OSZE-Generalsekretär Zannier über die Beobachtermission in der Ukraine, Debalzewo und den richtigen Fokus.
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Die neueste Aufgabenbeschreibung für die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in der Ostukraine ist kurz gehalten. "Sicherstellung einer effektiven Überwachung und Überprüfung des Waffenstillstandes und des Abzuges der schweren Waffen durch die OSZE von Tag 1 des Abzuges, bei Nutzung aller notwendigen technischen Ausrüstung, einschließlich Satelliten, Drohnen, Radarausrüstung etc." So steht es unter Punkt 3 der Minsker Vereinbarung geschrieben, die auch von den prorussischen Aufständischen unterzeichnet wurde. Der OSZE fällt somit eine Kernrolle auf dem Weg zu Frieden in dem Krisengebiet zu.
Bisher tun rund 430 OSZE-Beobachter in der Ukraine Dienst. Ihre Aufgabe war es auch bisher, die Grenze zwischen Russland und der Ukraine zu überwachen - und zu dokumentieren, was dort vor sich geht, etwa einen Zustrom von Waffen oder Söldnern aus Russland festzustellen. Manche Experten bemängeln, dass die OSZE-Beobachter bisher weitgehend machtlos waren, unter anderem, da sie mit keinerlei Vollmachten ausgestattet seien, wie sie etwa UN-Friedenstruppen hätten. Ob die OSZE ihrer Aufgabe gewachsen ist, wie die bisherige Beobachtermission in der Ukraine lief und ob eine Bewaffnung nötig ist, darüber sprach die "Wiener Zeitung" mit OSZE-Generalsekretär, Lamberto Zannier.
"Wiener Zeitung": Wenn Sie Bilanz über die bisherige Überwachungsmission in der Ukraine ziehen, wie fällt diese aus?
Lamberto Zannier: Meiner Ansicht nach ist die Rolle der Überwachungsmission wichtig, denn sie ist das beste Werkzeug, das die internationale Gemeinschaft aktuell hat, um in diesem Konflikt präsent zu sein. Es gibt natürlich Einschränkungen, aber jegliche Art von internationaler Mission würde diese haben, denn es handelt sich um einen sehr aktiven Konflikt.
Es war etwa immer wieder sehr schwierig für uns, ganz nah an die Orte zu kommen, wo Militäroperationen stattfinden. Aber wir waren dort, in Donezk und Luhansk. Wir sind Kanäle, sprechen mit den Führern der Separatisten. Wir haben es geschafft, kleinere Waffenruhen auszuverhandeln und zu ermöglichen. Die Überwachungsmission in Kombination mit einer politischen Komponente - der trilateralen Kontaktgruppe - spielte meiner Meinung nach eine Rolle darin, den Druck (auf die Konfliktparteien, Anm.) durch eine internationale Präsenz aufrechtzuerhalten.
Die Einschränkungen, die Sie erwähnen, sind auch aus den täglichen Berichten Ihrer Teams herauszulesen - sie beginnen mit kleineren Unannehmlichkeiten wie dem Stören der Funksignale der Teams bis hin zu ihrem Beschuss. Wie würden sie die Beziehungen der OSZE-Teams zu den Konfliktparteien in der Ostukraine beschreiben?
Die Arbeitsbeziehungen gestalten sich natürlich kompliziert. Wie Sie sich wohl erinnern, wurden etwa Mitglieder der Mission gekidnappt und über eine sich hinziehende Zeit als Geiseln festgehalten. Auch die richtigen Gesprächspartner zu finden, ist nicht immer einfach. Die Lage hat sich von Anbeginn ständig gedreht, Anführer kamen und gingen - erinnern wir uns etwa an die Zeit, in der wir ständig mit dem selbst-proklamierten Bürgermeister von Slawjansk gesprochen haben, der heute völlig von der Bildfläche verschwunden ist.
So eine Konstellation verkompliziert die Lage natürlich noch einmal. Aber natürlich müssen wir uns engagieren, unter möglichen Gesprächspartnern diejenigen ausmachen, die offen sind für Gespräche mit uns und die dann auch ihrerseits Wort halten können. Es ist nicht immer einfach, sicherzustellen, dass wir die richtigen Garantien haben, die wir brauchen, um unsere Teams an die gewünschten Orte zu bringen.
Sie sagten einmal, dass die OSZE in der Ukraine eigentlich eine Friedensmission ohne militärische Unterstützung betreibt. Wären Ihre Aufgaben besser zu bewältigen, wenn Sie über diese verfügten?
Nun, ich habe nicht wirklich gesagt, es sei eine Friedensmission ohne militärische Unterstützung. Ich sagte vielmehr, wir würden eine Friedensmission mit Zivilisten durchführen. Was wir jetzt gerade tun, ist, unsere Operationen in etwas zu verwandeln, das wirklich immer mehr einer Peacekeeping-Operation ähnelt, denn wir stellen Personal ein, das über militärische Expertise verfügt. Und das ist das, was wir brauchen: Menschen mit dem Vermögen, einzuschätzen, ob ein Verminungs-Risiko besteht, die feststellen können, wer von welcher Seite schießt und welche Waffen dabei eingesetzt werden.
