Manipulationsskandale und ein zu hoher Schadstoffausstoß im Realbetrieb haben den Dieselmotor in Verruf gebracht.
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München/Los Angeles. In Stuttgart, München und Wolfsburg hatte man sich in den Tagen vor dem 31. März 2016 verwundert die Augen gerieben. Vor den Tesla-Niederlassungen in Kalifornien und anderen US-Bundesstaaten hatten tatsächlich Menschen im Freien campiert, um sich als Erste in die Vorbestellungslisten für das neue Model 3 eintragen zu können. Der Firma des schillernden Tech-Milliardärs Elon Musk war damit etwas gelungen, was man in den Chefetagen von VW, Mercedes und BMW eigentlich für unmöglich gehalten hatte. Die Kunden wollten ein neues Auto, das sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal gesehen hatten, so sehr, dass sie bereit waren, sich dafür stundenlang anzustellen.
Knapp ein Jahr nach der Weltpremiere werden nun die ersten Modelle jenes Autos ausgeliefert, mit dem sich nicht nur die Zukunft von Tesla selbst sondern wohl auch der gesamten Elektromobilität entscheidet. Denn bisher hatte der Branchenpionier aus dem kalifornischen Palo Alto seinen Fokus ausschließlich auf das Luxus-Segment gelegt; die beiden bereits erhältlichen Modelle - die Limousine Model S und das mit Flügeltüren ausgestattete SUV Model X - kosten mit ein bisschen Zusatzausstattung schnell einmal deutlich mehr als 100.000 Dollar. Mit dem Model 3, dessen Basispreis bei knapp 35.000 Dollar liegt, will Tesla dagegen in den Massenmarkt vorstoßen. Statt eines neuen Gadgets für technikaffine Millionäre soll es diesmal ein Auto für alle sein.
Der Diesel als Klimaretter
Elons Musks Plan scheint bisher auch aufzugehen. Seit der Präsentation vor einem Jahr sind bereits 400.000 Vorbestellungen für den Neuen eingegangen, der damit die beiden anderen Tesla-Modelle in Sachen Nachfrage weit hinter sich lässt. Im Jahr 2016 wurden vom Model S und vom Model X gerade einmal 84.000 Stück produziert.
An das Model 3, das mit vollgeladener Batterie knapp 350 Kilometer weit kommen soll, glauben aber nicht nur die Kunden. Auch Ferdinand Dudenhöffer, der zu den renommiertesten Auto-Experten im deutschsprachigen Raum gehört, sieht in der kleinen Limousine, die optisch an das luxuriösere Model S erinnert, nichts weniger als den endgültigen Durchbruch der Elektromobilität. "Sie bekommen hier für 35.000 Dollar ein Fahrzeug mit einer guten Reichweite, das die versprochenen Leistungen auch hält und auf dem Niveau des BMW 3er und der Mercedes C-Klasse liegt", sagt der Leiter des CAR-Instituts an der Universität Duisburg-Essen im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
Mit dem Model 3 ist Tesla vor allem aber auch zum Antreiber einer ganzen Branche geworden. Denn vor allem die deutsche Automobilindustrie hat sich zunächst nur sehr zögerlich auf das Thema Elektromobilität eingelassen. Der Fokus lag stattdessen auf der Weiterentwicklung der knapp 125 Jahre alten Diesel-Technologie, die man in Stuttgart, Wolfsburg und München als unerlässlich ansah, um die immer strenger werdenden Grenzwerte beim CO2-Ausstoß erfüllen zu können. Der Diesel, der damals noch nicht durch Abgasmanipulationen und viel zu hohe Stickoxid-Emissionen im Realbetrieb in Verruf geraten war, sollte das Klima retten, und BMW, VW und Mercedes sollten dabei gut verdienen.
Nur kein Nokia-Moment
2014 - zwei Jahre nach dem Marktstart des Model S und ein Jahr vor dem VW-Dieselskandal - hatte Daimler daher nicht viel mehr vorzuweisen als einen elektrischen Antrieb für die bereits länger existierende B-Klasse und den Smart. Auch bei VW konnten Kunden damals mit dem e-Golf und dem e-up! nur zwei Modelle bestellen, die aber mit einer Reichweite von unter 200 Kilometern ebenso wie die B-Klasse weit hinter den bis zu 420 Kilometern der Teslas blieben. Einzig BMW hatte mit dem i3 ein eigens entwickeltes und daher entsprechend optimiertes Elektrofahrzeug im Programm.
