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Täglich füllt sich der Medaillenspiegel der Olympischen Spiele in Rio mit neuen Gewinnern. So ernst nehmen sollte man die Liste aber nicht.
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Es stimmt eh. Der Medaillenspiegel ist nicht das Maß aller Dinge, ist er doch nicht mehr als Statistik - und gibt uns Aufschluss über eine an einem bestimmten Tag, zu einer bestimmten Stunde und an einem bestimmten Ort erbrachte Leistung eines Athleten oder eines Teams. Ob der Misserfolg einem - wenn auch immer subjektiv empfunden - Zufall wie etwa ungünstigen Umständen wie Witterung, Auslosung, Pech
oder einfach nur "einem schlechten Tag" geschuldet war und ist, wird da nicht gemessen und spielt daher auch keine Rolle. Nur die Sportler (und vielleicht ihre Trainer) kennen die Entbehrungen, welche sie auf dem langen und oft sehr steinigen Weg nach Olympia auf sich genommen haben - ob sie nun am Ende des Tages auf dem Medaillenspiegel aufscheinen oder nicht. Im Moment der Vorbereitung sind alle gleich. Für die Öffentlichkeit sichtbar und von der Öffentlichkeit gewürdigt werden dagegen nach Abschluss des Wettkampfes aber nur die besten drei. Der vierte Platz gilt da kaum etwas, er geht im Meer der übrigen Dabeigewesenen unter und sorgt ob der Tatsache, das Stockerl verpasst zu haben, für ein umso bittereres Gefühl einer Niederlage. Schlag nach bei Judoka Bernadette Graf. The (medal) winner takes it all.
So gesehen ist der Medaillenspiegel weniger ein Gradmesser für den Wert einer erbrachten Leistung, als mehr die Summe mehrerer (oft auch kaum zu beinflussender) Faktoren. Das mag vielleicht unfair sein, ist aber auf der anderen Seite auch eine spannende Angelegenheit, weil sie Olympioniken und Medaillisten auf den Schild heben, deren Heimat sonst im Drehbuch der Geschichte keinen Platz hat. Man denke zum Beispiel an Fidschis Rugby-Team, das dem Pazifikstaat sensationell die erste Goldene überhaupt beschert hat. Oder an die Kosovarin Majlinda Kelmendi, die im Judobewerb bis
52 Kilogramm ebenfalls den Sieg geholt und ihr junges Land gleich bei seinem Olympia-Debüt mit einer Goldmedaille belohnt hat. Nicht zu vergessen freilich der tunesische Ruderer Mohamed Taieb, der für seine krisengeschüttelte (und für beste Ruderbedingungen nicht gerade bekannte) nordafrikanische Heimat Bronze im Einer gewonnen hat. Keine Ausnahme in dieser Liste der Edelmetallgewinner ist da auch Nordkoreas Gewichtheber Om Yun Chol, auch wenn sich dieser für seinen zweiten Platz allen Ernstes entschuldigt und gemeint hatte:
"Mit einer Silbermedaille kann ich für mein Volk kein Held sein."
So skurril diese Aussage auch ist, so trifft sie doch genau einen, wenn nicht den wunden Punkt Olympias. Kann man wirklich nur mit einer Gold- oder überhaupt irgendeiner Medaille ein "Held" sein?
Vielleicht könnte sich ja ein Weg finden lassen, um die vielen kleinen Erfolgsportler, die beispielsweise als Viertplacierte eine Medaille nur knapp verpasst haben, auf andere Weise für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen, als nur durch ihr Nicht-Aufscheinen im Medaillenspiegel? Versuche gibt es bereits. So hat die "Zeit" vor wenigen Tagen einen so-
genannten "fairen Medaillenspiegel" für die Spiele in Rio erstellt, auf dem nicht nur die ersten drei, sondern die ersten zehn Plätze berücksichtigt sind. Österreich läge demnach nicht auf dem letzten, sondern auf dem 36. Gesamtrang. Na also!