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Es war einmal die Kanzlerdemokratie

Von Walter Hämmerle

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Es gab einmal eine Zeit, da glaubte sich Österreich auf dem Weg hin zu einem Präsidialsystem nach US-Vorbild. Heute ist davon nur noch die Erinnerung an die Kreisky-Ära geblieben.


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"Sein Stil bestimmt den politischen Stil überhaupt. Die Person des Bundeskanzlers steht im Lichte ununterbrochener Publizität. Ihm werden alle wichtigeren politischen Entscheidungen zugerechnet. An ihn wendet man sich in allen wichtigen kontroversiellen Fragen. Er ist der große Koordinator, der große Schlichter und Schiedsrichter, er ist der wahre Volksanwalt im Volksempfinden."

Kein Mensch, der alle seine politischen Sinne beisammen hat, käme heute auf die Idee, die Kanzler der Republik in diesem Licht zu beschreiben. Doch 1976, auf dem Höhepunkt der Kreisky-Ära, wähnte der Wiener Verfassungsrechtler Manfried Welan Österreich auf dem besten Weg zu einer Präsidialdemokratie nach Vorbild der USA. Anstoß für diese These waren die Veränderungen in den politischen Prozessen und Strukturen durch die Kanzlerschaft Bruno Kreiskys. Beziehungsweise durch die Entwicklungen jener Zeit, die der Sonnenkönig auf dem Thron der Republik für sich zu nutzen verstand.

Tatsächlich steht von einer auch nur irgendwie hervorgehobenen Sonderrolle des Bundeskanzlers praktisch kein Wort in der Verfassung - ganz im Unterschied zur Rolle des Bundespräsidenten. (Einem Ondit des Staatsrechtlers Georg Jellinek zufolge ist der österreichische Regierungschef sogar lediglich ein Budgetposten.) Die politische Praxis hat sich jedoch nicht an das vorgesehene Drehbuch gehalten.

Woher rührt die damalige Machtfülle des Kanzlers? Kreisky - und vor ihm bereits Josef Klaus - war nicht nur Regierungschef, er war zugleich auch Vorsitzender einer mit absoluter Mehrheit im Parlament ausgestatteten Partei - und als solcher zeichnete ihn das besondere Charisma des Wahlsiegers aus.

Die Kanzlerdemokratie sollte sich jedoch als kurze Episode erweisen. Das hat zuallererst mit den veränderten Strukturen des politischen Prozesses zu tun und weniger mit der Vermutung, keiner der Nachfolger habe Kreisky das Wasser reichen können.

Das beginnt schon damit, dass in den vergangenen Jahrzehnten Wahlsiege aus Sicht der beiden ehemaligen Großparteien zur raren Ausnahme geworden sind. Den Kanzlerposten eroberte meist jene Partei, die etwas weniger als die andere verlor, wenn sie nicht überhaupt das Kunststück vollbrachte, vom dritten Platz aus in den Ballhausplatz einzuziehen. Das jedoch ist nicht der Stoff, aus dem Kanzlerdemokratien sind.

Die Saat für diese Entwicklung hin zu einem Viel-Parteien-System hat übrigens Kreisky selbst mit seiner Reform des Wahlrechts, das Mehrheitsbildungen erschwert, gelegt. Seitdem muss der Kanzler Ruhm und Aufmerksamkeit mit einem Vize aus einer konkurrierenden Partei teilen, der wiederum von der Überzeugung beseelt ist, das mächtigste Amt im Staat stehe ihm selbst doch viel besser zu Gesicht.

In den 70er Jahren steckte zudem die neue, vierte Macht im Gewaltengefüge, die Massenmedien, noch in den Kinderschuhen. Die Politik - und damit auch der Kanzler - gab den Rhythmus vor, und die Medien apportierten brav.

Dieses Machtverhältnis hat sich seitdem längst in sein radikales Gegenteil verkehrt. Parteien und Regierungen sind längst zu Getriebenen geworden, die für ein bisschen mediale Zuneigung sogar bereit sind, tief in die Tasche zu greifen - und mitunter sogar die Seele ihrer Politik zu verkaufen.

Kreiskys Ära ist vorbei - und damit auch der Traum von einer Kanzlerdemokratie. Und so wie die Dinge stehen, werden beide auch nicht wiederkehren. Die Zeiten sind andere geworden. Eigentlich eine gute Nachricht für den Parlamentarismus, wenn da nur nicht die verflixte Realität wäre.