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Es muss nicht immer Liebe sein

Von Wolfgang Zaunbauer

Politik

Die Regierung bekennt sich zum Konflikt. Das ist gut, sagt ein Paartherapeut.


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Wien. Mit dem Slogan "Genug gestritten" zog Werner Faymann damals, im Sommer 2008, in den Wahlkampf. Ein Neustart nach den heftigen Auseinandersetzungen unter Gusenbauer-Molterer sollte signalisiert werden. Ein neuer Stil. Dieser wurde in den folgenden sechs Jahren mehrfach propagiert. Wenn es zwischen SPÖ und ÖVP mal etwas lauter wurde, besann man sich auf den neuen Stil. Doch diesmal ist es anders. Diesmal hat der Streit - es geht um Zeitpunkt und Gegenfinanzierung der Steuerreform - die Spitze der Regierung erreicht. Nicht Klubchefs oder Generalsekretäre richteten sich Unfreundlichkeiten aus - die natürlich auch -, sondern die Chefs persönlich. Der Vizekanzler warf dem Kanzler vor, unehrlich zu agieren, dieser konterte, der Vize sei auf einem Auge blind. "Millionärsbeschützer!", raunzte der eine. "Billiger Populist!", ätzte der andere. Beobachter sprachen von einer "sehr ernsten Lage".

Ernst, aber nicht hoffnungslos. Sprich: So bald gibt es keine Neuwahlen. Schon am Dienstag beim Ministerrat klang es nämlich wieder deutlich entschärft. Keiner wollte weiter Öl ins Feuer gießen. Doch etwas ist anders. Kein Wort von "neuer Stil". Stattdessen ein Bekenntnis zu Meinungsverschiedenheit und Streit.

Lieber ein raues Klima,als gespielte Harmonie

Inhaltlich sei man sich nicht einig, erklärte Faymann im Pressefoyer nach dem Ministerrat, "das darf in einer Koalition vorkommen und muss auch ausgesprochen werden". Und "lieber ein raueres Klima und es kommt etwas heraus, als irgendeine gespielte Harmonie, die hier nicht existiert". Ungewohnte Worte für den Kanzler, doch genau der richtige Ansatz, zumindest paartherapeutisch.

"Prinzipiell ist Streit ein wichtiger Bestandteil der Kommunikation in einer Beziehung", sagt Richard L. Fellner, Paartherapeut aus Wien. Man dürfe die Probleme nicht runterschlucken, bis es zum Bruch komme, sondern müsse die Differenzen durchsprechen, bis man eine Lösung finde. Dazu sei aber eine Konfliktkultur nötig.

Die mahnt auch Faymann ein: Es müsse möglich sein, eine Diskussion zu führen, ohne die Unterschiede zu verschweigen, "mit sachlichem Stil, trotzdem mit Herzblut".

Die inhaltlichen Unterschiede betreffen vor allem die Frage, wann sich eine Steuerreform ausgeht und wie sie finanziert werden soll. Die SPÖ will eine spürbare Entlastung der Arbeitnehmer schon 2015. Die ÖVP frühestens 2016 - wenn es sich ausgeht. Denn während die SPÖ auf Vermögenssteuern und Konjunkturaufschwung infolge Kaufkraftstärkung setzt, will die ÖVP zuerst mit Strukturreformen die nötigen Spielräume für die 4 bis 6 Milliarden Euro schwere Reform schaffen.

Die Meinungsverschiedenheiten - am Montag noch lautstark ausgetragen - sind auch am Dienstag noch offenkundig. So beruft sich Faymann auf eine OECD-Studie, wonach Österreich bei vermögensbezogenen Steuern Schlusslicht ist. Spindelegger kontert, die OECD sage aber auch, nirgends werde so viel umverteilt, wie in Österreich. Der Kanzler verdreht genervt die Augen.

Die Differenzen bleiben, doch immerhin setzt man sich - in Form von Arbeitsgruppen - zusammen und spricht darüber. Das empfiehlt Paartherapeut Fellner auch Hilfe suchenden Partnern: "Es ist sinnvoll, sich mit den jeweils eigenen Überzeugungen an einen Tisch zu setzen und nach Lösungen zu suchen."

Doch manchmal braucht es Hilfe von außen, um eine Beziehung zu kitten. "Begleitung oder Moderation kann helfen, neue Wege zu finden", sagt Fellner. Manchmal seien die Positionen so eingefahren, dass die Partner andere Wege gar nicht mehr sehen. Fellner spricht von "blinden Flecken", die Lösungen verbergen. Vielleicht ist es von da her eine gute Idee, die Steuerarbeitsgruppe auch mit externen Experten zu bestücken, um so das rot-schwarze Liebesglück zu retten.

Keine Leidenschaft, kein Knistern

Von Liebe würde Fellner im Fall der Koalition allerdings nicht sprechen, "auch wenn sie so tun als ob". Für eine Liebesbeziehung fehle die Leidenschaft, die positive Energie, das Knistern.

Für den Paartherapeuten ist die große Koalition eher eine Zweckbeziehung, wo beide wissen, dass sie den anderen brauchen - und das ist nicht einmal schlecht: "Nur in der westlichen Hemisphäre haben wir bei Beziehungen den Anspruch tiefgehender Romantik. Dabei können Zweckgemeinschaften sehr gut funktionieren. Allerdings müssen beide Seiten wissen, was sie wollen."

Letztlich zählen für eine funktionierende Koalition die selben Voraussetzungen, wie für jede andere Beziehung, ob diese nun der Liebe oder einem bloßen Zweck dient: "Kompromissbereitschaft, Konfliktkultur und Kommunikation - das gehört dazu", sagt Fellner. Bei Rot-Schwarz sieht er allerdings ein Problem: "Beide Seiten nehmen in Anspruch, im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein." Und daran ist schon so manche Beziehung gescheitert.