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Die Juristin Stephanie Krisper hat sich jahrelang beruflich für Menschenrechte eingesetzt. Seit zwei Jahren tut sie das für die Neos im Nationalrat. Ein Gespräch mit einer Politikerin, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, lästig zu sein.
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Die Neos sind auch nicht mehr die Jüngsten. Die Liste Pilz wurde ja erst 2017 gegründet, und auch die Volkspartei hatte sich in jenem Jahr runderneuert, zumindest auf Bundesebene, wo Türkis das Schwarz ablöste und Sebastian Kurz die Partei übernahm. Davor waren einander Pink und Kurz näher als sie es heute sind, sogar eine gemeinsame Liste stand einmal im Raum. Heute scheint das undenkbar. Die Neos waren in der vergangenen Legislaturperiode, trotz des Wechsels an der Parteispitze von Matthias Strolz zu Beate Meinl-Reisinger, eine sehr aktive, auffällige Oppositionspartei - in klarer Abgrenzung zu Türkis-Blau. Eine der aktivesten Abgeordneten war Stephanie Krisper. Die Menschenrechtsexpertin absolvierte ihre erste Legislaturperiode. Sie kandidiert in Wien auf Platz zwei, das Mandat sollte ihr sicher sein.
"Wiener Zeitung": Gab es ein spezielles Ereignis, das Sie veranlasst hat, in die Politik zu gehen?Stephanie Krisper: Es war eher ein schleichender Prozess. Zuerst wollte ich mich einfach nur engagieren, und das habe ich als Bürgerin getan, ein Jahr vor dem Nationalratswahlkampf 2013. Seit damals bin ich bei den Neos aktiv. Dann habe ich in den Bereichen, in denen ich beruflich tätig war, etwa im Menschenrechtsbereich, versucht, meine Expertise einzubringen. Wir sind ja eine evidenzbasierte Partei. Dann kam die Frage auf, wer 2017 kandidiert. Da bei uns die Menschenrechte einen hohen Stellenwert genießen, haben mich viele unterstützt, drum habe ich es auf die Liste geschafft.
Es war dann eine kürzere Periode als geplant, aber intensiv: Sie waren zuständig für Asyl, Außenpolitik, Entwicklungszusammenarbeit, Innere Sicherheit, Integration, Migration, Vertriebene, Volksanwaltschaft. War das nicht ein bisschen viel?
Am ersten Plenartag bin ich mit meinen neun Kolleginnen und Kollegen dagesessen, und neben mir diese Reihen voll von SPÖ-Mandataren. Da habe ich mir schon gedacht: Wie soll ich mit diesen vielen Themenbereichen einen zusätzlichen Beitrag leisten? Wie soll da eine effektive Arbeit möglich sein?
Sie waren dann gerade im Bereich Innere Sicherheit sehr präsent.
Ja, das war der Hauptarbeitsbereich. Da hatte ich den Innenminister als meinen Counterpart, der fast wöchentlich eine Herausforderung war. Noch dazu mit diesem desaströsen Ergebnis bei der Hausdurchsuchung im BVT. Ich bin deshalb auch Fraktionsführerin im Untersuchungsausschuss zum BVT geworden. Es war also schon ein steiler Einstieg.
Sie kommen aus dem Politischen, wenn man diesen Bereich etwas weiter fasst. Trotzdem ist die parlamentarische Arbeit etwas anderes. Wie man eine Anfrage, einen Initiativantrag verfasst: Ist das etwas, das man sich erst aneignen muss?Es war ein Vorteil, gerade bei so vielen Bereichen, dass ich ein Wissen mitgebracht habe und mit den jeweiligen Stakeholdern vernetzt war. Ich wusste, was rechtsstaatlich geboten und daher einzufordern ist. Bei Anfragen war ich sehr aktiv. Und da geht es nicht immer nur darum, Missstände aufzuzeigen, sondern es hat auch eine präventive Wirkung, die oft nur hinter den Kulissen ihre Wirkung entfalten.
Zum Beispiel?
Da hat es etwa bei einer Postenbesetzung im BVT große Zweifel gegeben, ob sie rechtskonform war. Seitdem habe ich immer Anfragen gestellt, wie und welche Posten im BVT besetzt wurden. Und zwar allein deshalb, um zu zeigen, dass ich da ein Auge darauf habe, damit so etwas nicht noch einmal passiert. Es gibt also viel Hintergrundarbeit, die man nicht so sieht, und von der ich glaube, dass wir durch sie Schlimmeres verhindert haben. Es wurde von Innenminister Kickl doch sehr am Rechtsstaat genagt.
Wie ist so ein Untersuchungsausschuss? Das hat einerseits etwas Ermittlerisches, läuft aber andererseits auch recht formalistisch ab. Kann man das von Haus aus?
