Die Kunst- und Kulturstiftung Fondazione Prada ist in die historische Fabrik des global agierenden Mailänder Luxus- und Modekonzerns eingezogen.
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Piazzale Lodi ist ein chaotischer Verkehrsknotenpunkt im Südosten Mailands. Eine Brücke führt über verwahrloste Eisenbahntrassen in ein Wohnviertel, Geschäfte und Lokale mit asiatischen Aufschriften säumen die Straße entlang der Bahn. Eine Brache gibt schließlich den Blick auf eine Zeile niedriger Gewerbebauten frei. Anfang des 20. Jahrhunderts nahm ein Spirituosenhersteller hier seine Arbeit auf.
Damals existierte Prada noch nicht. Der Familienbetrieb begann erst nach dem Ersten Weltkrieg mit der Erzeugung und dem Verkauf von Lederwaren. Bis in die Siebzigerjahre hatten die Pradas nur einen, wenn auch sehr feinen Laden im Zentrum der Stadt, die besseren signore milanesi kauften da ihr Taschen und Handschuhe.
Erst in der dritten Generation expandierte das Unternehmen. Maria Bianchi, die Enkelin des Firmengründers, hatte zwar Politikwissenschaft studiert, im Piccolo Teatro des Starregisseurs Giorgio Strehler gearbeitet und war, wie damals viele Bürgerkinder in Italien, in linker Politik engagiert und mehr an Frauenrechten als an Damentäschchen interessiert. Aber dann übernahm sie, noch keine 30, doch das Geschäft, nahm ihren Kosenamen und den Mädchennamen der Mutter an und verwandelte als Miuccia Prada mit ihrem Mann Patrizio Bertelli den Laden gründlich. Mittlerweile ist er bekanntlich ein global agierender Konzern des Luxus und der Moden.
Grau - und vergoldet
Den Spirtuosenerzeuger gibt es längst nicht mehr. Dafür ist die Fondazione Prada, die Kunst- und Kulturstiftung des Unternehmens, in die grauen Gebäude eingezogen. Vor drei Jahren wurde sie provisorisch eröffnet, seit diesem Mai präsentiert sich die ehemalige Fabrik so schillernd, wie Miuccia Prada und Architekt Rem Kohlhaas sie geplant haben: zugleich sorgsam bewahrt und radikal verändert, minimalistisch und geschmückt, grau - und vergoldet.
Fabrikshallen sind schon viele entkernt worden, das allein wäre nicht weiter bemerkenswert. Ein Kulturdenkmal für sich selbst neu aus dem Boden zu stampfen: auch das sieht man immer wieder. Und man kann auf viel Glas und Beton setzen oder auf ein heimeliges Fifties-Ambiente. Die Fondazione hat dies alles in einem getan, ein Hybrid ist dabei herausgekommen, Understatement und große Geste zugleich, ähnlich den Modeschöpfungen des Hauses: Brich die Codes, würfle alles durcheinander, füge es neu zusammen zum Kleid der Saison, zum Must beim Cocktail - und die Leute werden staunen.
Sie tun es auch. Nähert man sich dem Areal und biegt von der Via Brembo Richtung Eingang ab, fallen einem sofort zwei Türme auf. Der eine, niedriger und offenbar vom alten Bestand der Gin-Destille, ist komplett mit Goldfarbe bemalt. In ihrem Widerschein, soll Kohlhaas gesagt haben, sieht der Tag immer sonnig und jeder Besucher gut aus.
Der andere Turm, la Torre Atlas, wurde erst vor kurzem fertig. Er ist ein neun Stockwerke hoher, weißer, teilweise schräg angeschnittener Monolith. Auf der Straßenseite hat er Glasfassaden und eine Restaurantterrasse, rückseitig wird er durch zwei mächtige Betonbalken gestützt, die bis zur Dachterrasse reichen.
Angeblich sollen sie erst eingeplant worden sein, nachdem die Region Mailand als stärker erdbebengefährdet eingestuft worden war. In und zwischen den beiden Türmen hat Kohlhaas Räume für die Intentionen der Stifter geplant. Der holländische Stararchitekt und sein Büro OMA waren schon öfter für Prada tätig, in New York etwa hat er ihren Flagshipstore dort realisiert, wo das Guggenheim Museum mit seiner Soho-Dependance nicht glücklich geworden war.
Kultur produzieren
In Mailand nun geht es weniger darum, Kunst zu zeigen, als vielmehr, wie es die Firmenchefin in einem Interview ausgedrückt hat, Kultur zu produzieren. Will heißen, hier sollen Ideen aufeinandertreffen, Strömungen gezeigt werden, Filme zu sehen sein, und da sei es nicht so wichtig, ob die Anstöße eher vom Vorgeführten, von den Besuchern, den Räumen oder vielleicht auch ein wenig vom Mythos des Namens Prada kommen.
Filme also zum Beispiel. Das Kino, ein langgestrecktes, adaptiertes Gebäude im großen Innenhof, heißt "Luce", denn Licht-Spiele werden ja gezeigt, und Licht wird auch in den meterhohen Spiegeln an den Außenwänden reflektiert. Sie verdoppeln die freien Räume und zeigen die alte Zisterne und den neuen Ausstellungstrakt gleich zweimal.
