Der bedeutendste Fortschritt in der Strafrechtspflege der letzten Jahre - so qualifiziert der Innsbrucker Rechtswissenschaftler Christian Bertel die Diversion, die Anfang 2000 ihren Weg in die Strafprozessordnung (StPO) fand. Seine Ansicht teilen auch die übrigen Experten der parlamentarischen Enquete-Kommission, die gestern zusammentrat, um Verbesserungsmöglichkeiten zu diskutieren. Weiterhin umstritten ist, ob die Diversion künftig in die Kompetenz der Richter fallen soll. Allgemein wurde die Zwei-Wochen-Frist zur Reaktion auf das Diversionsangebot als zu kurz befunden.
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"Die Vorteile der Diversion überwiegen ganz gewaltig. Verbessern wir sie gemeinsam, aber machen wir sie nicht kaputt", appellierte der Leitende Staatsanwalt Werner Pleischl und warnte davor, gesetzliche Voraussetzungen einzuschränken oder "bürokratische Hemmnisse" aufzubauen.
Es würden durch die Diversion mehr Vergehen verfolgt als früher. Zudem hätte der Staat durch die Geldbußen - die meistverhängte diversionelle Maßnahme - im Jahr 2000 50 Mill. S mehr eingenommen, als im Jahr vor Einführung der Diversion. Ein Grund für den Mehrverdienst sei darin zu sehen, dass die Geldbußen vor allem die bedingten Geldstrafen im Bagatellbereich abgelöst hätten.
Der Wiener Uni-Professor Manfred Burgstaller sprach sich dafür aus, die Diversion künftig den Richtern zu überantworten: "Ich bin der Meinung, dass die Diversion - mit Ausnahme des Außergerichtlichen Tatausgleichs (ATA) - der Sache nach eine gerichtliche Angelegenheit und nicht die des Staatsanwalts ist." Die Diversion sei vorschnell den Staatsanwälten übertragen worden, immerhin handle es sich um eine strafrechtliche Enderledigung, die weder reversibel noch anfechtbar sei.
Bedenke man die geplante StPO-Reform, die den Staatsanwalt vermehrt in die polizeiliche Ermittlungsarbeit einbindet, drohe zudem die Gefahr, dass der Staatsanwalt in ein Spannungsfeld gerate, das seine Unbefangenheit gefährden könnte. Handlungsbedarf sieht der Strafrechtler auch bei der Berücksichtigung der Opferinteressen: "Es besteht weitgehende Übereinstimmung, die Rechtslage zugunsten des Opfers zu verbessern." Nach Ansicht Burgstallers sollte das Opfer immer angehört werden, wenn nicht besondere Gründe dagegen sprechen.
Rechtsanwältin Elisabeth Rech verlangte verbesserte Informationen, für die Geschädigten, aber auch Verdächtigen. Die Diversions-Formblätter enthielten keinen Hinweis, welche rechtlichen Folgen die Einzahlung des Bußgeldes nach sich ziehe. "Ich sehe einen psychologischen Zwang, das Angebot anzunehmen." Es gebe immer wieder Fälle, bei denen der Sachverhalt nicht ausreichend geklärt sei: "Manchmal bekommt man das Gefühl, es wird einfach das Diversions-Angebot rausgeschickt, und man schaut, was passiert." Nach Meinung der Anwältin gehören die Formblätter überarbeitet und vervollständigt. Die Frist von zwei Wochen, um auf ein Diversionsangebot der Staatsanwaltschaft zu reagieren, sei jedenfalls zu kurz bemessen, meinte die Anwältin. In von zwei Wochen bekomme man nicht einmal einen Termin beim Rechtsanwalt.
Der Wiener Strafrechtsprofessor Helmut Fuchs meinte, gerade bei geringfügiger Kriminalität sei die Reaktion wichtig. Aber: "Es muss nicht immer Strafe sein". Gerade im Bereich der Verkehrsdelikte wolle er "eine Lanze für die Geldbuße brechen". Er hält die gesetzliche Regelung - so wie sie ist - für gelungen, ebenso wie sein Innsbrucker Kollege Christian Bertel, der lediglich anregte, einen Teil der Geldbußen zum Ausbau des ATA zu verwenden. Bertel erteilte auch dem Ansinnen Burgstallers, die Diversion an die Richter zu übertragen, eine Absage: "Ich kann dem Gedanken nichts abgewinnen, eine Lösung, die sich bewährt hat, aus dogmatischen Gründen abzuändern."