Doch spätestens im Jahr 2015, als das Model S in den USA die Luxusmodelle von Mercedes, BMW und Audi in der Verkaufstatistik weit hinter sich ließ, dürfte man sich auch in Deutschland vollends der Gefahr bewusst geworden sein: Sollte nicht rasch etwas unternommen werden, drohte den etablierten Autobauern ein ähnliches Schicksal wie dem finnischen Handy-Hersteller Nokia, der jahrelang den Markt dominierte, dann aber die vom iPhone entfachte Smartphone-Revolution komplett verschlief und in der Bedeutungslosigkeit verschwand.
Seither wird in Deutschland viel Geld und Energie darauf verwendet, den Rückstand auf Tesla zu verringern. So will die deutsche Autoindustrie nach Angaben des Branchenverbandes VDA bis zum Jahr 2020 die durchaus beachtliche Summe von mehr als 40 Milliarden Euro in alternative Antriebe investieren. Auch die Zahl der erhältlichen Modelle soll sich bis dahin auf fast 100 etwa verdreifachen.
Bald auf Augenhöhe
Den Anfang soll bereits 2018 der Q6 e-tron von Audi machen; der Geländewagen der Volkswagen-Tochter soll trotz des stattlichen Fahrzeugewichts eine Reichweite von mehr als 500 Kilometern haben und damit in der Liga von Tesla spielen. Ein Jahr später soll dann der Marktstart der neuen Mercedes-Linie EQ erfolgen, deren Design den jüngsten SUV-Modellen ähnelt. BMW will 2019 den E-Mini in Serie bauen und noch heuer soll laut einem Bericht des "Handelsblatts" eine Elektroversion der verkaufsstarken 3er-Reihe vorgestellt werden. "Die Deutschen ziehen nach", sagt Auto-Professor Dudenhöffer. "Und sie werden technologisch auf Augenhöhe sein."
Damit sich die E-Mobilität durchsetzt, müssen die Hersteller aber nicht nur produzieren, die Kunden müssen auch kaufen. Und das geht bis heute meist nicht ohne eine gehörige Portion Idealismus. Denn abgesehen von Teslas eigenem Versorgungsnetz, das weltweit mehr als 700 Schnellladestationen umfasst, gibt es bis heute noch immer keine adäquate Infrastruktur in den meisten Ländern. So haben sich die großen deutschen Autobauer und der US-Hersteller Ford erst im November 2016 auf den gemeinsamen Aufbau eines europaweiten Netzes von Schnellladestationen geeinigt. In einem ersten Schritt entstehen nun seit Jahresbeginn 400 Ladeplätze entlang der großen Verkehrsachsen des Kontinents, bis 2020 sollen es dann immerhin schon mehrere tausend Stationen geben, an denen Elektroautos in weniger als einer halben Stunde aufgeladen werden können.
Keine Ladeplätze, keine Käufer
Doch die Versorgung an Autobahnen und Schnellstraßen ist nur ein Teil des Problems. "Gerade in Großstädten fehlt oft eine Lade-Infrastruktur, weil die Leute Mietwohnungen haben oder Straßenparker sind", sagt Dudenhöffer. Wie unmittelbar fehlenden Ladestationen und Zulassungszahlen zusammenhängen lässt sich etwa in Wien ablesen. Dort wird der geplante Basisausbau mit 500 E-Tankstellen immer wieder nach hinten verschoben; mit einem Elektorauto-Anteil von 0,6 Prozent lag die Bundeshauptstadt in der Zulassungsstatistik 2016 auch deutlich unter dem österreichischen Durchschnitt von knapp 1,2 Prozent.
