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Es reicht: Zeit für Plan B.

Von Alexander Van der Bellen

Gastkommentare

Wie viele nationale Veto-Rechte verträgt die EU? Wenn 25 von 27 Mitgliedsländern eine Änderung der Vertragsgrundlagen wünschen, kann das von zwei Ländern zu Fall gebracht werden? Das kann ja wohl nicht wahr sein. Es ist Zeit, Tacheles zu reden und Nägel mit Köpfen zu machen.


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Die Iren akzeptierten vor einer Woche den Lissabon-Vertrag mit Zwei-Drittel-Mehrheit. Polens Präsident Kaczynski erklärte daraufhin, er wolle seine Unterschrift nicht länger hinauszögern. Fehlt noch eines unter den 27 Mitgliedsländern der EU; nein, zwei - Präsident Vaclav Klaus und seine noch verbliebenen Gefolgsleute unter den tschechischen Abgeordneten sabotieren nach wie vor den EU-Reformvertrag. Klaus verweigert seine Unterschrift, obwohl das tschechische Parlament den Vertrag bereits ratifiziert hat.

Und auch Großbritannien könnte, nicht zum ersten Mal, Probleme machen. Premier Gordon Brown brachte den Vertrag erfolgreich durchs britische Parlament. Aber niemand rechnet damit, dass Labour die Wahlen gewinnt, die spätestens im Frühjahr 2010 stattfinden. David Cameron von den Tories, den britischen Konservativen, will die britische Zustimmung zum Vertrag mittels Referendum rückgängig machen. Das kann gelingen, wenn Klaus bis März verhindert, dass er EU-weit in Kraft tritt.

Na schön. Jeder soll nach seiner Façon glücklich werden, sagte schon Preußens Friedrich. Wenn Klaus und Cameron meinen, von ihren nationalen Kirchtürmen mehr Weitblick zu genießen, sei ihnen das unbenommen. Aber die EU-25 sollten sich davon nicht beirren lassen. Es ist Zeit für Plan B. Tritt der Lissabon-Vertrag nicht in Kraft, gelten die Regeln von Nizza weiter. Das bedeutet unter anderem, dass die Zahl der Kommissionsmitglieder verkleinert werden muss. Die EU-25 sollten Tschechien und Großbritannien die Rute ins Fenster stellen: Wenn sie sich als Einzige weigern, den Reformvertrag zu bestätigen, so werden sie auch die Einzigen sein, die kein Mitglied in die Europäische Kommission entsenden.

Das ist keine Drohung oder Nötigung, das ist die schlichte Quittung für permanente Störung und Integrationsverweigerung. Wer ein sich weiterentwickelndes Europa nicht will, der soll es lassen, die anderen aber nicht behindern (können). Auf mittlere Sicht stellt sich die Frage, ob solche Länder EU-Mitglieder bleiben wollen oder sollen. Mit einer Partnerschaft, privilegiert oder nicht, etwa nach Schweizer Muster, wären dann alle besser bedient. Auch Norwegen ist schließlich nicht EU-Mitglied. Norweger und Unions-Europäer halten das aus. Ein Austritt Großbritanniens und/oder Tschechiens wäre bedauerlich; aber wer nicht will, der hat schon, pflegte meine Großmutter zu sagen.

Alexander Van der Bellen ist Abgeordneter der Grünen im Nationalrat.