Unterrichtsministerin Sonja Hammerschmid ist fest entschlossen, die Bildungsreform in einen gesetzlichen Rahmen zu gießen. Im Interview pocht sie auch auf den Ausbau der Ganztagsschulen und mehr personelle finanzielle Autonomie der Schulen.
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"Wiener Zeitung":Frau Ministerin, Sie waren immer offen für SPÖ und ÖVP; Ihr gutes Verhältnis zu Vizekanzler Reinhold Mitterlehner ist bekannt - jetzt sind Sie auf einem SPÖ-Ticket in der Regierung. Haben Sie Ihre Partei gefunden?Sonja Hammerschmid: Ich denke schon. Ich bin Christian Kern (SPÖ-Bundeskanzler, Anm.) gefolgt. Ich kann sein Wertekonzept gut teilen. Das ist eine neue Sozialdemokratie, in der ich auch einen kleinen Beitrag leisten will.
Sind Sie Parteimitglied?
Mittlerweile ja - seit wenigen Tagen.
Sie haben eine Bildungsreform übernommen - eine Einigung dazu gab es im November 2015. Vieles davon ist aber keineswegs ausgereift. In der Frage der Oberhoheit über die Lehrer ist nichts entschieden: Sind Sie dafür, dass die Lehrer beim Bund oder bei den Ländern angesiedelt sind?
Man unterschätzt die Bildungsreform. Wenn man in die Materie eintaucht, wie ich das in den vergangenen drei Wochen getan habe, sieht man, dass sehr vieles gelungen ist. Das ist eine Thematik die auf 1,1 Millionen Schüler, 5700 Schulen und 120.000 Lehrer wirkt. Die Implementierung dieser Pakete wird uns fordern.
Was ist gelungen?
Zum Beispiel die Implementierung der Förderung der frühkindlichen Pädagogik. Das erste Schulpaket wurde am Donnerstag im Nationalrat beschlossen. Darin enthalten: Einschränkungen beim Sitzenbleiben, die Möglichkeit alternativer Leistungsbeschreibung in der Volksschule bis zur dritten Schulstufe, klassenübergreifender Unterricht, Wechsel zwischen den Volksschulklassen auch während des Schuljahres, Sprachstartgruppen vor dem Eintritt in die Schule, besserer Übergang vom Kindergarten in die Schule mit der Dokumentation des Entwicklungsstandes der Kinder im Kindergarten. Ich bin zutiefst überzeugt, wenn wir bereits im Kindergarten besonders fördern, schauen, dass die Sprachkompetenz gut ausgeprägt ist, dass es dann gelingt, das Bildungssystem zu verbessern. Und da kommen wir zum nächsten Bereich: Das Thema Autonomie müssen wir so schnell wie möglich entwickeln.
Aber auch beim Thema Schulautonomie gehen die Vorschläge der Bildungsreform vielen nicht weit genug. Es gibt zum Beispiel zu wenig Entscheidungsmacht an den Standorten über den Einsatz finanzieller Mittel oder die Auswahl der Lehrer.
Da bin ich voll bei Ihnen. Im Reformpaket sind Rahmen geschaffen worden. Dass ein finanzieller Spielraum an den Schulen ist, dass die Schulen Mitspracherecht über die Personalauswahl haben, dass Schulöffnungszeiten flexibel gehandhabt werden können - all das muss jetzt in einen gesetzlichen Rahmen gegossen werden.
Beim Bildungsgipfel konnte man sich ja nicht zu einer wirklichen Personalauswahl durch die Direktoren durchringen.
Da müssen wir uns noch annähern. Wir arbeiten die offenen Punkte mit dem Koalitionspartner ab. Ich möchte betonen, dass wir ein wunderbares Gesprächsklima mit der ÖVP, mit Staatssekretär Harald Mahrer, haben.
Würden Sie gerne größere Schritte gehen?
Wir werden schauen, dass wir den Autonomiespielraum größtmöglich ausgestalten, das wäre mein Wunsch. Da sind wir aber in wirklich guten Gesprächen.
Sie haben die Frage der Zuordnung der Lehrer - Bund oder Länder - nicht beantwortet.
Das Paket ist beschlossen. An der Ausgestaltung arbeiten wir.
Würden Sie die Lehrer abgeben?
Das Thema stellt sich momentan nicht.
Auch bei der Gesamtschule wurde mit der Einführung von Modellregionen, an denen bis zu 15 Prozent der Schulen pro Bundesland teilnehmen können, zwei Ländern - Vorarlberg und Wien - die Einführung der Gesamtschule verunmöglicht. Wie halten Sie es damit?
Für mich ist viel wichtiger: Ich bin eine Anhängerin der verschränkten Ganztagsschule. Das will ich vorantreiben.
Die Sozialpartner haben sich vor wenigen Tagen auf die Einführung einer Mittleren Reife verständigt. Unterstützen Sie diesen Vorschlag?