"Luce" heißt auch das Café neben der Kassenhalle. Während diese streng sachlich gehalten ist, geht die Kaffeebar fast über vor lauter Bezügen auf die Fünfziger- und Sechzigerjahre. Der Regisseur Wes Anderson hat sie entworfen, er hat einen Flipperautomaten und eine Jukebox (tatsächlich mit Schlagern aus der Periode, also Adriano Celentano e tutti quanti) hineingestellt, eine wunderbare Espressomaschine von Faema thront auf dem Tresen; Terrazzo-Fußboden, rosa, hellblaue und hellgrüne Formica-Platten: alles da. Er habe sich von alten italienischen Filmen inspirieren lassen, sagt Anderson, und er wollte eine Umgebung schaffen, in der er selber gerne Skripts schreiben würde.
Auf der anderen Seite der Kassa - die Zugänge sind etwas labyrinthisch - geht es in den vergoldeten Turm. "Haunted House" nennt sich die mehrstöckige Sammlung an Dauerinstallationen von Louise Bourgeois und Robert Gober. Sie stammen aus dem Kunstbesitz von Miuccia Prada, vermitteln allerdings weniger einen Spuk als vielmehr eine wohltuende Großzügigkeit in der Aufstellung: in jedem Stockwerk ein, maximal zwei Räume für je ein Werk. Ausgerechnet im obersten, vierten Stock hat Gober einen Kanaldeckel in den Boden gebaut, komplett mit einer Vertiefung und permanent gurgelndem Wasser; ein Gully im goldenen Käfig.
Auch die Torre Atlas beherbergt generös ein bis zwei Künstler pro Stockwerk in permanenten Schauen, meist in Räumen so groß wie ein Tennisplatz. Es sind, wie der OMA-Architekt Federico Pompignoli gesagt hat, "White-Cube-Galerien, die gegen die typische Monotonie des white cube revoltieren".
Versuchsanordnungen
Im vorletzten Stock hat Damien Hirst die Gelegenheit bekommen, in Glaskuben Versuchsanordnungen aufzubauen, bei denen Unmengen an Fliegen schlüpfen, sich ernähren und durch einen "Insect-o-cutor" getötet werden. Daneben gibt es, ebenfalls hinter Glas, "Tears for everybody", es regnet auf einen aufgespannten Schirm, der zwei Plastikenten im seichten Wasser nur ungenügend schützt. Dahinter, jenseits der mehr als sieben Meter hohen Fensterwand, ist Mailand zu sehen, der Dom, das Pirelli-Hochhaus und vieles mehr. Es scheint die Sonne.
Auch die anderen hier ausgestellten Künstler - Jeff Koons, Kienholz, John Baldessari etc. - sind mit Werken vertreten, die jeden normalen Galerierahmen, gar die Idee eines Gemäldes in den eigenen vier Wänden, sprengen. Es wird deutlich, dass Miuccia Prada, aus deren Beständen die gezeigten Werke stammen, mit ihrer Vorliebe für kulturelle Didaktik und disruption eben doch zur Liga der Sammler berühmter Namen gehört - die "Süddeutsche" spricht in ihrem Zusammenhang von einer "skurrilen Internationale aus kapitalismuskritischen Denkern und kapitalkräftigen Sammlern".
Weniger die angekauften oder beauftragten Arbeiten der Superstars machen die Fondazione Prada spannend, eher das Ping Pong der Wechselausstellungen mit dem Ambiente der Stiftung. Bis eben etwa war eine große Schau über "Kunst Leben Politik: Italien 1918 - 1943" zu sehen, kuratiert vom Kunsthistoriker Germano Celant und zurecht vom internationalen Kulturfeuilleton gefeiert. In der Zisterne hat die Brasilianerin Laura Lima die mehrteilige Arbeit "Horse Takes King" installiert, übergroße Skulpturen, die die Wahrnehmung der Besucher auf die Probe stellen (bis 22. Oktober; die Schau ist der letzte Teil der Serie "Slight Agitation", in der letztes Jahr auch das österreichische Kollektiv Gelitin vertreten war).
Prada - Armani
Was die Vielfalt des Prada-Projekts anbelangt, lohnt ein Vergleich mit einer anderen Kulturinitiative ebenfalls aus der Mailänder Modebranche: Auch die "Silos Armani" sind ein adaptierter Bau, tatsächlich war er einmal ein Getreidesilo im Südwesten der Stadt unweit des Schiffskanals Naviglio, in der seit längerem angesagten Zona Tortona. Hier allerdings ist nur eines von vier Stockwerken sozusagen Mäzenatenzone mit Wechselausstellungen, in allen anderen Etagen hat sich Giorgio Armani vor drei Jahren selbst ein Modedenkmal gesetzt, mit Krea-tionen aus vier Jahrzehnten.
Hat Kohlhaas bei Prada ein wenig Überschwang und viel Stilmix verbreitet, herrscht hier eine dunkle, vom japanischen Architekten Tadao Ando inspirierte Strenge. "Ein Mausoleum!", rief eine Besucherin schon beim Stiegenaufgang aus.
Bei den Initiativen dieser beiden und anderer Luxuskonzerne kann man immer wieder fragen, ob und wieweit sie die Rolle einer öffentlichen Kulturförderung übernehmen sollen. Miuccia hat die Frage längst für sich beantwortet, und eine öffentliche Hand, die auch in Italien immer weniger Geld für Kultur auszugeben bereit ist, bestärkt sie nur. Die Fondazione wird präsenter im Kulturfahrplan - nicht nur von Touristen. Sie beginnt auch, auf die unmittelbare Umgebung auszustrahlen. Rundherum wird gebaut, die Preise steigen angeblich bereits. Wo einmal Gin war, ist nun Gentrification - auch in Italien kein Fremdwort mehr.
Michael Freund ist freier Autor, Fotograf und Lehrbeauftragter für Medienkommunikation.