Anfangs hatten wir Experten für Minderheiten- oder Menschenrechte, gute Krisenanalysten. Heute ist es ein Konflikt. Wir kommen also sehr nah an das heran, was eigentlich eine Friedensmission ist. Ich glaube aber nicht, dass die Beobachter Waffen brauchen. Darum geht es wirklich nicht. Was sie brauchen, ist guter Schutz. Eines unserer Teams wurde von einer Mörsergranate getroffen - zum Glück war das Auto gepanzert, so blieben sie unverletzt. Insgesamt bin ich zufrieden damit, wie die Operation sich entwickelt hat.
Wenn wir uns das in Minsk-2 vereinbarte Maßnahmenpaket ansehen, dann kommt der OSZE eine entscheidende Rolle zu. Haben Sie die nötigen Vollmachten, um dieser Rolle gerecht zu werden?
Unser Mandat ist gut, und auch sehr breit. Minsk hat neue Wege für uns geöffnet, um die Art, wie wir operieren, zu stärken. In Minsk gab es etwa die Übereinkunft, mehr technisches Equipment einzusetzen. Das sehen wir uns jetzt genauer an, auch die Verwendung von Satellitenbildern, Radar-Ausrüstung oder mehr Drohnen, Kameras und so weiter. So müssen wir auch die Mitarbeiter weniger Risiken aussetzen, wir können aber gleichzeitig auch das Gebiet besser abdecken, das wir überwachen.
Das ist vor allem für die Überwachung des Abzugs der schweren Waffen von Bedeutung. Mit dem Abzug dieser wird ein zu überwachendes Gebiet geschaffen, das größer ist als die Schweiz. Aber natürlich werden wir auch die Fakten, die wir direkt vor Ort sammeln, brauchen.
Der Abzug der Waffen hat noch nicht begonnen, am Dienstag eskalierten die Kämpfe um den Ort Debalzewo. Wie könnte hier eine Lösung aussehen?
Wir müssen beide Seiten dazu bringen, zu kooperieren. Das ist schwierig. Wir versuchen es auf allen Ebenen, die Anstrengungen gehen weit über die OSZE hinaus. Wir nutzen unsererseits die Werkzeuge, die uns zur Verfügung stehen. Die trilaterale Kontaktgruppe ist aktiv, der Vizechef der Beobachtermission ist nahe Debalzewo und versucht von dort aus, zu verhandeln. Aber das Problem, das wir sehen, ist, dass manche öffentliche Erklärungen der Separatisten offenbar nicht viel Raum für Lösungen lassen. Sie sagen einfach, dass sie finden, dass Debalzewo ihnen gehört. Das ist aus unserer Sicht nicht hilfreich. Wir brauchen den Waffenstillstand in jedem Segment, dann können wir mit den nächsten Schritten fortfahren.
Dem Mandat nach sollen Sie auch die russisch-ukrainische Grenze überwachen. Sie beklagten kürzlich, dass in der Region immer wieder neue Waffen auftauchen. Aktuell sind OSZE-Teams an zwei Grenzkontrollpunkten aktiv, nicht mehr. Manche Beobachter nennen das einen "Witz".
Ich stimme zu, dass das Überwachen von zwei Grenzpunkten nicht das Überwachen einer Grenze ist. Meiner Meinung nach sollten wir das ausdehnen. Aber zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keine Übereinkunft darüber.
Würde die OSZE - im hypothetischen Fall, dass es in einem Konflikt einen klaren Aggressor gäbe - diesen auch benennen?
Wenn wir eine Überwachungsmission haben und ein klares Zeichen einer Aggression sehen, wieso nicht? Natürlich, es ist unser Job, das zu sagen.
Wie viel Budget wird für die Beobachtermission aufgewendet und wie wirkt sich das auf andere Kernaufgaben Ihrer Organisation aus?
Die Mittel für die Beobachtermission kommen zum üblichen Budget der OSZE zusätzlich hinzu. Das OSZE-Gesamtbudget beträgt 140 Millionen Euro - das umfasst unter anderem das OSZE-Sekretariat, die Conference Services in der Hofburg, das Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte (Odhir) in Warschau oder auch 20 weitere OSZE-Feldoperationen. Für die nächste Phase der Ukraine Beobachtermission, wohl ein Jahr - das jetzige Mandat läuft ja Ende März ab - rechnen wir mit Kosten von 70 bis 80 Millionen Euro. Wenn man sich aber das Peacekeeping-Budget der UNO ansieht, so liegt dies bei mehr als sieben Milliarden Dollar pro Jahr.
An sich ist die Operation also nicht sehr kostspielig. Sie hat aber, wie man sich vorstellen kann, ziemliche Auswirkungen auf die OSZE. Sie zehrt auch an Ressourcen von anderen Operationen. Das ist einer meiner Sorgen. Unsere größten Operationen nach der Ukraine sind im Kosovo und in Bosnien, wo wir weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Wir haben auch eine Präsenz in Moldawien und Transnistrien, wo wir ebenfalls eine komplizierte Situation antreffen, die gewisse ähnliche Aspekte hat wie das, was wir in der Ukraine sehen.
Auch in Nagorno-Karabach hat sich die Situation in den vergangenen Monaten verschlechtert. Im Jänner hatten wir die höchste Zahl von Opfern in diesem Gebiet in mehr als einer Dekade. Wir müssen auch hier fokussiert bleiben.
Lamberto Zannier
Der 1954 in Italien geborene Diplomat ist seit dem 1. Juli 2011 Generalsekretär der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).