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"Es schlug ein wie ein Blitz"

Von Wolfgang Zaunbauer

Reflexionen

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Noch ist Richard Hansl ein ganz normaler junger Mann. Er trifft seine Freunde auf ein Bier, geht aus, singt, tanzt. Damit ist am 14. September erst einmal Schluss. Dann nämlich tritt der 26-Jährige ins Priesterseminar der Erzdiözese Wien ein. Was bewegt einen jungen Mann dazu, diesen Schritt zu wagen?

Im vergangenen Studienjahr besuchten 27 Männer das Wiener Priesterseminar. Österreichweit sind es an die 80, die sich der sechsjährigen Ausbildung in den Seminaren der Diözesen stellen. Dazu kommen noch jene, die sich in den Orden zu Priestern ausbilden lassen. Sie alle folgen einer tiefen Überzeugung, einer inneren Berufung. Richard Hansl hörte den Ruf vor vier Jahren bei einem Sprachaufenthalt in Barcelona. "Das hat einfach wie ein Blitz eingeschlagen", sagt er. "Ich hatte mir einen Rosenkranz gekauft, ohne zu wissen, was ich damit anfangen soll. Ich wusste nicht, wie man betet. So saß ich dann in den Kirchen von Barcelona - und irgendwann hat es ,Klick gemacht. Da war dieser totale Fokus und dieser innere Friede. Da nimmt man nichts um sich herum wahr." Diese Erfahrung will Richard weitergeben - als Priester.

Nach seinem katalanischen Erweckungsmoment kehrte Hansl zurück nach Österreich und begann, sich in seinen Glauben zu vertiefen. Er las die Exerzitien des Ignatius von Loyola, die benediktinischen Regeln, Bücher über Mutter Theresa. Schließlich wandte er sich ans Priesterseminar in Wien. Nach langen Gesprächen mit dem dortigen Regens, einem psychologischen Gutachten und dem Okay des Kardinals stand einem Eintritt ins Seminar nichts mehr im Wege.

Besonders religiös aufgewachsen ist Richard nicht. "Das einzige war der sonntägliche Kirchgang - und natürlich wurden Weihnachten und Ostern in der Familie gefeiert, aber nicht mehr als bei anderen." Als er den Eltern dann offenbarte, "dass ich Priester werden möchte, haben sie mich voll unterstützt. Allerdings ist ihnen wichtig, dass ich neben dem Priesterseminar mein WU-Studium fertig mache - quasi als Notfallplan, falls ich in ein paar Jahren die Krise bekomme".

Von den sechs, die im Vorjahr ins Wiener Priesterseminar eintraten, bekam einer "die Krise", wie es Hansl nennt. Damit sei die Ausfallsquote deutlich geringer als früher, sagt Richard Tatzreiter, der als Regens dem Seminar vorsteht. "Zu meiner Zeit waren es 50 Prozent." Heute kämen hingegen die wenigsten gleich nach der Matura ins Seminar. Die meisten seien Spätberufene wie Richard Hansl, da sei die Entscheidung schon "wohlüberlegt", sagt Tatzreiter.

Heuer werden im Herbst wahrscheinlich fünf Neue ins Seminar in der Boltzmanngasse einziehen. Einer davon ist Richard Hansl. Wie haben seine Freunde darauf reagiert? "Wenn man mich gefragt hat, Wo siehst du dich in fünf Jahren?, habe ich in den letzten Jahren immer gesagt: Als Priester oder im Priesterseminar. Die meisten hielten das für einen Gag. Erst in den letzten Monaten haben sie es ernst genommen. Jetzt lautet die Standardreaktion: Das hast du eh immer gesagt."