Ich war anfangs nicht nur die einzige Fraktionsführerin, sondern auch die einzige, die noch keinen U-Ausschuss hinter sich hatte. Aber es ging recht schnell, sich da einzufinden. Es war sehr spannend. Zuerst muss man drum kämpfen, alle Dokumente zu erhalten, weil das wichtig ist, um auf einer fundierten Aktenlage aufbauen zu können. Denn leider flüchten ja viele Auskunftspersonen in die Demenz als Ausweichstrategie, um keine Falschaussage zu tätigen. Die Befragungen waren schon sehr ernüchternd. Ich meine vor allem die Befragungen von Innenminister Herbert Kickl und Kanzler Sebastian Kurz. Bei Ersterem kam heraus, dass er entweder von nichts wusste und deswegen in der Verantwortung steht, sein Haus nicht im Griff zu haben. Oder er wusste von den Agitationen in seinem Kabinett in Richtung BVT oder stand sogar dahinter. Beides ist verantwortungslos und hätte viel früher zum Rücktritt führen sollen. Von Kurz wollten wir wissen, wie er seine Verantwortung sieht, hier lange nichts getan zu haben- auch als klar wurde, dass die Zusammenarbeit mit den Partnerdiensten im Argen liegt. Und das hat mich am meisten schockiert: Ich dachte, er wird den Staatsmann mimen, der nach außen die Bevölkerung beruhigt hat, der sich aber nach innen sehr wohl erkundigt hat, ob alles in Ordnung ist. Für uns ist eine gute Kooperation mit Partnerdiensten ja von massiver Bedeutung für die Sicherheit. Aber im U-Ausschuss kam heraus, dass er sich gar nicht dafür interessiert hat. Er hatte von manchen wichtigen Sachverhalten offenbar keine Ahnung. Dass er sich bewusst ahnungslos gehalten hat, um sich aus der Verantwortung zu stehlen, war verstörend.
Ihre Abgeordnete Irmgard Griss, aber auch Jetzt-Mandatar Alfred Noll, haben ihre Enttäuschung über gewisse Abläufe im Parlament offenbart. Auch in dieser Zeitung. Wie haben Sie diese Legislaturperiode erlebt?Dass alle Anträge aus Prinzip abgelehnt oder vertagt und damit ins Jenseits befördert werden, ist natürlich ernüchternd. Aber das habe ich gewusst. Und da ich aus dem Menschenrechtsbereich komme, bin ich vielleicht keine offensichtlichen Erfolgserlebnisse gewöhnt. Bei Arbeit in der Folterprävention ist es ja beispielsweise ein Erfolg, wenn etwas nicht passiert. Aber dieser Erfolg ist eben nicht so gut sichtbar. Auch jetzt denke ich: Wir haben viel verhindert durch unsere Anfragen, durchs Dranbleiben. Es hätte noch viel schlimmer sein können.
Die Neos haben unter Schwarz-Rot damals eine sehr inhaltliche Oppositionsarbeit gemacht. Diesmal waren die Neos zwar deutlich präsenter, aber auch weniger inhaltlich. Man war eher Widerpart zu den Regierungsparteien. Warum?
Es war, denke ich, alles überlagert durch diese aktive Message-Control der Regierung. Sie hat sehr aktiv Themen gespielt, und dann lag es an uns, aufzuzeigen, wie wenig durchgerechnet die Vorschläge und wie wenig nachhaltig sie sind. Es waren oft nur Luftblasen. Wir haben aber schon versucht, unsere Themen zu spielen, haben Pressekonferenzen gegeben und eben Anträge verfasst.
Springen wir in die Zukunft: Wie soll es denn weitergehen nach dem 29. September?
Es ist verzwickt. Wir werden unsere Inhalte präsentieren, unsere Reformkonzepte, und dann sehen, wofür sich die Bürgerinnen und Bürger entscheiden. Man muss halt sehen, was sich ausgeht. Wir Neos haben unsere klaren roten Linien. Wir sind ja nicht da, um an die Macht zu kommen, sondern um etwas zu verändern. Darum überschreiten wir diese roten Linien nicht.
Die Neos und Kurz waren sich einmal sogar recht nahe. Es gab sogar Gespräche über eine gemeinsame Liste. Die Distanz ist doch deutlich größer geworden, oder?
Ja sicher. Die vergangenen zwei Jahre waren geprägt von Schlagzeilenpolitik. Und das ist genau das, was wir nicht wollen. Es bräuchte auch einen großen Schwenk, gerade in meinen Bereichen, weg von dieser ausschließenden Rhetorik. Fast jedes Thema wurde mit einem fremdenfeindlichen Unterton angegangen. Ich denke aber leider, dass sich Sebastian Kurz nicht verändern und nur nach Machtkalkül entscheiden wird.
Also doch Türkis-Blau?
Es wäre schon sehr schwer, das weiterzumachen. Auch das internationale Renommee von Kurz wird leiden, wenn es wieder diese Koalition wird. Es wird wieder einen Skandal geben und wieder Neuwahlen. Es wäre von ihm sehr verantwortungslos. Und wenn schon nicht dem Land zuliebe, vielleicht denkt er ja sich selbst zuliebe um.
So wie sich derzeit alle Parteien in ihren Positionen und roten Linien eingraben, wird es aber überhaupt schwierig, eine Mehrheit zu finden.
Es ist wirklich unglaublich verquirxt. Ich verdränge das einfach und mache das Einzige, was ich tun kann: meine Arbeit.
Zur Person: Dr. Stephanie Krisper ist Juristin mit Spezialgebiet Menschenrechte und Asyl. Sie arbeitete in der Flüchtlingsrechtsberatung, unter anderem für Asyl in Not und die Caritas. Krisper war auch international in Kommissionen der UNO und OSZE tätig. Von 2009 bis 2012 war sie Mitglied des Menschenrechtsbeirats, arbeitete danach in der Folterprävention für die Volksanwaltschaft und zuletzt als Wissenschaftliche Mitarbeiterin für das Ludwig Boltzmann-Institut für Menschenrechte.