Idealismus müssen die Kunden aber nicht nur wegen der oft mangelnden Praktikabilität von Elektroautos beweisen. Auch die grundsätzlichen Zweifel an der Wirtschaftlichkeit der Elektrofahrzeuge haben sich bis heute nicht ausräumen lassen. Denn in den vergangenen Jahren waren die Kosten pro gefahrenem Kilometer inklusive Anschaffung, Wartung und Strom beziehungsweise Sprit beim Elektrofahrzeug noch immer spürbar höher als beim Verbrennungsmotor.
Allerdings dürfte sich das in absehbarer Zeit ändern. So gehen die Experten der Schweizer Großbank UBS in ihrer jüngsten Analyse davon aus, dass die Kosten für den Besitz eines Elektroautos bereits im Jahr 2018 auf dasselbe Niveau wie bei Diesel- oder Benzinmodellen sinken werden. Verantwortlich dafür werden neben zunehmenden Skaleneffekten vor allem die Fortschritte bei der Batterietechnologie sein. So lag im Jahr 2015 der Preis für die Kapazität von einer Kilowattstunde noch bei 200 Euro, 2020 wird dafür aber wohl nur noch um die 100 Euro zu bezahlen sein. Eine 100-Kilowattstunden-Batterie, wie sie in den reichweitenstärksten Teslas benutzt wird, würde damit statt 20.000 Euro nur noch 10.000 Euro kosten.
Milliarden für den Diesel
Angesichts dieser Entwicklung braucht es nach Ansicht vieler Branchenexperten auch keine zusätzlichen finanziellen Anreize zu den bereits bestehenden Prämien, die in Deutschland und Österreich derzeit bei 4000 Euro pro gekauftem Elektroauto liegen. "Es würde schon reichen, dass man es fair macht", sagt Dudenhöffer, der das Volumen der Dieselsubventionen aufgeschlüsselt hat und dabei auf ein durchaus beeindruckendes Ergebnis gekommen ist. Denn seinen Berechnungen zufolge hat der deutsche Staat zwischen 1985 und 2017 wegen der Begünstigung von Diesel gegenüber Benzin rund 200 Milliarden Euro weniger an Steuergeld eingenommen. "Um dieses Geld könnten wir alle Ladestationen in Deutschland in Gold einfassen", sagt Dudenhöffer.
Entscheidung in China
Wenn es um die Zukunft der Elektromobilität geht, wird Europa aber wohl ohnehin nicht die entscheidende Rolle spielen. Denn selbst wenn der Elektroauto-Anteil, der in der EU derzeit knapp ein Prozent der Gesamtverkäufe ausmacht, in den kommenden Jahren sprunghaft ansteigen sollte, würde man wohl immer noch weit hinter China zurückbleiben, wo das Thema Elektromobilität schon ab dem kommenden Jahr ganz groß ausgerollt werden soll. Teil des Plans, mit dem die massive Luftverschmutzung in den Großstädten bekämpft werden soll, ist eine verpflichtende Elektroautoquote bei Neuwagenverkäufen in der Höhe von acht Prozent im Jahr 2018. In den Folgejahren sollen es dann sogar zehn und zwölf Prozent werden, wobei es aber auch großzügige Förderungen als Kauf- und Investitionsanreiz geben wird.
Allerdings wird am Beispiel des weltweit größten und wichtigsten Automarkts auch der Pferdefuß der Elektromobilität offensichtlich. Denn in der Volksrepublik wird trotz der massiven Investitionen in erneuerbare Energien noch immer ein Großteil des Stroms in schmutzigen Kohlekraftwerken produziert, was aus den vermeintlichen sauberen Elektroautos schnell wieder umweltschädliche Stinker werden lässt.
Elon Musk scheint freilich auch dieses Problem gelöst zu haben. Ende 2016 legte der 46-jährige Tesla-Chef, der mit dem Internet-Bezahldienst Paypal reich wurde und heute als einer der Superstars des Silicon Valley gilt, mehr als 2,6 Milliarden Dollar für das Ökostrom-Unternehmen SolarCity auf den Tisch. Damit bekommen die Kunden beim Kauf eines Tesla nicht nur ein absolut emissionsfreies Fahrzeug in die Hand, auch der Strom an den kalifornischen Tesla-Ladestationen ist dank der Solaranlagen von Solarcity nun zu hundert Prozent nachhaltig produziert.