"Ich verpasse nichts"

Noch genießt Richard das Studentenleben und die Zeit mit seinen Freunden, die ihm eine - sagen wir - ausgeprägte Lebensfreude attestieren. Damit ist es demnächst vorbei. "Das ist sicher ein grober Einschnitt - gerade für ein extrovertiertes Kerlchen wie mich. Aber der Schritt ist notwendig. Mann kann nicht einerseits im Priesterseminar leben und gleichzeitig durch die Bars von Wien ziehen. Ich hatte eine sehr lustige Zeit, aber ich weiß, dass ich nichts verpasse."

Dass die sozialen Kontakte eingeschränkt sein werden, sieht Richard aber auch als "Chance, einen großen Bekanntenkreis auf eine Handvoll wirklich guter Freunde zu reduzieren". Auf diese muss er auch nicht ganz verzichten, schließlich sind die Seminaristen nicht eingesperrt. Vielmehr gehen sie täglich auf die Uni und haben auch den einen oder anderen Abend frei - allerdings erst ab dem zweiten Jahr. Im ersten Jahr im Priesterseminar, dem Propädeutikum, wird Richard kaum in Wien sein. Stattdessen geht es nach Horn ins Waldviertel.

Dort absolvieren die Neu-Seminaristen aus ganz Österreich bis Weihnachten einen intensiven Grundkurs, in dem sie einen Geschmack davon bekommen, was sie in den kommenden sechs Jahren erwartet. Dabei wird viel Zeit für Bibelstudium und Katechese aufgewendet - oder für Latein und Altgriechisch, sofern man das nicht schon in der Schule gelernt hat. Beide Sprachen sind Voraussetzung fürs Theologiestudium, ebenso die Matura. Allerdings gibt es die Möglichkeit, eine eigene Studienberechtigungsprüfung für Theologie abzulegen, wovon nicht wenige in Österreich Gebrauch machen.

Nach Weihnachten absolvieren die Seminaristen ein sechswöchiges Sozialpraktikum in ihrer Heimatgemeinde. "Eine Art Mini-Zivildienst", wie Richard sagt. Die Zeit von Ostern bis Christi Himmelfahrt verbringen sie dann auf den Spuren Jesu im Heiligen Land, wo wieder vor allem Bibelstudium auf dem Stundenplan steht. Nach einem Jahr Propädeutikum beginnt dann die eigentliche Ausbildung an der Uni und im Priesterseminar.

Das Theologiestudium dauert fünf Jahre. Die Inhalte reichen von Bibelwissenschaften über Philosophie, Kirchenrecht, Geschichte, Ethik, Erkenntnislehre, Christologie bis hin zu Homiletik, der Lehre vom Predigen. Die Messlatte für das Studium sei "ziemlich hoch", sagt Tatzreiter, daher komme es auch vor, dass manche in ihrem Wunsch, Priester zu werden, am Studium scheitern. "Allerdings liegt das dann auch oft daran, dass die innere Überzeugung nicht stimmt", so der Regens.

Verzicht als Zeichen

In seinem BWL-Studium hatte es Richard Hansl bisher nicht besonders eilig - auch weil er daneben viel gearbeitet hat. Sein Theologiestudium dürfte deutlich strikter verlaufen: "Im Seminar ist der Tagesablauf sehr klar geregelt und so gestaltet, dass die Seminaristen sich hauptsächlich aufs Studium und die Intensivierung des Gebetslebens konzentrieren."

Parallel zur Universität werden die angehenden Priester im Seminar auf ihre künftige Aufgabe vorbereitet. Die Priesterseminarlandschaft in Österreich steht allerdings "vor einem Umbruch", so Tatzreiter. Die geringen Seminaristenzahlen zwingen die Bistümer zu Kooperationen. So werden in Wien künftig die Wiener gemeinsam mit den Seminaristen von St. Pölten und Eisenstadt ausgebildet. Das Bistum Linz, wo es zuletzt nur noch vier Seminaristen gab, lässt seine Priester künftig - wie die Diözese Feldkirch schon seit langem - in Innsbruck ausbilden. Die Klagenfurter Seminaristen gehen nach Graz. Nur Salzburg beharrt auf einer eigenen Ausbildung.