Ich habe den Vorschlag vor zwei Tagen bekommen. Ich freue mich über Ideen der Sozialpartner, mit denen ich in sehr guten Gesprächen bin, aber ich muss gestehen, dass die Mittlere Reife auf meiner Prioritätenliste nicht ganz oben rangiert. Ich versuche, bei den großen Paketen zu bleiben. Für mich ist Sprachförderung ganz zentral, ebenso wie die PädagogInnenbildung Neu, die uns einen großen Schritt Richtung Professionalisierung bringt. Es sind viele Bälle in der Luft. Wenn wir mit diesen Bällen klug und abgestimmt agieren, werden wir an Qualität gewinnen.
Sehr viele Reformen stehen und fallen damit, wie sie von den Lehrern umgesetzt werden. Vieles hängt daher auch an der Lehrergewerkschaft. Wie tun Sie sich mit ihr?
Sehr gut. Die ersten Termine habe ich schon absolviert. Ich bin ein Mensch, der sehr offen auf andere Menschen zugeht. Solange wir das zentrale Thema "Kind und chancengerechte Bildung" in den Mittelpunkt stellen, werden wir auch eine Lösung finden. Davon bin ich überzeugt. Ich glaube schon, dass wir das schaffen, sonst hätte ich den Job gar nicht übernommen. Mir ist es auch ganz wichtig, nicht nur mit der Lehrergewerkschaft zu reden, sondern mit den Lehrern.
Sie wollen an die Schulen gehen?
Ja, ich möchte von den Lehrern hören, wo der Schuh drückt, wo die Probleme liegen. Wir haben sehr viele Zahlen und Daten und zahlreiche Studien und Berichte. Ich möchte schauen, ob diese mit den Aussagen der Lehrer übereinstimmen. Ich möchte wissen: Passen unsere Entscheidungen, wo muss man nachjustieren? Wir haben in diesem Land wirklich tolle Lehrerinnen und Lehrer.
Viele Lehrer beklagen die überbordende Administration, die sie an ihrer ureigensten Aufgabe, dem Unterrichten, hindern.
Es muss unsere Aufgabe sein, den Lehrern ein Stück weit Verwaltung abzunehmen und die Lehrer wieder in die Klassen zu bringen. Mit der Schaffung von Schulclustern sollen Ressourcen freigespielt werden.
Sie haben schon die Chancengleichheit angesprochen. Eine der größten Herausforderungen ist derzeit die Integration der Flüchtlingskinder in die Schulklassen. Dazu braucht es mehr Lehrer, muttersprachliche Unterstützung in den Schulen und Sozialarbeiter. Heuer stehen dafür knapp 64 Millionen Euro zur Verfügung, kommendes Jahr 80 Millionen. Reicht das?
Wir sollten dankbar sein, dass wir dieses Paket haben. Wir müssen mit diesen 144 Millionen Euro vor allem die Sprachkurse massiv ausbauen, wir sind ja schon dabei, die Anzahl der Sprach-Pädagoginnen und -Pädagogen zu verdoppeln. Es sind mobile Teams unterwegs, um bei Problemen unterstützen zu können. Das ist ein sehr wirksames Paket.
Gibt es ausreichend Schulplätze für Flüchtlingskinder?
Wir trachten danach, dass jedes Kind einen Platz hat. Mir ist nichts zu Ohren gekommen, dass wo ein Kind keinen Platz erhalten hätte. Da leisten Lehrerinnen und Lehrer Großartiges, sie haben im Vorjahr sofort reagiert und geschaut, dass die Kinder aufgenommen werden.
Wann können wir denn mit ersten großen Reformen im Schulbereich rechnen?
Im Herbst.
Und was wird das sein?
Dazu will ich noch nichts sagen, außer: Wir verhandeln.
Sie haben gesagt, Sie sind seit einigen Tagen SPÖ-Mitglied. Nächste Woche ist Parteitag. Die SPÖ will ja einen Kriterienkatalog für die Zusammenarbeit mit anderen Parteien auf Regierungsebene ausarbeiten. Bringen Sie sich da ein?
Das Kriterienkatalogthema ist sehr schlau, um das Thema Regieren mit der FPÖ ja oder nein zu versachlichen. Ich bin da voll dabei.
Wären Sie auch in einer Regierung von SPÖ und FPÖ dabei?
Ich täte mich schwer.
Zur Person
Sonja Hammerschmid
Die Oberösterreicherin studierte nach der Schule Biologie und Genetik und promovierte 1995. Sie wechselte dann ins Forschungsmanagement, wo sie beim Wirtschaftsservice aws (Förderbank der Republik) den Bereich Technologie leitete.
2010 wurde die heute 47-Jährige Rektorin der Veterinärmedizinischen Universität Wien, ohne zuvor eine Professur innegehabt zu haben. 2015 wurde Hammerschmid als erste Frau zur Vorsitzenden der Universitätenkonferenz gewählt. Seit 18. Mai 2016 ist sie Unterrichtsministerin.