mosaik-Blog, in dem verschiedene Menschen aus zivilgesellschaftlichen Organisationen, Gewerkschaften aber auch politischen Parteien schreiben. Die Initiatoren des Mosaik-Blogs haben sich überlegt, wie sie eine größere Öffentlichkeit für linke Politik finden können. Sie haben zu Sitzungen geladen. Das war vor etwa einem Jahr. Auf diesen Sitzungen haben wir beschlossen, dass soziale Gerechtigkeit und Umverteilung unser wichtigstes Anliegen ist. Um die Ideen für die Umverteilung unter die Menschen zu bringen, wurde eine Organisierungskampagne geplant, die Anfang Juni mit einer Konferenz in Wien startete. Es kamen mehr als 1000 Menschen aus ganz Österreich und diskutierten. Dort haben sich lokale Bundesländer- und Bezirksgruppen gebildet.

Und was machen diese lokalen Gruppen?

Zum einen gibt es für die einzelnen Themen der Kampagne Arbeitsgruppen. Diese beschäftigen sich mit der Frage des Reichtums. Wie er verlagert werden kann, damit wir uns gute Arbeit, gutes Wohnen, gute Mobilität und ein gutes Gesundheits- und Sozialwesen für alle leisten können. Zum anderen gibt es die lokalen Gruppen, die die Themen auf die Bedürfnisse des jeweiligen Grätzels herunterbrechen. Sie organisieren Veranstaltungen, diskutieren mit den Menschen, führen Einzelgespräche. Es geht um Öffentlichkeitsarbeit, es geht um Arbeit mit den Betroffenen. Gespräche mit den Leuten sind das Um und Auf. Als Bewegung darfst du nie den Kontakt mit der Straße verlieren. Die etablierten Parteien gehen ausnahmslos im Wahlkampf auf die Straße. Vielleicht macht die SPÖ einmal wo ein Fest, aber dort wird nicht mehr über Politik diskutiert.

Wird der Aufbruch auch eine Partei werden?

Diese Frage ist offen. Es sind einige dabei, die das überhaupt nicht wollen, es sind viele dabei, die es wollen, und es sind manche dabei, für die es der Hauptgrund war, sich zu engagieren. Die Frage ist seit der ersten Sitzung ein Thema und sie wurde immer kontrovers diskutiert. Ich befürworte die Gründung einer Partei. Ich glaube, dass es notwendig ist, im Parlament zu sein, um linken Menschen die Möglichkeit zu geben, einmal ein Kreuzerl zu machen, ohne dabei Bauchweh haben zu müssen. Gleichzeitig muss es immer eine starke Bewegung außerhalb geben. Wenn eine Partei nicht ihr Potenzial an Menschen hat, die Aktionen auf der Straße machen, die Gespräche auf der Straße führen, sondern nur im Parlament sitzt und über Presseaussendungen und Pressekonferenzen mit der Bevölkerung kommuniziert, ist das viel zu wenig.

Glauben Sie, dass der Aufbruch an dieser Frage zerbrechen kann?

Nein, das glaube ich nicht. Es wurde immer offen und ehrlich darüber gesprochen. Natürlich wäre es ein Problem, wenn die, die eine Partei wollen, 60 Prozent wären und die, die absolut keine wollen, 40 Prozent. 90 zu 10 Prozent wäre sicher einfacher. Wir werden das diskutieren, die Argumente dafür und dagegen zusammentragen. Entscheiden wird es dann eine nächste große Konferenz.

Die Linke ist in Österreich völlig zersplittert. Besteht die Gefahr, dass auch der Aufbruch an Grundsatzfragen scheitert?

Alle im Aufbruch sind der Meinung, dass jetzt etwas passieren muss. Dass sich die Linke formieren muss, auch wenn in manchen Fragen nicht alle exakt derselben Ansicht sind. Aber dieses Wissen aller Beteiligten, dass es jetzt sein muss, bringt einen schon dazu, sich zu fragen, ob einzelne Differenzen wirklich so wichtig sind, dass man das ganze Projekt scheitern lässt. Ich glaube, das Ergebnis der Präsidentenwahl hat viele Menschen wachgerüttelt.

Wie erklären Sie sich die Wahlerfolge der FPÖ?

Die Rechten sind extrem gut geschult. Sie haben Schulungen wie Vertreter. Es sind genau die gleichen Methoden. Sie vereinfachen die Dinge und suchen Schuldige. Diese sind aber nicht die wahren Schuldigen, also die Superreichen, sondern etwa die Flüchtlinge. Die FPÖ lenkt von den wirklichen Gegebenheiten ab. Sie sucht die Schwachen und stellt sie dann als böse Menschen hin. Im Weltbild der FPÖ bin ich dann gut, wenn ich jemanden finde, der schlechter ist als ich.

Was ist die Antwort des Aufbruchs auf diese Methoden der FPÖ?

Ins Gespräch kommen mit den Menschen. Ihnen in Ruhe klarmachen, wie Fehlinformationen verbreitet werden und wie es in Wirklichkeit aussieht. Ich habe lange unterrichtet. Wenn man das unterrichtet, was eigentlich im Lehrplan steht, nämlich Wirtschaftspolitik, globale Politik, dann fangen die Schüler an, Fragen zu stellen. Und wenn jemand zu fragen beginnt, dann ist er schon auf dem richtigen Weg. Man darf nicht blind glauben. Ich denke, dass das wichtigste Wort "warum" ist. Dieses Wort dürfte man den Kindern nie abgewöhnen. Sie würden auch als Erwachsene nicht alles schlucken, was sie jetzt vielleicht tun, weil es ihnen die FPÖ – aber auch die anderen Parteien – so erklärt oder weil es so in der Zeitung steht.

Kann man als erfolgreiche Partei oder Initiative auf Populismus verzichten?

Man kann nicht auf eine einfache, verständliche Sprache verzichten. Das Wort Populismus ist für mich so wie das Wort Manipulation, das ich eigentlich als sehr positives Wort empfinde. Ich möchte ja Menschen beeinflussen. Aber das Wort hat sich negativ entwickelt, weil Menschen oft beeinflusst werden, ohne dass man ihnen sagt, in welche Richtung sie beeinflusst werden. Genauso ist es mit Populismus. Ich muss es klar und einfach formulieren können. Ich muss eine einfache Sprache haben, die jeder versteht.

Christine Heindl saß von 1990 bis 1994 als Abgeordnete der Grünen im Nationalrat. Sie war Familien-, Frauen- und Bildungssprecherin des Grünen Parlamentsklubs. Während der Angelobung der Bundesregierung 1990 sorgte Heindl für Aufsehen, weil sie ihren Sohn im Parlament stillte. Zu dieser Zeit waren Kinder im Parlament verboten. Der Vorfall fand auch in internationalen Medien Beachtung. Nach ihrer politischen Karriere unterrichtete Heindl in der Berufsschule Eisenstadt. Seit rund einem Jahr ist sie gemeinsam mit ihrem Sohn – dem damaligen Baby – in der linken Initiative Aufbruch tätig.