Während auf der Uni akademische Fertigkeiten gefragt sind, werden in den Priesterseminaren einerseits Softskills, andererseits das priesterliche Handwerk vermittelt. "Es geht um die menschliche Reifung", sagt Tatzreiter. "Man kann noch so toll predigen, es kommt nicht rüber, wenn die nötige Reife fehlt." Das Seminar, in dem die angehenden Priester fortan leben, dient "der geistlichen Vertiefung in die Religion" und dem "Einüben des Priesterlebens", etwa durch Mitarbeit in Pfarren. Nicht zuletzt, so Tatzreiter, geht es im Seminar auch darum, "die Kultur des zölibatären Lebens" einzuüben.

Hat Richard Hansl schwer mit dem bewussten Verzicht auf eine Partnerschaft gerungen? "Weniger mit dem Verzicht auf eine Partnerschaft, als mit dem Verzicht auf eine Familie, auf Kinder. Aber der Zölibat ist ein Zeichen, dass du dich einerseits vollkommen Gott hingibst und deiner Gemeinde, deinen Mitmenschen dienst. Wenn man das Priesteramt nur als Beruf sieht, kann man das nicht machen. Man verzichtet auf Familie, die Bezahlung ist schlecht, das gesellschaftliche Ansehen auch nicht mehr das, was es früher war. Das kann man nur aus Berufung machen."

Mehr Ordenspriester

Dieser Berufung folgten 2009 österreichweit 33 Männer, im Vorjahr gerade einmal 27, nur zwei mehr als im Negativ-Rekordjahr 2006. Heuer waren es im ersten Halbjahr 35. Insgesamt gab es in den letzten Jahren einen leichten Anstieg an Priestern auf rund 4200, nachdem die Zahl zwischen 1981 und 2004 von 5400 auf 3900 gesunken war. Ein Zuwachs ist aber vor allem bei den Ordenspriestern zu verzeichnen, während die Zahl der Diözesanpriester stagniert.

Einem Orden beizutreten war für Richard Hansl keine Option. "Dazu braucht es eine ganz eigene Berufung." Er will vielmehr ein klassischer Pfarrer werden, ein Seelsorger. "Ich will die Erfahrung weitergeben, was für Ruhe und Kraft man aus dem Gebet saugen kann, wie viel Trost man darin finden kann." Gerade angesichts ständig steigender Burn-out-Zahlen sei es wichtig, den Menschen "einen Ruhepol zu bieten, wo sie einen Bezug zu Gott finden und sich einmal die wichtigen Fragen des Lebens stellen".

Eine klerikale Karriere strebt er daher nicht an. "Ich will nicht Priester werden, um etwa kirchliche Güter zu verwalten. Dazu brauche ich nicht in die Kirche gehen, sondern mache mein WU-Studium fertig und gehe in die Privatwirtschaft." Wenn allerdings der Kardinal das wünsche, dann müsse man natürlich folgen, schließlich gelobe man ja auch Gehorsam. Aber eigentlich, so Hansl, soll sich ein Priester um die Seelsorge kümmern.

Von daher ist es wenig verwunderlich, dass Richard Mutter Theresa als eines seiner religiösen Vorbilder nennt. "Sie war wirklich beeindruckend in ihrem Umgang mit Menschen, sie hat niemanden verurteilt, und eine große Liebe nach außen getragen." Ähnlich ins Schwärmen gerät Hansl bei Papst Johannes Paul II. und dessen Art, auf die Menschen zuzugehen. Das gelinge dem jetzigen Papst kaum: "Benedikt ist wahrscheinlich einer der gescheitesten, intellektuellsten Päpste, die es je gab. Aber er ist halt einfach introvertierter."

Wolfgang Zaunbauer hat in Wien Geschichte und Politikwissenschaft studiert und ist Innenpolitik-Redakteur bei der "Wiener Zeitung".