Warum im Fall der zwei vermissten Mädchen die österreichische Gesellschaft versagt hat.
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Die innere Sicherheit geht über alles. Sie gilt es zu schützen. Gegen Sprengköpfe und krude Ideen. "Aktuell sehen wir für Österreich keine Bedrohungslage", sagte der Sprecher des Innenministeriums in einem Beitrag der ORF-Sendung "Thema" über jene zwei bosnischstämmigen Wienerinnen, die sich vor knapp einem Monat dem syrischen Bürgerkrieg angeschlossen haben sollen. Dutzende Menschen haben es ihnen gleichgetan. Zehn sind in Syrien angeblich gestorben. Zehn wieder zurückgekommen. Aber keine Sorge. Sie stellen keine Bedrohungslage für Österreich dar.
Denn darum geht es doch: Wir sind sicher.
Diese Menschen interessieren uns lediglich in einer Kategorie: als potenzielles Sicherheitsrisiko. Wir verstehen nicht, warum sie ihr Leben in einem Krieg riskieren, der nicht der ihre ist. Warum sie Vorstellungen nachhängen, die wir verachten, und Prinzipien abgeschworen haben, die uns heilig sind. Beim Großteil der syrischen Au-pair-Kämpfer soll es sich ohnehin um Asylwerber, Kinder mit Migrationshintergrund und ein paar Konvertiten handeln.
Also: Es ist kein hausgemachtes Problem. Kein österreichisches Problem. Und hier liegt der Irrtum. Es ist hausgemacht. Es sind unsere Kinder. Sie sind hier aufgewachsen. Sie sind hier zur Schule gegangen. Sie haben ihre Samstage auf der Mariahilfer Straße verbracht, ihre Winter am Christkindlmarkt und ihre Sommer im Gänsehäufl.
Kein einziges Mal gab es in den vergangenen Wochen ein derartiges Bekenntnis. Kein Politiker hat gesagt: "Das sind unsere Kinder. Wir als Gesellschaft haben eine Verantwortung. Da ist etwas schiefgelaufen. Warum?"
Was läuft schief in einer Gesellschaft, in der für einige die Vorstellung vom Tod in einem Bürgerkrieg allemal attraktiver erscheint als jene vom Leben in einem demokratischen, freien und friedlichen Land? Diese Frage gilt es zuerst zu stellen. Was bieten wir als Gesellschaft? Nicht jene, wie man jenen die Staatsbürgerschaft oder den Asylstatus entziehen kann, die schon einmal Gotteskrieger im Ausland gespielt haben und wieder zurück in Österreich sind. Das ist das Ende des Maßnahmenkatalogs - wenn überhaupt.
Muss erst das Horrorszenario heraufbeschworen werden, dass aus einigen Einzelfällen bald einige Hundert werden könnten, wenn nicht mehr passiert? Nein, das wäre gefährliche Angstmache. Und die Konsequenzen sind absehbar: Irgendwann steht jeder, der nur Inshallah murmelt, unter Generalverdacht ein Jihadist zu sein - und ist auch gleich seinen Pass los.
Die zwei Mädchen und die dutzenden Burschen waren Teil einer Gesellschaft, die ihnen offenbar nicht genug bieten konnte. Es gilt ein Angebot zu schaffen, eines, das am Ende hält, das immun ist gegen extremistische Alternativen - und das nicht durch ein paar Klicks auf dubiosen Websites ins Wanken gerät. Und dieses Angebot beginnt mit dem Eingeständnis: Das sind unsere Leute. Und um die haben wir uns zu kümmern.